Keine Sehnsucht nach der Sehnsucht

Popstars als Kritiker der deutschen Wirklichkeit: Die Hamburger Band Blumfeld bleibt auch mit ihrem aktuellen Album den hohen Ansprüchen an linke Popmusik verpflichtet. Felix Klopotek unterhielt sich mit ihnen über messianische Erfahrungen und materialistische Arbeitsweisen

StadtRevue: Ich kann mir vorstellen, dass der Erwartungsdruck bei jedem neuen Blumfeld-Album enorm ist. Gibt es manchmal eine Rückkopplung dieses Druckes? Einen Moment, wo ihr euch diesen Druck zueigen macht?

Distelmeyer: Wir versuchen, die Maßstäbe vorzugeben. Dazu gehört auch, dass wir nur nach unseren Bedingungen arbeiten, das betrifft die künstlerische und die geschäftliche Seite. Stückauswahl, Covergestaltung, die Singleauskopplung, Produktion des Videos – das liegt alles in unserer Hand. Natürlich gehen wir Kompromisse ein und kommunizieren mit der Außenwelt. Aber prinzipiell ist es so, dass der Erwartungsdruck nur äußerlich und kein Maßstab unserer Praxis ist.

Schaut man sich ein wenig in den Musikmagazinen und den Feuilletons um, dann geltet ihr als große Diagnostiker von Befindlichkeiten. Gemessen an diesen Zuschreibungen ist euer aktuelles Album geradezu allgemein gehalten. Aktuelles wird nicht konkret benannt.

Distelmeyer: Zu dem Zeitpunkt, als das Maß der Konkretheit unserer letzte Platte »Testament der Angst« (2001) Gegenstand von Polemiken war, in denen uns vorgeworfen wurde, wir seien jetzt endgültig trivial und banal geworden, da lag es schon in der Luft, dass es eine Sehnsucht nach jemanden gibt, der sagt wie es ist. Liefert derjenige, der dazu auserkoren ist – in diesem Fall waren wir das – nicht das passende Gegenstück zur Sehnsucht ab, ist das Palaver groß. Wir wollen aber diese Sehnsucht nach Propheten nicht bedienen. Das ist meinetwegen Aufgabe des Bundeskanzlers, der in guter alter sozialdemokratischer Manier erklärt, warum er jetzt gegen Krieg und für Frieden ist. Vor vier Jahren ist zwar die gleiche Regierung gegen Serbien in den Krieg gezogen, aber egal, Hauptsache, er sagt, wie es ist. Diese Sehnsucht ist mir suspekt, in ihr drückt sich der diffuse Wunsch nach einem Auserwählten aus, ob das Harry Potter ist, Ronald Barnabas Schill oder der kleine Hobbit.

Mir fällt dazu ein Film wie Matrix ein, da trieft es geradezu vor Auserwähltheitsmystik ...

Distelmeyer: Es geht um den Unmittelbaren, den Authentischen, den Ungemachten. Man findet in der aktuellen populären Kultur und in der Politik unzählige Beispiele dafür. Man muss sich nur selbst beobachten, wie man Bücher liest oder Platten hört. Es ist einfach unredlich zu leugnen, dass man nicht auch mit dem Gestus des Unmittelbaren entscheidet: Der hat es! Die haben es nicht! Der hat immer geil abgeliefert, das nächste Buch von dem kaufe ich mir auch! Seit »Old Nobody« (1999) kommt es uns darauf an, genau dieses Kriterium der Unmittelbarkeit zu diskutieren und zu entmystifizieren.

Also kann man euer neues Album auch so verstehen, dass ihr euch gegen einen untergründigen Messianismus richtet? Kein Prophetentum, sondern Beschreibung des Alltäglichen?

Distelmeyer: Es gibt etwas, was ich mir beim Schreiben der Songtexte erhoffe: Kleinerwerden. Ob man das auch als Konkreterwerden oder Alltäglicherwerden bezeichnen kann, keine Ahnung, ist mir auch egal. Kleinerwerden heißt für mich auch gegen die eigene Überheblichkeit und Unmündigkeit anzuschreiben, als ein anderer aus dieser Anstrengung hervorzugehen. Das ist ein Weg, den wir als Band gemeinsam gehen, das hat nicht nur mit meinen Texten zu tun.

Und das Egebnis ist dann ein Album wie »Jenseits von Jedem«, das dementsprechend eine heitere Gelassenheit ausstrahlt.

Rattay: Ja, kann man so stehen lassen. Ich würde vielleicht eher von Altersmilde sprechen (lacht).

