Kleine Räume, große Wirkung

Klaus Weise, zuletzt experimentierfreudiger »Seriensieger« am Theater Oberhausen, kommt als Intendant nach Bonn. Morten Kansteiner hat ihn besucht.

Nach zwölf Jahren Oberhausen ist Klaus Weise (geb. 1951) mit seinem Wechsel nach Bonn an einem größeren Haus gelandet. Zwar musste Interimsintendant Arnold Petersen in der vergangenen Saison die Ausgaben herunterfahren – das Budget ist von rund 40 auf 33 Millionen Euro geschrumpft. Aber im Vergleich zu Oberhausen bleibt das Dreispartenhaus in Bonn ein Schwergewicht. Weise, der auch häufig inszeniert, hat viele SchauspielerInnen aus Oberhausen mitgebracht und als Chef der Tanzabteilung den 63-jährigen Anarcho-Choreografen Johann Kresnik geholt. Gleichzeitig knüpft er an die Arbeit seines Vorgängers Manfred Beilharz an, Bonner Intendant von 1997 bis 2002: Mit »bonn chance!«, der Reihe für experimentelles Musiktheater, und dem Festival »Biennale Bonn« übernimmt er zwei eingeführte Marken.


StadtRevue:Sie sind mit Oberhausen in der Kritiker-Umfrage der Zeitschrift »neues rheinland« fünf Mal zum besten Theater im Rheinland gewählt worden...

Weise: Ja, ja, das ist so. Und jetzt ist die Zeitschrift eingestellt worden (lacht). Es wurde irgendwie langweilig.

Von der Bonner Presse werden Sie als der »Seriensieger« willkommen geheißen. Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um?

So ein Erwartungsdruck ist immer angenehm. Das zeigt ja, dass die Leute vom Theater etwas wollen, dass es ihnen nicht gleichgültig ist. Ob das jetzt im Schauspielbereich gleich so laufen kann wie in Oberhausen, weiß ich nicht.

Dort haben Sie erfolgreich Orte außerhalb des Theaters bespielt. Sie haben zum Beispiel auf einer Halde gespielt oder im Gasometer. Werden Sie hier jetzt in leere Botschaftsgebäude gehen?

Ich habe eine Besichtigung im Palais Schaumburg gemacht, wo Konrad Adenauer saß und auch das erste Kabinett. Den Kanzlerbungalow habe ich von außen gesehen. Das sind schnuckelige kleine Räume, die haben natürlich mit der Gigantomanie der Ruhrgebiets-Industriebrachen nichts gemeinsam. Trotzdem ist der ganze europäische Gedanke da entstanden. Kleine Räume mit großen Wirkungen. Und dem werden wir uns stellen. Ein Strang unseres Spielplans besteht darin, dass wir versuchen, die deutsche Geschichte zu reflektieren. Das beginnt mit dem »Caligari«-Projekt nach dem Film von Robert Wiene. Es gibt ja von Siegfried Kracauer »Von Caligari bis Hitler«, dieses wunderbare Filmbuch über Stummfilme und wie das alles, so Kracauer, zwingend im Faschismus enden musste. Diese Untersuchung werden wir fortsetzen. Wir machen von Sartre »Die Eingeschlossenen von Altona«, und wir machen von Martin Sperr »Jagdszenen aus Niederbayern« – also Stücke, die sich mit dem Krieg oder der Nachkriegszeit beschäftigen.

Sie lassen sich von Orten inspirieren. Mit welchen Produktionen gehen sie diese Saison tatsächlich raus aus dem Theater?

Wir machen mit zwei Mitgliedern der Gruppe Rimini-Protokoll das Außenprojekt »Markt der Märkte«.

Letztes Jahr hat Rimini-Protokoll in Bonn eine Bundestagssitzung nachgestellt. Worum geht es diesmal?

Sie haben sich den sehr schönen Markt in der Bonner Altstadt angeguckt. Auf und mit ihm wollen sie ihre Art der Realitätsinszenierung machen. Sie betreiben gerade Feldforschung, gucken sich das an, unterhalten sich mit Leuten und entwickeln daraus ein Programm. Wir werden uns natürlich auch mit dem Rhein beschäftigen, mit diesem wunderbaren Fluss, gar keine Frage. Das ist noch nicht ganz druckreif, aber ich habe ein Projekt vor, das wahrscheinlich im Frühsommer 2004 zu verwirklichen sein wird.

