Dan Gilroy (links) im Gespräch mit Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal

»US-Nachrichten präsentieren eine Erzählung der Angst«

Mit »Nightcrawler« gelingt Dan Gilroy ein atemberaubend intensiver Horrorfilm zur Zeit. Wir sprachen mit dem Regisseur

Mr. Gilroy, Sie porträtieren in »Nightcrawler« den Kameramann Lou, der Nacht für Nacht auf die Jagd nach Bildern von Unfällen und Gewaltverbrechen geht. Wie nahe kommen Sie damit der Realität?

 

Wir haben selbst ein paar Nächte mit einem dieser »Nightcrawler« verbracht und das war wirklich grauenerregend. Der erste Einsatz war ein schrecklicher Autounfall am Highway mit mehreren Toten. Wir standen da völlig schockiert, während dieser Kameramann die Szenerie ganz professionell abfilmte, schnell zum Auto lief, um das Material zu schneiden und an vier Fernsehsender zu verkaufen.

 

Woher haben Sie diese eigentümliche Sprache Ihrer Hauptfigur?

 

Alles, was er sagt, hat er aus dem Internet. Er ist fast wie ein Roboter, der auswendig gelerntes wiedergibt und nicht in der Lage ist, auf seinen Gegenüber einzugehen. Alles kommt ein wenig falsch aus ihm heraus. Dadurch entsteht die etwas schräge Komik, die in der Figur steckt.

 

Welche Haltung wollten Sie mit Ihrem Film gegenüber diesen Leuten einnehmen, die die blutige Sensationsgier des Fernsehpublikums füttern?

 

Dieser Mann und seine Kollegen sehen sich selbst als Dienstleister. Ihre Filmaufnahmen sind oft der Aufmacher in den Lokalnachrichten von Los Angeles. Offensichtlich gibt es bei den Zuschauern ein starkes Verlangen nach solchen Geschichten, und deshalb fällt es mir auch schwer, diese Männer für ihre Arbeit zu verurteilen. Mir ging es darum, diesen Teil der Medienwelt so genau wie möglich zu porträtieren, damit die Zuschauer selbst entscheiden können, was sie davon halten.

 

Wie kommt es, dass gerade in den USA diese Form von blutigem Sensationsjournalismus so stark ausgeprägt ist?

 

In den USA haben die Fernsehsender vor einigen Jahrzehnten beschlossen, dass auch die Nachrichtensendungen Profit mit Werbung machen müssen. So werden sie Teil der Unterhaltungsindustrie. Die Erzählform, die wir in den amerikanischen TV-Nachrichten präsentiert bekommen, ist eine Erzählung der Angst. Die Leute haben Angst, dass sie, wenn sie den Nachrichtenbeitrag verpassen, nicht vor den Gefahren gewarnt sind, die da draußen auf sie und ihre Familie lauern. Dieses Spiel mit der Angst ist eine sehr mächtige und sehr effektive Strategie.

 

Gibt es noch ethische Grenzen, was im Fernsehen gezeigt werden darf?

 

Die gibt es, aber sie werden zunehmend aufgeweicht. In Los Angeles werden Autoverfolgungsjagden oft auch direkt im Fernsehen übertragen. Aber es gibt eine Verzögerung von sechs Sekunden bei der Ausstrahlung, weil dabei oft auch Menschen erschossen werden und diese Bilder dann rausgeschnitten werden. Bis vor kurzem gab es einen Konsens unter den TV-Sendern, dass man das nicht zeigt. Aber im letzten Jahr wurde die Verzögerung bei der Übertragung schon zwei Mal ausgetrickst, und die Zuschauer haben live mitangesehen, wie Menschen getötet werden. Und natürlich gingen die Quoten nach oben.

 

»Nightcrawler« ist nicht nur das Porträt einer gewaltsüchtigen Mediengesellschaft, sondern auch das einer Generation, der die ökonomische Krise die Perspektiven geraubt hat.

 

In den USA und anderswo gibt es Millionen von jungen Menschen, die wie Lou im Zuge von Globalisierung und Wirtschaftskrise arbeitslos geworden sind und nur wenig Hoffnung auf eine sinnvolle Karriere haben. Sie machen ein Praktikum nach dem anderen, haben keine Krankenversicherung, suchen verzweifelt nach einem Job und landen in Berufen, die sie eigentlich nie machen wollten.

 

Steht Lous Erfolgsstory auch für eine pervertierte Form des Amerikanischen Traums?

 

Ich kann mir Lou in zehn Jahren gut als Geschäftsführer eines großen Konzerns vorstellen. Natürlich treffen viele Manager in den Chefetagen von Banken und multinationalen Unternehmen Entscheidungen, die weitaus verwerflicher als Lous Taten sind. Wenn man 40.000 Menschen um ihre Rente bringt und sich eine Zwölf-Meter-Yacht kauft, ist das für mich sehr viel krimineller. Aber ich glaube, dass Lou durch seine Arbeit auf das Leben in den Vorstandsetagen sehr gut vorbereitet wäre.

 

 


Dan Gilroy wurde  Mitte der 80er Jahre als Mitglied der Pop-Band Breakfast Club bekannt, deren frühe Schlagzeugerin später unter ihrem Künstlernamen Madonna Karriere machte. Gilroy arbeitete bislang als Drehbuchschreiber (»The Fall«, »Das Bourne Vermächtnis«), »Nightcrawler« ist sein Regiedebüt

 

Interview: Martin Schwickert

 


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