Baustau und Projektfieber

Ist ein so komplexes und dynamisches Gebilde wie die moderne Großstadt planbar? In welchem Spannungsfeld agieren Stadtplanung und Stadtentwicklung? Ralf Niemzcyk beleuchtet die ehrgeizigsten aktuellen Projekte in Köln.

Abenteuerspielplatz Rheinauhafen

Da steht sie nun, die silbern schimmernde Infobox an der Bayenstraße. Der Rheinauhafen spielt Potsdamer Platz. Die Großbaustelle als Ausflugsziel. Eine dreistöckige Aussichtsplattform erlaubt den Blick über Holzwerft, Hafenbecken und Hochwasserschutzmaßnahmen.
1991 begann der erste städtebauliche Wettbewerb zur Umwandlung des stillgelegten Rheinauhafens. Ein Sieger wurde gekürt, doch das Konzept landete im Hängeregister. Es gab schlichtweg keinen Bedarf für einen weiteren Bürostandort. Stattdessen geriet die Uferzone zum beliebten Abenteuerspielplatz für »Tatort«-Dreharbeiten, Partys und Design-Events. Erst im Februar 1998 begannen die Vorbereitungen des Bebauungsplanes. Man stritt leidenschaftlich über Verkehrsanbindung, Bruttogeschossflächen und die gläsernen Kranhäuser an der Uferkante. Ein ganzes Jahrzehnt nach Verabschiedung der ursprünglichen Konzeption begannen die Abbrucharbeiten. Mittlerweile drehen sich sogar die Bau-Kräne, doch beim Richtfest der Tiefgarage mussten die Entwickler von der Häfen- und Güterverkehr Köln AG (HGK) einräumen, dass es mit der Vermarktung längst nicht so gut läuft wie zwischenzeitlich signalisiert.

Mieter nicht in Sicht

Wenig Neues bei den konkreten Nutzern: Die Luxuswohnungen, die nun statt dem Ökokaufhaus im Speicherkomplex »Siebengebirge« entstehen sollen, lassen wegen Abstimmungen mit dem Denkmalschutz auf sich warten. Die potenziellen Investoren der Kranhäuser drängen auf Rendite-steigernde Nachbesserungen. Die Werbeagentur Barten und Barten als Mieter für das alte Silo wird gar nicht mehr erwähnt. 200.000 Quadratmeter Nutzfäche (Wohnanteil rund 30%) driften geradewegs in die Flaute auf dem Immobilienmarkt. Dazu kommt, dass in den quälenden Jahren des planerischen Hickhacks die konzeptuellen Inhalte flöten gegangen sind; mal abgesehen von »Arbeiten und Leben am Wasser«. Die angrenzende Südstadt ist längst zum dösigen Wohnbiotop für Studienräte mutiert. Nur zu gerne hätte man hier auf ein brodelndes Hafenareal verzichtet. Der stereotyp zitierte Branchenmix aus Medien, Telekommunikation, Hotels und Entertainment leidet seinerseits unter Schwindsucht. Wird es also gelingen, dem 1,8 Kilometer langen Uferstreifen jene Hipness und coole Modernität zu verpassen, die heutzutage nötig ist, um Architekturmodelle in prosperierende Quartiere zu verwandeln? Auch im Mediapark mussten seinerzeit »Ankermieter« wie Viva mit Kampfpreisen angelockt werden, um den Standort überhaupt in Schwung zu bringen. 93,4 Mio. Euro steckt die HGK an Entwicklungskosten in den Rheinauhafen, weitere 500 Mio. Euro sollen von privaten Anlegern folgen. Während Barcelona, Düsseldorf, Rotterdam und Hamburg den ökonomischen Boom der 90er Jahre nutzen konnten, um ihre Hafenprojekte zu verwirklichen, beginnt Köln damit mitten in der Krise. Nicht von ungefähr wurde der Realisierungszeitraum bis 2008 gestreckt.
Köln zwischen Baustau und Projektfieber. Hysterisch wie in der New Economy reihten sich in den letzten Monaten die Meldungen über eine aus der Spur geratene Stadtentwicklung aneinander. Atemlos ging die Achterbahnfahrt von den Desastern der kommunalen Kulturpolitik über die Abwanderung der Popkomm zum verhinderten Deutzer »Reuleaux-Tower«. Zuletzt wurde RTL mit einem finanziellen Kraftakt in die Rheinhallen der Messe gelockt; was wiederum dem eben noch schwer schlingernden Projekt der zweiten City im Rechtsrheinischen den dringend notwendigen Schub versetzte, um nicht gänzlich im Handbuch »Für Köln geplant – nie gebaut« zu verschwinden.

