Die Doku lebt!

Trotz anders lautender Gerüchte: Nichtfiktionale Formate boomen. Und auch die politische Doku gibt es noch – im konkreten Fall zum Ärger eines bekannten Kölner Politikers

Rolf Bietmann, Kommunalpolitiker, Bundestagsabgeordneter, Rechtsanwalt, Rechtsprofessor, Berater und Geschäftsmann aus Köln, scheut keine großen Worte: Ein »politischer Skandal« sei es, dass »über einen öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund schlampiger Recherchen derartige Falschbehauptungen über meine berufliche Tätigkeit gesendet werden konnten«.
Mit dem öffentlich-rechtlichen Sender meint Bietmann den WDR, mit den »Falschbehauptungen« einen Film des Senders. Was er in diesem Fall mit seiner »beruflichen Tätigkeit« meint, ist schwieriger zu sagen – denn genau darum geht es in der WDR-Doku, die am 7. Juli unter dem Titel »Schlachtplan – Die sauberen Geschäfte des Abgeordneten Bietmann, Köln« gesendet wurde.
Thema des 45-minütigen Films ist die Abwicklung der einst größten Rindermastanlage Thüringens nach der Wende. Daran war Bietmann maßgeblich beteiligt. Die Dokumentation fragt, wo die über zehn Millionen Mark aus dem Verkauf der Tiere des ehemaligen volkseigenen Betriebs in Rusitz bei Gera geblieben sind – und welche Rolle Berater Bietmann dabei gespielt hat.
Wie es seine Art ist, klagte Bietmann daraufhin gegen den WDR. Am 29. August meldete der Kölner Stadt-Anzeiger etwas voreilig: »Bietmann setzt sich durch«. Tatsächlich hatte das Gericht aber einen Vergleich empfohlen: drei Streichungen und zwei Ergänzungen im Text des Films. Die Bietmann-kritische »Grundaussage« bleibe aber trotzdem »völlig erhalten«, versichert der verantwortliche WDR-Redakteur Gert Monheim.
Am 22. September sendete der WDR die veränderte Fassung der Dokumentation erneut – weil der Film »auf großes Interesse gestoßen« und das Thema »nach wie vor aktuell« sei, wie der Sender süffisant mitteilte. Und diesmal konnten sich die Zuschauer sicher sein: An dieser Version haben auch Bietmanns Anwälte nichts Falsches gefunden.

Mischung der Genres

Dokumentationen wie diese, die Ergebnisse investigativer Recherche präsentieren, gebe es im Event-Fernsehen von heute eigentlich gar nicht mehr, klagen Kulturpessimisten immer wieder. Zu Unrecht – denn >dokumentarische Formate sind weiter verbreitet denn je. Das hat der Düsseldorfer Medienjournalist Fritz Wolf in einer kürzlich erschienenen Studie des Adolf Grimme Instituts festgestellt. Bei seiner Auswertung des Fernsehmonats Oktober 2002 kam er auf 1.481 dokumentarische Sendungen.
Doch auch allzu selbstgewissen Fortschrittsoptimisten sei Vorsicht empfohlen: Erstens ist die Wiederholungsrate hoch. Und zweitens ist es gar nicht mehr so leicht zu sagen, was eine Doku überhaupt ist. Zwar nimmt einerseits die Formatierung immer weiter zu – denn bestimmte Sendeplätze verlangen ein bestimmtes Format, um wiedererkennbar zu sein. Doch andererseits mischen sich auch die Genres, es gebe einen Trend zu »hybriden Formen«, so Wolf. Was etwa ist die ARD-Erfolgsserie »Schwarzwaldhaus 1902«, für die eine Familie in einem Bauernhaus wie vor hundert Jahren lebte: Reportage? Doku-Soap? Histotainment?
Jedenfalls scheint es neben den Pseudo-Reality-Formaten, die immer weiter boomen (siehe auch vorige Seite), ein Interesse an ambitionierten, journalistischen Dokumentationen zu geben – wie etwa die immerhin 90-minütige Biografie des einstigen Nationalsozialisten und späteren RAF-Opfers Hanns-Martin Schleyer zeigt, mit der der Kölner Journalist Lutz Hachmeister und die ARD (wenn auch zu nachtschlafender Zeit) bewiesen haben, dass historische Formate auch jenseits von Guido Knopp, dem Dieter Thomas Heck des ZDF-Geschichtsfernsehens, möglich sind.
Wie groß das Interesse an dem ebenso produktiven wie vielfältigen Genre der dokumentarischen Form ist, zeigt übrigens auch eine Konferenz der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW, die vom 25. bis 27. September im Kölner Mediepark unter dem Titel »Schema F?« stattfindet. Bereits Wochen vorher waren alle Plätze ausverkauft.

Interkulturelles beim WDR

Cosmo TV heißt ein neues Format, mit dem der WDR am 13. September gestartet ist. Die Idee ist beim Radio geklaut, wo es mit Funkhaus Europa (auch WDR) und Radio Multikulti (RBB) bereits ganze Programme gibt, die einer kleinen, aber stabilen Zuhörerschaft Interkulturelles bieten. Im Radio funktioniert das auch über Weltmusik – im neuen Fernsehmagazin müssen es allein die Beiträge schaffen. Eine Stunde pro Woche, immer samstags ab 14 Uhr, ist nun im Dritten reserviert für Reportagen, Kulturtipps und Gespräche, die laut WDR vor allem »das veränderte Lebensgefühl der zweiten und dritten Migrantengeneration« widerspiegeln sollen.
Ob die Normalität interkulturellen Zusammenlebens dadurch vermittelt wird, dass man ihr einen Extra-Sendeplatz widmet, bleibt abzuwarten. Die Premiere von Cosmo TV jedenfalls war recht gelungen. Vor allem eine Reportage über Sommercamps für Jugendliche der unter Islamismus-Verdacht stehenden Organisation »Milli Görüs« in Hürth und Köln-Nippes samt kritischem Gespräch mit dem Journalisten Eberhard Seidel geriet spannend. In guten Momenten erreichen auch TV-Magazine dokumentarisches Format.