Hitchcock versteht jeder

»Film als Film« heute: Die Filmemacherin und -theoretikerin Birgit Hein über die Erben von X-Screen und den heutigen Umgang mit Avantgardefilm im Kunstbetrieb. Daniel Kothenschulte sprach mit ihr anlässlich der Kölner KunstFilmBiennale (s. nächste Seite).

 

StadtRevue: Gab es in den 60er Jahren, als Sie zu den Begründern von X-Screen zählten, ein tieferes Verständnis für Avantgardefilm als heute?

Birgit Hein: Ganz sicher nicht. In den 60ern musste überhaupt erst ein Verständnis erarbeitet werden. Das ist heute viel breiter und größer, weil – egal wie schwergewichtig – der Film durch das Video eine viel größere Rolle in der bildenden Kunst spielt. Er wird heute deshalb sehr viel ernster genommen.

Wo fand man denn damals mehr Verständnis – bei Leuten, die aus der bildenden Kunst kamen oder bei den Cinephilen?

Grundsätzlich bei denen, die vom Film her kamen. Man muss wissen, dass es zum Beispiel der Filmemacher Jonas Mekas war, der sich für Andy Warhols Filme eingsetzt hat – mit einer Energie, die im Kunstbereich kein Mensch dafür aufgebracht hätte. Bei der großen Warhol-Retrospektive 1989 in London war in der Ausstellung überhaupt kein Film zu sehen; das British Film Institute dagegen hat parallel zur Eröffnung ein großes Symposion zu seinen Filmen gemacht.

Sie haben in der ersten Hälfte der 70er Jahre als Autorin eine Menge für die Theoriebildung und historische Einordnung getan. Ist das alles ohne Wirkung geblieben?

Direkt, in der Zeit, ist es ohne Wirkung geblieben. Jetzt kommt eine Rückbesinnung. Man muss sich das einmal vorstellen: Mein Buch »Film im Underground« ist noch immer ein Klassiker und gehört noch immer zu den Büchern, die benutzt werden, weil es noch nichts Neues gibt. Insofern ist der Mythos langsam gewachsen über die Zeit. Als das Buch erschien, wurde ich nur niedergemacht, was für ein schlechtes Buch das sei.

Wie ist das heute: Finden Sie mehr Verständnis in der Filmwelt oder in der Kunstwelt?

Ich würde sagen, das Interesse ist jetzt gleich verteilt. Ich bin jetzt sozusagen etabliert. Das Interesse der Kunstwelt kommt zum Beispiel mit den großen Ausstellungen wie Berlin/Moskau (Beginn Ende September), oder »Expanded Screen« im Museum Moderner Kunst in Wien (ab Dezember). Andererseits hatte ich die größte Retrospektive bisher in diesem Jahr im Berliner Kino Arsenal bei den Freunden der Deutschen Kinemathek.

Wenn man heute durch Kunstausstellungen geht, hat man das Gefühl, dass Film als flüchtiges Medium geschätzt wird. Es ist zwar viel davon da, aber was da ist, stellt doch eher einen geringen Anspruch an die Geduld und Zeit des Besuchers.

Chantal Akkerman hat einen Kompromiss gemacht, den ich für sehr verwerflich halte. Sie hat ihre Filme aufgeteilt auf Monitore, und so kann man nun da durchlaufen und sich das ansehen. Aber im Grunde ist das, was ein Film an Konzentration erfordert, aufgegeben. Ursprünglich hat sie lange Filme gemacht, aber als Konzession an das Kunstpublikum wurde diese Konzeption aufgehoben. Wenn man, nur um ausstellbar zu sein, seine Filme so zerstückelt, finde ich das nicht richtig.

Nun gibt es ja auch Nutznießer von diesen anderen Bedingungen. Ich denke an Eija Liisa Athila, die im Filmbereich, aus dem sie kam, vorher nie beachtet wurde. Ist das nicht auch eine Chance, die der Kunstbetrieb Avantgardefilmern bietet?

Wenn man das mit seiner Arbeit vereinbaren kann, ja. Wenn es unter Hinnahme von Kompromissen geschieht wie bei Chatal Akkerman – dann nein. Ich könnte solche Kompromisse nicht machen.

Wenn man jetzt Nostalgisches über X-Screen liest und die verflossene Kölner Filmkultur – wie viel Verklärung ist da dabei? War es nicht eher eine Partykultur als die Begeisterung über die seltene Möglichkeit strukturelle Filme aus New York zu sehen?

Die Erinnerung ist einfach, dass die Leute an einem Prozess teilgenommen haben, der gerade im Entstehen war und unheimliche Emotionen ausgelöst hat. Die Underground Explosion von X-Screen war ungewöhnlich aggressiv im Vergleich zum Kunstbetrieb. Da wurde zwar auch Bier verkauft, und es gab sogar Flipperautomaten, aber was an Kunst passierte war unglaublich aggressiv.

Aggressiv auch in den Debatten?

Ja natürlich, es gab ja den Kampf vor der Kunsthalle, da ging es schon hart zur Sache: Sollte sie nun gestürmt werden oder nicht? Was die Leute begeistert hat, war schon, dass sie an etwas Vitalem teilgenommen haben.

Kann man nicht einfach sagen, dass das Interesse an Kunst generell gemäßigter und unkritischer geworden ist?

Das würde ich niemals wagen, so zu behaupten. Es ist einfach gerade ein anderes Stadium, eine andere Zeit. Es bilden sich heute ganz neue Formen, wie ich jetzt durch meine Studenten lerne. Es gibt eine neue politische Kunst, zum Beispiel den Videoaktivismus. Diese Künstler bestreiken den Kunstbetrieb zum Teil.