Quo vadis Mediapark und Museum Ludwig?

Hyperventilierend kämpft eine Stadt gegen den drohenden Substanzverlust. Der glücklose Gemütsmensch und Oberbürger-meister Fritz Schramma meinte in einer Pressemitteilung zum RTL-Coup: »Auch in Anbetracht der schwierigen Finanzlage verfällt Köln nicht in Depression, sondern kann zuversichtlich in die Zukunft blicken«. Zukunft? Zuversicht? Im Mediapark, der in diesen Tagen mit der Übergabe des »Block V« rund zehn Jahre verspätet vor seiner endgültigen Fertigstellung steht, dürfte man dafür nur ein mildes Lächeln übrig haben. Der noble »Holmes«-Fitnessclub ist der einzige feststehende Mieter, mit dem das Baustellenschild neben dem Cinedom werben kann. Ansonsten sind 28.000 Quadratmeter in bester Lage zu vergeben, aufgeteilt in fünf halbkreisförmige Einzelgebäude. Geschwungene Verwaltungsarchitektur des Amsterdamer Architekten Hermann Hartzberger. Gebaut als »Risiko-Investition« für jene Unternehmen, die sich ganz plötzlich und ohne lange Planungsphasen nach einem neuen Standort umsehen. Nur leider sind diese derzeit rar gesät.
Die städtischen Museen nahmen vorweg, was jetzt auch dem gesamten Städtebau droht: abspecken, umplanen, komplett streichen. Im Museum Ludwig bereiten Handwerker gerade die Sparversion des ursprünglichen Foyer-Umbaus von Rem Kohlhaas’ OMA vor. Umplanungen wegen Gerangels um die Grundstücksrechte der Dom-Kirche und um das Architekten-Copyright trieben die Kosten hoch, dann formulierte der schwarz-grüne Koalitionsvertrag das Aus für die großzügige Neugestaltung von Foyer und hinterer Domplatte, die den Aufbruch unter Direktor Kasper König markieren sollte. Stattdessen werden nur noch die nötigsten Innenarbeiten ausgeführt.

Sparvariante Kulturzentrum am Neumarkt

Ein vorläufiger Endpunkt auch beim grotesken Gezerre um das Kulturzentrum am Neumarkt (vgl. StadtRevue 8/03). Das Ding wird – gekappt um ein Stockwerk – nun doch gebaut. Eine radikale Alternative, wie sie Architekt Bernd Kniess als Sprecher der Initiative Haubrich-Forum vorstellte, die das Völkerkundemuseum am Ubierring belassen würde und den gesamten Stadtraum am östlichen Neumarkt um »ein Forschungszentrum für moderne und zeitgenössische Kunst« neu ordnen würde, hatte keine Chance. Kulturminister Vesper wollte mit seinen Zuschüssen von 18,9 Mio. Euro plus 5,1 Mio. Städtebau-Förderung »möglichst schnell zu Potte kommen«. Augen zu und durch. Keine Antwort dagegen, wie die gebeutelte Kulturverwaltung die künftigen Betriebskosten aufbringen soll. Da versteht sich fast von selbst, dass an eine Neuordnung des Stadtraums entlang der zentralen Hahnenstraße oder die lange geplante Tunnelführung der Nord-Süd-Fahrt in Höhe der Oper vorerst nicht zu denken ist. Schließlich muss auch noch die verkorkste Budgetplanung der Südstadt-U-Bahn gestemmt werden.

