Wasser!

Maik Söhler über die Privatisierung der Wassermärkte und die weltweiten Auseinandersetzungen um ein menschliches Grundbedürfnis: den Zugang zu sauberem Trinkwasser

An Deutlichkeit lässt es der erste Weltwasserbericht der Unesco nicht missen. Mehr als eine Milliarde Menschen verfügen über kein sauberes Wasser; täglich sterben 6.000 Kinder an Krankheiten, die durch unsauberes Wasser verursacht oder übertragen werden; verschmutztes Wasser und eine mangelhafte Abwasserentsorgung, unter der 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden, sorgen für acht von zehn Krankheiten in den Entwicklungsländern; während in vielen westlichen Staaten Wasser verschwendet wird, kommt es in den trockenen Gebieten der Erde zur Wasserknappheit mit möglicherweise drastischen Folgen für die Fruchtbarkeit der Böden, einer Veränderung des Klimas und der Versorgung der Menschen.

Verteilungskämpfe

Der Bericht, der im März veröffentlicht wurde, kommt zu dem Schluss, die Erde stehe »vor einer ernsthaften Wasserkrise. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sie sich zunehmend verschärft und diese Entwicklung noch weiter anhalten wird, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.«
Da auch westliche Staaten betroffen sein könnten, plant die Europäische Union bereits jetzt ein Pipelinesystem. Wasser soll aus den Alpen nach Spanien und Griechenland geleitet werden. Und wenn man Berichten der Wirtschaftspresse Glauben schenkt, so schrumpft die Anbaufläche in etlichen Bundesstaaten der USA.
Nur indirekt deutet die Unesco-Studie die Bedeutung des Wassers als Anlass für künftige Kriege an. Als einer der Gründe für Konflikte im Nahen Osten, in Teilen Afrikas und Asiens wird in anderen Untersuchungen der Uno aber schon jetzt die Verfügungsgewalt übers Trinkwasser genannt. Droht uns also demnächst ein Spiegel-Titel »Blut für Wasser?«

Blut für Wasser?

Nach Ansicht der indischen Physikerin und Agrarwissenschaftlerin Vandana Shiva ist es schon so weit. Im Irakkrieg sei »Blut nicht nur für Öl vergossen worden, sondern auch für die Kontrolle über Wasser und andere lebenswichtige Dienstleistungen«, schrieb sie im Mai im amerikanischen Zmagazine. Die »Herrschaft der Konzerne« sei ausgeweitet worden, der »wirkliche Sieger« im Irak sei das Großunternehmen Bechtel mit Sitz in den USA. In der Tat erhielt der Baukonzern von der US-Regierung Aufträge zum Wiederaufbau des Irak in Höhe von 680 Mio. Dollar, von denen ein Teil zur Wiederherstellung der Wasserver- und -entsorgungssysteme im Irak eingeplant ist.
Führten die USA und ihre Alliierten den Krieg gegen den Irak also nur, um einigen Großkonzernen Aufträge zukommen zu lassen? Wohl kaum. Selbst Vandana Shiva kann dafür keine hinreichenden Belege bringen. Dennoch spricht sie einen wichtigen Aspekt der Weltwasserkrise an. So deutlich die Unesco auch bei den Folgen des Wassermangels ist, so vage bleibt sie bei den Ursachen und den Verantwortlichen. Shiva hingegen glaubt die Schuldigen zu kennen: die westlichen Staaten samt der von ihnen dominierten internationalen Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Welthandelsorganisation (WTO). Vor allem aber die über diese Staaten und Organisationen Einfluss nehmenden multinationalen Konzerne wie Suez, Vivendi, RWE oder eben Bechtel. Ihr Ziel sei es, nach der Öffnung der westlichen Versorgungssysteme mittels Cross Border Leasing (siehe Kasten) und den so genannten Public-Private-Partnerships die Privatisierung der staatlichen Wasserwirtschaft in den Entwicklungsstaaten zu beschleunigen und sich diese dann direkt oder über Tochtergesellschaften sowie Jointventures anzueignen.