Jetzt haben Sie mehrere rote Fäden genannt: die deutsche Geschichte, der Rhein. Aber das offizielle Motto für die Spielzeit ist ja ein anderes: »MÄNNERMACHTFRAUEN«. Ist das nicht eine sehr allgemeine Überschrift, unter die fast alles passen würde?

Das hat natürlich mit »Macbeth« zu tun und mit »Lulu«, die wir in der Oper machen. Genau so mit dem »Tartuffe« und mit der »Jungfrau von Orléans«, die wir im Schauspiel zeigen. Mit so einem Motto geht es mir darum, ein bisschen Neugierde zu wecken, nicht darum, eine These aufzustellen, die im Spielplan durchdekliniert und nach Möglichkeit bewiesen wird. Theater ist für mich kein Beweisinstrument. Deshalb würde ich eine größere Konkretion nicht gerne haben wollen.

Wäre es nicht sinnvoll, dass sich städtische Theater stärker spezialisieren, in dieser Zeit, wo alle sparen müssen? Dass Sie in Bonn zum Beispiel einen Schwerpunkt setzen, der die Arbeit in Köln ergänzen könnte?

Die Arbeit in Köln, die kenne ich ja gar nicht. Ich halte die Rheinstädte Düsseldorf, Köln, Bonn für sehr autonom und glaube nicht, dass da eine inhaltlich-ästhetische Absprache Sinn macht.

Es könnte doch zu interessanten Spezialisierungen und auch zu Niveau-Gewinnen führen, wenn man beispielsweise konsequent an spartenübergreifenden Projekten arbeiten würde.

Ich habe hier ein großes Orchester, und mit dem werde ich nicht ausschließlich spartenübergreifend arbeiten können und wollen. Es gibt hier ein Bedürfnis der Leute, in die Oper zu gehen.

Aber grundsätzlich interessiert es Sie schon, die Sparten des Hauses inhaltlich zu verknüpfen?

Ja, das ist Programm. Gerade auf der Experimentierbühne »Werkstatt«. Da möchte ich, dass Leute von Kresnik mit Schauspielern und mit Leuten aus der Oper arbeiten. Das soll ein Forum sein, um so etwas erst einmal in einer kleineren Form auszuprobieren. Ich kann das nicht gleich in einem Saal mit 1.100 Zuschauern tun.

Ein anderes Stichwort ist die Biennale Bonn. Sie werden sie weiterhin veranstalten, aber inhaltlich ganz anders als zuvor. Beim Start 2004 soll es um »New York« gehen.

Ich bin weggekommen von dem Gedanken, das europäische Autorentheater zu zeigen. Ich finde das hat Herr Beilharz sehr gut und sehr ausführlich getan. Vielleicht ist jetzt mal ein Blick woanders hin interessant, in ein Lebenszentrum, eine Kulturmetropole wie New York. Mich interessiert einfach, was in so einer Stadt entsteht – an Literatur, Musik, Theater, Performance; also nicht nur innerhalb einer Sparte.

Wollen Sie mit dem Festival auch die überregionale Wirkung des Bonner Theaters betonen?

Eigentlich möchte ich gerne an eine gewisse kosmopolitische Offenheit anknüpfen, die es hier gibt. Es sitzen noch UN-Institutionen hier, auch ein paar Ministerien. Ich glaube es entspricht auch dem Selbstverständnis der Bonner, dass sie sehr weltoffen sind.

Sie orientieren sich an den konkreten Bedingungen hier in Bonn. Machen Sie also eher ein Theater für die Stadt und für die Region?

Ja.

Sie haben nicht den Ehrgeiz, Bonn auf die vorderen Plätze der Theaterbundesliga zu befördern?

Da kommt man ja nicht hin, weil man das will, sondern nur wenn man gute Aufführungen macht, wenn man ein Gespür für ein gutes Ensemble hat, risikobereit ist, gute Regisseure entdeckt und nicht nur einkauft. Ansonsten freue ich mich natürlich, wenn ich weiterhin mit den Bühnen verglichen werde, mit denen ich in Oberhausen auch verglichen wurde (lacht wieder).

Info
Kompletter Spielplan: www.theater-bonn.de
Eröffnungspremiere: »Tartuffe« von Molière, R: Klaus Weise, 19.9., Kammerspiele Bad Godesberg, 19.30 Uhr
»Markt der Märkte«, von Helgard Haug/Daniel Wetzel (Rimini-Protokoll), 24.9. (Uraufführung), Marktplatz Bonn, 17.30 Uhr