Unerfüllte Hochhaus-Träume in Deutz

Im Februar 2003 stellte ein städtischer Investorenkongress die kühne Frage »Köln – vom regionalen Markt zum internationalen Immobilienstandort!?« Immerhin wurden seit 2000 jährlich rund 170.000 Quadratmeter Gewerbeflächen neu vermietet. Für hiesige Verhältnisse eine stattliche Summe, doch darüber hinaus kein Grund zur Aufregung. Frankfurt und München, selbst Düsseldorf kalkulieren seit Jahren in anderen Dimensionen.
Dennoch wähnten sich die kölnischen Entwickler endlich in der Liga der europäischen Metropolen. Die geplante »Hochhaus-Krone« am ICE-Kreuzungsbahnhof Deutz nebst Kongresszentrum und Messeboulevard sollte dafür ein weithin sichtbares Zeichen setzen. Stattdessen erfolgte ein kapitaler Schuss in den Ofen. Die schwarz-grüne Koalition stellte sich Ende Juli gegen den bereits im Bau befindlichen »Reuleaux-Tower« des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Ein kommendes Hochhaus-Symposium sollte die Standort-Bedenken der Grünen und der UNESCO (von wegen verstellte Sichtachse zum Weltkultur-Erbe Dom) nochmals diskutieren. Dem Investor platzte daraufhin der Kragen. Schluss, aus! Der Turm wird auf Höhe der siebenstöckigen Randbebauung abgedeckelt und dem neuen Zentrum am Ottoplatz ist auf absehbare Zeit der viel beschworene »Eyecatcher« abhanden gekommen. Ein Lehrstück in puncto Planungs-Anarchie. Schließlich existiert seit zehn Jahren ein Hochhaus-Standort-Konzept der Verwaltung, das freilich nie vom Stadtrat abgesegnet worden ist. So entzündet sich die Grundsatzdebatte mit schöner Regelmäßigkeit aufs Neue. Zuletzt Anfang 1999, als Lammerting Immobilien gegenüber dem Stadtgarten ein 70-Meter-Hochhaus errichten wollten.
Die City Deutz existiert nach zwei städtebaulichen Wettbewerben weiterhin nur im Modell. Schon beim ersten siegreichen Entwurf des Kölner Büros Jaspert & Steffens hatte die Bahn als zentraler Bauherr die wirtschaftliche Machbarkeit des Projektes eingefordert. Erst erschien das imposante Glasdach über den Bahnsteigen zu teuer. Dann hieß es, die 60 Meter breite Passage hinüber zu den neuen Messehallen müsste deutlich schmaler ausfallen.

Standort Messe im Abwärtstrend

Mittlerweile hat sich auch die Realisierung des Kongresszentrums und der flankierenden Hochbauten von 2005 auf 2008 bis 2010 verschoben. Wer braucht ein 100 Meter hohes Messehotel, nachdem die neue Konkurrenz von Hilton, SAS Radisson und Interconti bereits für rapide sinkende Auslastungszahlen sorgte? Schließlich ist die Messegesellschaft längst nicht mehr jene kommunale Cashcow, die den Deutzer Masterplan alleine vorantreiben könnte. Die Aussteller buchen kleinere Stände, verschiedene Großveranstaltungen wie Domotechnica, Herrenmodewoche oder die Motorradschau der IFMA wanderten ganz ab. Gegenwärtig werden mit den Ersatzwohnsiedlungen für den zum Abriss frei gegebenen »Barmer Block« zwischen Bahnhof und Osthallen Fakten geschaffen. Ob dabei allerdings mehr herauskommt, als lediglich Ersatzflächen für die RTL-genutzten Rheinhallen, gilt nach dem Abspeck-Sommer 2003 keineswegs als sicher.
Das grundsätzliche Dilemma ist gegenüber der östlichen Messehallen zu besichtigen: »85.000 Quadratmeter Bürofläche in 7 individuell gestalteten Gebäuden« heißt es auf einem Werbeplakat für den kommenden »Foreal-Büropark« zwischen Deutz-Mülheimer Straße und Bahndamm. »Hochwertige Architektur« vom Hamburg-Aachener Großbüro Gerkan, Marg und Partner wird dort angekündigt, »bezugsfertig ab Frühjahr 2004«. Acht Monate vor der projektierten Eröffnung: kein Bagger weit und breit. Nur das künftige Zentrum des 180 Mio. Euro teuren Viertels, die ehemalige Waggonhalle der Paketpost, steht seltsam deplatziert auf der Schotterfläche herum.


Außerdem in der aktuellen StadtRevue:

- Andreas Denk skizziert historische Stadtbaukonzepte für Köln - und wie sie die Stadt heute noch prägen

- Die prominentesten Kölner Großbaustellen



Ergänzend zur Titelgeschichte veranstaltet die StadtRevue gemeinsam mit »plan03 - Forum aktueller Architektur« zwei Diskussionsabende, die aktuelle architektonische und urbane Fragen beleuchten.

Mittwoch, 24.9.:
Urbane Identität und die Wiederentdeckung der 50er, 60er und 70er Jahre
Podium: Frauke Burgdorff (Moderation), Andreas Denk, Kristin Feireiss, Wiel Arets, Udo Mainzer

Donnerstag, 25.9.:
Was für Häuser braucht die Stadt? Kölner Stadtplanung zwischen Denkmalpflege, Sozialpolitik und Wirtschaftsinteressen
Podium: Claudia Dichter (Moderation), Barbara Moritz, Bernd Kniess, Gitta Rometsch, Ralf Niemczyk

Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtsschule,
jeweils 20 Uhr