Folgen der Privatisierung

In ihrer in diesem Jahr veröffentlichten Studie »Arme und Umwelt: Verlierer der Wasserprivatisierung?« schreiben die Sozialwissenschaftlerinnen Annette van Edig und Eva Youkhana: »Die meisten Systeme in Industrie- und Entwicklungsländern werden derzeit vom öffentlichen Sektor betrieben, nur zehn Prozent der städtischen Wasserversorgung wird von privater Hand verwaltet. Jedoch ist die Beteiligung der Privatwirtschaft an der Trinkwasserver- und der Abwasserentsorgung im Vormarsch.« Die Autorinnen widersprechen dem von den Privatisierern verwendeten Hauptargument – weniger Bürokratie und Korruption machten das Wasser billiger – und betonen anhand der Beispiele England und Argentinien die Gefahren einer privaten Verfügungsgewalt. Die Wasserpreise können deutlich ansteigen und aus öffentlichen Monopolen würden lediglich private. Außerdem bestehe in Entwicklungsländern die Gefahr des cherry pickings, d.h. Unternehmen suchen sich die lukrativsten Standorte des jeweiligen Landes heraus. In der Folge könnten ländliche Gegenden von der Wasserversorgung abgeschnitten werden.

Widerstand gegen die Wasserpolitik

Hinzu kommt, dass Proteste gegen die Vermarktung eines menschlichen Grundbedürfnisses nicht ausbleiben. Kaum ein Treffen von Nichtregierungsorganisationen kommt ohne das Thema Wasser aus. Beim letzten Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre wurde Anfang des Jahres eine Weltwasseragenda verabschiedet, vor dem nächsten soll ein Weltwasserforum abgehalten werden. Das hofft zumindest Maude Barlow. Die Kanadierin hat zahlreiche Bücher zum Thema verfasst und das »Blue Planet Project«, eine globale Bürgerbewegung zum Schutz des Wassers, mitgegründet. Für sie ist klar, dass der Widerstand gegen die Wasserpolitik anwachsen wird: »Wasser geht uns aus, und bald wird sich jeder aus Angst damit beschäftigen: Es ist direkt verbunden mit Fragen der Ungleichheit; es ist die Ursache großer Spannungen zwischen geografischen und politischen Territorien; und es wurde zu einer gefragten Ware für all die großen Institutionen, denen wir entgegentreten.«
Barlows Hinweis auf die Institutionen macht Sinn, denn wegen der sich verschärfenden Konkurrenz um die Geschäfte mit dem Wasser – das US-Wirtschaftsmagazin Fortune schätzte vor einiger Zeit den Umsatz der Wasserindustrie auf 400 Mrd. Dollar pro Jahr – fallen politische Entscheidungen selten einheitlich aus. So wie jeder Konzern seine Lobbyisten, hat jeder Nationalstaat seine Interessen. Da die Flüsse und das Grundwasser sich nicht an Ländergrenzen halten, entstehen wechselnde Bündnisse, die Widersprüche treten offen hervor.

Wasser als Menschenrecht?

Dass Alleingänge wenig bringen, mussten bereits vor drei Jahren die Weltbank und ein Tochterunternehmen der Bechtel-Gruppe im bolivianischen Cochabamba erleben. Die Weltbank hatte den weiteren Schuldenerlass für Bolivien mit der Bedingung verbunden, die kommunalen Wasserbetriebe zu privatisieren. In Cochabamba stiegen die Preise um bis zu 200 Prozent, es kam zu Massenprotesten, die selbst nach der Verhängung des Notstands und einem blutigen Militäreinsatz nicht endeten. Schließlich musste die Regierung den Vertrag wieder kündigen. Bechtel hat die bolivianische Regierung verklagt. Der Widerstand gegen geplante Verkäufe der staatlichen Wasserwirtschaft reicht in Lateinamerika von Chile bis Mexiko. In Uruguay steht im nächsten Jahr ein Verfassungsreferendum an, das den Zugang zum Trinkwasser und zu Abwassersystemen in den Rang eines Menschenrechts erhebt und Privatisierungen erschwert.
Auch anderswo häufen sich die Proteste. In Indien hat sich eine breite Koalition gebildet, radikale Umweltaktivisten, Menschenrechtler, Gewerkschafter und Parlamentarier haben sich im Kampf gegen Staudämme und Kanäle vereint. Immer wieder haben es indische Politiker geschafft, Vertragsabschlüsse zu verhindern und Entscheidungen der WTO zu blockieren.
Die südafrikanische Regierung bekommt indes die Probleme nicht in den Griff, die sie mit der Teilprivatisierung der Wasserversorgung erst geschaffen hat. Die Zahl der Cholera-Erkrankungen hat drastisch zugenommen, da sich immer mehr Menschen das Trinkwasser nicht mehr leisten können und sich aus den Flüssen bedienen. Die Gewinne aus dem Verkauf der Wasserbetriebe liegen unter den Subventionen, die der Staat denen zahlt, die am Wassernetz bleiben. Denn wer seine Rechnung nicht zahlt, bekommt vom Anbieter schnell das Wasser abgestellt. Dagegen haben sich in zahlreichen Orten Nachbarschaftskomitees gebildet, die gekappte Leitungen wieder in Gang setzen und Warnsysteme entwickeln, die Pfändungen verhindern sollen. Die Proteste bleiben meist lokal begrenzt, da die Gewerkschaften auf Landesebene stark mit der ANC-Regierung verbunden sind.

