Königsdramen im Postfordismus

Die erfolgreiche Black-Music-Firma Destiny’s Child ist ins Trudeln geraten. Trotzdem lässt Chef Mathew Knowles so kurz vor ihrer Tour nichts anbrennen. Über Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse im zeitgenössischen Pop.

Benennen wir es als das, was es ist: Das große Drama. Der Preis des Erfolgs. Jahrelang saßen vier Mädchen zu Hause und probten. Beyoncé, Kelly, LaTavia und LeToya. Sie waren elf Jahre alt, sie wurden zwölf, sie wurden sechzehn – irgendwann gibt Mathew Knowles, der Vater von Beyoncé, seinen Job auf und fängt an, das Quartett zu managen. Destiny’s Child sind geboren. Sie bringen ein Album heraus, ein Stück – »No, No, No« – schafft es, weltweit in die Charts zu kommen. Doch das reicht nicht. Den vier macht es Spaß zu singen, sie sind ehrgeizig und ihr Manager hat Großes mit ihnen vor. Das ist gerade einmal vier Jahre her: Nun touren Destiny’s Child um die Welt, und das Album, das sie im Gepäck haben, ist erst ihr drittes, trotzdem heißt es »Survivor«.

Die Motown-Fabrik

Was ist passiert? Wagen wir doch einmal die große These – wo in diesen Tagen doch ohnehin überall von Michael Jackson die Rede ist und sich zu Michaels 30. Bühnenjubiläum vor einigen Wochen nicht nur die legendären Jackson 5 wiedervereinigten, sondern sich auch Michaels Eltern im Publikum zeigten: Wenn Motown mit seiner fließbandartig organisierten Hitfabrik den Fordismus in den schwarzen Pop einführte, dann war der Moment, als Vater Joe Jackson mit seiner Familie bei Motown vorstellig wurde, der Anfang vom Ende dieses Prinzips. Und Destiny’s Child ist die momentan erfolgreichste und perfekt funktionierende postfordistische Hitmaschine. Das geht nicht ohne Tränen.
Motown, tausendmal ist die Geschichte schon erzählt worden, funktionierte wie eine Fabrik. Es gab den Chef, Berry Gordy, und es gab die Arbeiter und Angestellten: die Interpreten, die Musiker, die Benimmlehrer, die Stylisten, die Tanzlehrer, die Tontechniker, die Rechtsanwälte und all die anderen, die dafür sorgten, dass die Motown-Platten so perfekt wurden, wie sie bis heute sind. Die Jackson 5 führten ein neues Moment in dieses System ein – sie waren eine Familiengruppe, ihre Loyalität galt also sowohl der Firma als auch der Familie. Und mit ihrem Vater hatten sie einen eigenen Manager. Das alles ist nun dreißig Jahre her. Plattenfirmen funktionieren heute nicht mehr wie fordistisch organisierte Fabriken. Was immer outgesourct werden kann, wird outgesourct. Gerade weil es um Pop-Musik geht, ein Produkt mit extrem schneller Halbwertszeit und um die kaufkräftige Jugend als Konsumenten, Menschen also, die keine besonders hohe Produktbindung haben. Je weniger in den Konzernen produziert wird, desto besser. Kleine Firmen sind viel besser in der Lage, diese ganz speziellen Zielgruppen zufrieden zu stellen.

Arbeitsteiliger Familienbetrieb

Destiny’s Child sind das perfekte Beispiel für diese State-Of-The-Art-Produktionsweise von Pop. Sie sind bei keiner Plattenfirma mehr angestellt, sie sind ihr eigenes Unternehmen. Ein Familienbetrieb, der über eine ganz bestimmte Arbeitsteilung funktioniert: Tochter Beyoncé steht im Mittelpunkt der Gruppe, Adoptivtochter Kelly ist an ihrer Seite, Beyoncés kleine Schwester Solange ist Backgroundtänzerin und -sängerin, Mutter Tina kümmert sich um die Haare und die Schminke. Bevor Vater Mathew Knowles anfing, Destiny’s Child zu managen, arbeitete er als Verkaufs- und Marketingspezialist in der Elektronikindustrie. Für alles, was die Familie nicht erledigen kann, werden Spezialisten engagiert. Und dieser Kleinbetrieb gibt seine ganz spezielle Dienstleistung an einen Großkonzern weiter, der sich nur noch um die Werbung und die Distribution kümmert. Vielleicht kann die schönste und gleichzeitig avancierteste Popmusik, die man sich im Moment vorstellen kann, nur genau so entstehen: unter den modernst-möglichen Bedingungen.
Es war Destiny’s Childs zweites Album »The Writing On The Wall«, das sie zu einer der erfolgreichsten afro-amerikanischen Girl Groups ever machte. Anstatt als One-Hit-Wonder in die Annalen der Geschichte einzugehen, verkauften sie Millionen von Platten, koppelten aus der Platte fast so viele Singles aus wie Michael Jackson damals aus »Thriller«. Es gab niemanden, der nicht hingerissen wurde von der Art, wie die Produzenten Timbaland, Kevin »She’kspere« Briggs und Rodney Jerkins komplizierte Beats mit dem Harmoniegesang der vier Mädchen verbanden. Das waren Beats, die als HipHop-Track niemals funktioniert hätten, zu sehr hätten sie sich mit dem Stakkato des Rap um Aufmerksamkeit gestritten. Aber mit dem Gesang der vier Stimmen ergänzten sie sich perfekt. Dies musste wohl die Zukunft der Popmusik sein.
Neben allen musikalischen Aspekten: Auch das Timing der Platte war perfekt. Mit »Get On The Bus« gab es eine Single lange vorweg. Jedes einzelne Stück des Albums war hitfähig. Was im R’n’B ein wichtiger Aspekt ist, ist diese Musik doch seit jeher Single-Musik und sind Alben eigentlich nur das Medium, um möglichst viele Hits anzusammeln.