Was wäre denn der ideale Heimatort für den Film als Kunst?

Das kann ich so gar nicht beantworten. Ein idealer Punkt ist schon ein Stillstand. Es gibt keinen idealen Punkt, sondern nur Prozesse.

Kann man hoffen, dass durch so eine KunstFilmBiennale, wie sie jetzt in Köln entsteht, ein gebildeteres Publikum heranwächst? Gibt es überhaupt noch ein Verständnis für die ursprünglichen Kontexte?

Ich würde sagen, der kleinste Teil des Publikums kennt die historische Entwicklung, aber es wird hoffentlich Leute wieder dazu führen, sich damit auseinander zu setzen. Ich würde nie sagen, dieses Publikum ist dumm und dieses ist klug. Die entscheiden schon selber, und man kann nie voraus sagen, wohin sich eine Veranstaltung entwickelt.

Wie beurteilen Sie die Konzeption der Kölner KunstFilmBiennale?

Ich verstehe einfach nicht, was all diese Filme, nur weil sie mit Kunst assoziiert werden, miteinander zu tun haben: Dokumentarfilme über Künstler, Spielfilme, Filme von Künstlern, Kunstfilme. Ich habe schon früher heftig über die Teilung von Kunst- und Künstlerfilm geschrieben: Wenn es von einem Künstler ist, kann es wer weiß was sein – es ist automatisch Kunst. In sofern sehe ich keinen Fortschritt in der Kölner Reihe.

Haben Sie eine Erklärung, woher überhaupt das plötzliche Interesse der Kunstwelt am Film kommt?

Es ist ja gar nicht plötzlich. Es ist ein langer Prozess und inzwischen so evident, wie stark einfach der Film als Grundlagenmedium für Video, neue Medien, nonlineare Interfaces, Homepages u.s.w. grundlegend ist. Dem wird sich nun einfach gestellt. Darüber hinaus stellt sich eine ganze Künstlergeneration – etwa Douglas Gordon – der Hollywoodbildwelt. Zufällig ist das nicht, sondern sehr zeitgeistbedingt. Ich hoffe nur, dass daraus auch etwas erwächst, und nicht nur eine Adaption Hollywoods für die Kunst.

Bei Douglas Gordon kann man diesen Eindruck durchaus haben: Da werden eigene Kinoerfahrungen zum Anlass, die Aura des Kinos zu benutzen ohne viel damit anzustellen.

Ja, die Aura des Kinos wird jetzt benutzt, so kann man endlich das große Massenmedium, vor dem alle auf den Knien liegen, für die Kunstwelt vermarkten, und da fühlen sich alle sicher: Einen Hitchcockfilm versteht jeder. Wenn der vermarktet wird, fühlt man sich heimisch. Damit ist keine Provokation und kein Ausbrechen mehr verbunden.

Wenn ein Avantgardefilm auf einem Filmfestival läuft, hat er es dort total schwer. Ist der »Film als Film« nicht für die Filmwelt bereits verloren?

Das denke ich überhaupt nicht. Vielleicht haben sie wenig Chancen in Venedig. In Berlin im »Forum«, im »Panorama«, in Amsterdam auf dem Doku-Festival, in München: Das sind Festivals, auf denen ich meine Filme gezeigt habe. Auch Leipzig, was man vielleicht aus der Geschichte des Festivals nicht vermuten könnte. Die wirklich offenen Festivals für Essayformen sind Dokumentarfilmfestivals, und davon gibt es genug.

Glauben Sie denn, dass es irgendwann eine Kultur gibt, die den Film ähnlich gut versteht wie eine Kunst, die, sagen wir, aus der Malereitradition kommt?

Da bin ich ganz sicher. Aber es braucht halt seine Zeit.

Ist nicht das Ausrufezeichen auf der Kunst – wie auf einer Kunstbiennale – auch eine Einengung?

Das Programm ist soweit angelegt, dass ich eher fürchte, mit Kunst hat es nicht soviel zu tun. Eher mit Abbildung von Kunst. Film als Kunst spielt da nicht die größte Rolle. Die KunstFilmBiennale findet ja im Kino statt und versucht gar nicht, den Museumsraum umzufunktionieren. Von daher finde ich das nicht so innovativ.

Aber wenn ich Sie recht verstanden habe, sind doch die Vorführbedingungen im Kino grundsätzlich die besseren als in der Galerie?

Grundsätzlich sind sie das. Aber jetzt kommen wir an den nächsten Schritt: Ich habe Studenten, die in Galerien ihre Filme zeigen, und zwar als Ganzes. Und dann Diskussionen führen, das ist etwas, was für den Kunstbereich völlig neu ist. In Galerien wird normalerweise herumgelaufen, geguckt – und tschüss! Es bildet sich da etwas völlig neues heraus.

zur Person
Birgit Hein (*1942) wurde in den 60er Jahren gemeinsam mit Wilhelm Hein mit Fluxus-Filmen bekannt. Sie gehörten zu den GründerInnen der Filminititative X-Screen, die zwischen 1968 und 1971 in zum Teil spektakulärer Form die Kölner Öffentlichkeit mit Avantgardefilmen bekannt machte. Als Filmtheoretikerin und -historikerin war Birgit Hein in den 70er Jahren maßgeblich an Ausstellungen und Publikationen über Avantgardefilm im Kunstkontext beteiligt (Documenta 6, Ausstellung und Katalog »Film als Film« im Kölnischen Kunstverein, Buch »Film im Underground«). Zuletzt entstanden die Dokumentarfilme: »Die unheimlichen Frauen« (1992), »Baby I will make you Sweat« (1995) und »La moderna Poesia« (2000). Birgit Hein lehrt Film an der Kunsthochschule Braunschweig.