Wasserkrise im Nahen Osten

Besonders schwach ausgeprägt ist der Widerstand gegen die Wasserverteilung im Nahen Osten. Viele Palästinenser haben sich wahlweise dem antiisraelischen Fanatismus oder dem Fatalismus hingegeben. Aus politischen Gründen weigern sich einige palästinensische Dörfer in der Westbank sogar, überhaupt Wasser aus Israel zu beziehen. Damit steigen die Preise für alle anderen enorm. Kompetenzgerangel in der Autonomiebehörde und ein schlecht ausgestatteter Logistiketat haben dazu geführt, dass der Gaza-Streifen trotz Hilfsgelder immer noch über kein Meerwasser-Entsalzungssystem verfügt, das Wasserlieferungen aus Israel überflüssig machte.
Auf der anderen Seite schafft es die israelische Friedensbewegung nur selten, die israelische Verfügungsgewalt über Wasser deutlich zu kritisieren, obwohl es gute Gründe dafür gibt, von denen sich viele auf der Website des »Israel/Palestine Center for Research and Information« (www.ipcri.org) finden. Wer in Israel den Hahn aufdreht, bekommt meist Wasser aus dem Jordan. Es entspringt zum großen Teil auf den von Israel besetzten Golanhöhen und fließt in den See Genezareth. Während Israel von dort einen Großteil seines Wasserbedarfs deckt, bleibt für die palästinensischen Dörfer und die Landwirtschaft nicht viel übrig, so dass es vor allem in den Sommermonaten häufig zum Wassermangel kommt.
Doch auch Israel ist auf Wasserimporte angewiesen: Man importiert Wasser aus der Türkei. Ebenso wie demnächst wohl auch der Nachbarstaat Syrien, der zurzeit mit der türkischen Regierung über die Modalitäten verhandelt. Somit könnten sich künftig Israel und Syrien, das in den 60er Jahren versuchte, einen der Zuflüsse des Jordan umzuleiten, um Israel das Wasser abzudrehen, in der gleichen Abhängigkeitssituation befinden. Zumal die Grundwasserbestände in der gesamten Region rapide schwinden. Hier ist die Wasserkrise schon so weit fortgeschritten, dass privatwirtschaftliche Initiativen von der Meerwasserentsalzung bis zur Konkurrenz auf dem Wassermarkt ausnahmsweise mal nicht schaden könnten. Die Voraussetzung dafür aber wären wohl friedliche Verhältnisse unter guten Nachbarn, die bisher – auch wegen des Wassers – nicht zu Stande kamen.

Literatur zum Thema
Maude Barlow/ Tony Clarke: Blaues Gold. Das globale Geschäft mit dem Wasser.
Antje-Kunstmann-Verlag. 24,80 Euro
Vandana Shiva: Der Kampf um das blaue Gold. Ursachen und Folgen der Wasserverknappung.
Rotpunkt. 17,50 Euro
Nikolaus Geiler: Das 20-Milliarden-Euro-Spiel. Liberalisierung des Wasser- und Abwassermarktes. Schmetterling-Verlag. 12 Euro
Annette van Edig/ Eva Youkhana: Arme und Umwelt. Verlierer der Wasserprivatisierung?
In: Markus Kaiser (Hg.): Weltwissen – Entwicklungszusammenarbeit in der Weltgesellschaft.
transcript 2003. 25,80 Euro. (der Aufsatz findet sich auch als pdf-File zum Download
unter www.glowa-volta.de/ general/ pubs/ van_edig2003.pdf)


Infos im Netz
www.wateryear2003.org
Infos zum Jahr des Süßwassers, englischsprachig
www.unesco.org/water
Seite der Unesco, englischsprachig
(Die deutschsprachige Zusammenfassung des Weltwasserentwicklungsberichts findet sich als pdf
unter www.unseco.org/ bpi/ wwdr/ World_Water_Report_exsum_ger.pdf)
www.ak-wasser.de
Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweitschutz e.V. (BBU)
www.bundesumweltamt.de/wasser
www.lua.nrw.de
Landesumweltamt, zahlreiche Infos unter der Rubrik Wasser
www.learn-line.nrw.de/ angebote/ agenda21/ thema/ wasser.htm
jede Menge Infos, Daten und Statistiken, außerdem hilfreiche Links
www.wasser-wissen.de
Internetportal zu Wasser und Abwasser der Uni Bremen