Konflikte und Entlassungen

Aber so schön das aussieht und so gut sich das anhört, wenn der Erfolg kommt, kommt es zu Konflikten. Wenn es in Dienstleistungsunternehmen Konflikte gibt, lässt man sie durch Anwälte regeln, und die streiten sich bis heute darüber, was dann passierte. Die Versionen gehen auseinander. Die einen – die, die jetzt nicht mehr mitsingen – sagen, sie seien unter fadenscheinigen Begründungen aus der Band gemobbt worden. Der Vater von Beyoncé habe seine Tochter in den Mittelpunkt stellen wollen und deshalb LaTavia und LeToya herausgeworfen – er habe sogar deren Mütter aus dem Tourbus verbannt, um sie zu demoralisieren. Die andere Seite sagt, die beiden seien untalentiert, und nicht bereit gewesen, hart genug zu arbeiten. So etwas zehrt. Jahrelang singt man mit seinen besten Freundinnen, dann ist man auf dem Gipfel des Ruhms, und der vertraute Zusammenhang wird zerstört. Auch die Nachfolgerin der beiden Geschassten hat mittlerweile Beyoncés Vater verklagt. Wenn sie in Interviews nach ihrer Zeit bei Destiny’s Child gefragt wird, sagt sie, es sei sektenhaft gewesen, es gebe nur Freund und Feind, wer sich nicht der Kontrolle von Vater Knowles entziehe, gehöre zum feindlichen Lager.
Was also tun? Destiny’s Child waren nicht nur erfolgreich, sie waren auch die Gruppe, die im Zentrum des Mädchen-singen-davon-dass-ihre-Typen-es-nicht-bringen-sondern-sie-nur-ausnutzen-und-deshalb-schleunigst-verschwinden-sollen-Genres standen. Jedes ihrer Stücke handelte davon, sich von Jungs nichts bieten zu lassen. Und ausgerechnet die lassen sich von ihrem Manager dominieren? Beyoncé, die Leadsängerin, damit gar von ihrem Vater? Und Kelly von ihrem Adoptivvater? Wie reagiert ein Familiendienstleistungsbetrieb auf eine solche Situation? Man rückt enger zusammen, man macht weiter wie bisher, und man kommuniziert die Probleme nach außen, indem man den Umstand, dass es einen noch gibt, zum Erfolg deklariert.

Konsolidierung auf hohem Niveau

Deshalb also »Survivor«, deshalb auch »Independent Women«, die erste Single, die dem Album voran geschickt wurde, ein gelungener Update des Ich-lasse-mir-nichts-bieten-Images. Spielte das erste Album noch für den Schulhof, so handelt das neue vom Leben in der Agentur. Das hört sich zwar nicht mehr ganz so zukunftszugewandt an, wie noch die Stücke der letzten Platte, aber der Futurismus in der Musik gehört fürs erste ja auch der Vergangenheit an.
Mit »Survivor« versuchen sich Destiny’s Child eher an der Konsolidierung auf hohem Niveau. Hier und da noch einer der berühmten Holperbeats, Harmoniegesänge und zu guter letzt ein Gospel-Medley. Und als wollte sie der Welt und allen, die ihr Böses wollen, beweisen, dass sie nicht nur Tochter ist, gibt es auf dem ganzen Album nur ein Stück, dass Beyoncé nicht mindestens mitgeschrieben und mitproduziert hätte. Executive Producer der gesamten Platte ist allerdings trotzdem ihr Vater. Mathew Knowles wird wahrscheinlich auch das letzte Wort gehabt haben, als es darum ging die Tanzlehrer und Fitnesstrainer, Choreographen und Masseure, Stylisten und Bühnenbildgestalter, Lichtkünstler und Busfahrer zu engagieren, die eine Gruppe wie Destiny’s Child benötigen, wenn sie auf Tour gehen. Denn davon kann man ausgehen: Live werden Destiny’s Child ähnlich perfekt, bezaubernd, großartig, entrückt-melodramatisch und straßeneckenerprobt sein wie auf Platte.

Destiny’s Child spielen am 29.10. in der Köln Arena. »Survivor« ist auf Columbia erschienen.