Distelmeyer: Es geht doch darum, wie man mit dem Zorn lebt, wie man ihn nicht aufgibt, aber gleichzeitig so verwandelt, dass der Zorn dich nicht zu dem macht, worüber du zornig bist. Du musst aus der Mühle raus, dass du durch deine Entrüstung genauso zu einem gepanzerten und selbstgerechten Subjekt wirst wie diejenigen, die der Grund für deine Entrüstung sind.

Rattay: Man kann es auch so sagen: Der Zorn ist ein Teil meiner Persönlichkeit, er macht nicht meine ganze Persönlichkeit aus. Die Arbeit an dem Album handelt auch davon, unterschiedlichste Facetten wahrzunehmen und sie in einen Gleichklang zu bringen. In eine Ausgewogenheit...

Distelmeyer: ... ohne dabei ein quasi-hedonistisches Bejahungsprinzip mit Opportunismus zu verwechseln. Zu meinen, um dieses Nein-Sagen zu überwinden, bräuchte man nur zu allem Ja zu sagen.

Was eine klassische Popstrategie der 80er Jahre gewesen ist.

Distelmeyer: Und das ist durchaus reaktionär, weil es die bewusste Entscheidung, für etwas oder gegen etwas zu sein, aufgibt. Man leugnet die unterschiedlichen – positiven oder negativen – Erfahrungen, die man mit unterschiedlichen Situationen gemacht hat. Wer zu allem Ja sagt, kann zu nichts wirklich Ja sagen.

Auf »Jenseits von Jedem« herrscht ein angenehmes amerikanisches Feeling vor, das Flair des Albums scheint mir deutlich von amerikanischen Singer / Songwritern geprägt zu sein. Insbesondere in dem Titelsong klingt Bob Dylan und sein surrealer Klassiker »Desolation Row« durch.

Distelmeyer: Ich hatte schon angefangen, »Jenseits von Jedem« zu schreiben, und während der Arbeit kam es mir merkwürdig vor. Verdammt, was schreibe ich hier eigentlich? Ich habe dann nachgeforscht – ganz klar, es gibt da diesen Dylan-Song. Ich habe die Konstruktion meines Settings und meiner archetypischen Figuren mit Dylans verglichen, in der Hoffnung, dass wir uns nicht überschneiden. Diese Hoffnung hat sich bewahrheitet. Es gibt
eine strukturelle Ähnlichkeit der Songs, aber keine konkreten Überschneidungen.

Hinter dieser Ähnlichkeit steckt keine Programmatik, sondern purer Zufall?

Distelmeyer: Eine Überraschung: Scheiße, was macht der Dylan da?! Wo kommt das denn her? Keith Richards hat mal gesagt, beim Schreiben von Songs macht man Erfahrung mit dem, was in der Luft liegt. Ich bin kein Fan von Richards, aber das trifft es sehr genau.

Arbeitet ihr die ganze Zeit an Songs? Oder gibt es die Entscheidung: Ein neues Album steht an, wir müssen uns mal hinsetzen und wieder was Schreiben?

Rattay: Ich glaube, dass die Zeit zwischen zwei Produktionen ganz wesentlich ist. In dieser Zeit ist man offen für Einflüsse, ist man offen für das, was in der Luft liegt. Das hört sich vielleicht schwer esoterisch an – aber man muss tatsächlich in der Lage sein, das Gespür für einen Song aufnehmen zu können. Das geht in der Hektik der Produktion nicht, man muss vorher durch eine Art Schwitzkur, um hinterher die Spannung zu halten, die nötig ist, einen Song zu schreiben.

Distelmeyer: Noch bevor man sich hinsetzt oder in den Proberaum reingeht, arbeitet man. Das Problem ist rein sprachlich. Wir haben nur diese merkwürdig unmaterialistischen Sprechweisen, wie eben »man macht Erfahrungen, mit dem, was in der Luft ist«. Aber wenn man sich in diesem Prozess befindet, ist das eine hochgradig materialistische, physische Arbeitsweise, es wird zum Teil deines Körpers, deines Lebens, deiner alltäglichen Praxis.

Wie fertig ist ein Song, bevor ihr ins Studio geht? Wie wichtig ist euch die Verfertigung des Songs beim Aufnehmen?

Rattay: Manchmal haben wir den Eindruck, dass wir schon fertig sind, bevor wir ins Studio gehen. Dass wir genau wissen, wie wir es umsetzen werden. Aber dann passiert doch irgendetwas, was alles umschmeißt, und wir arbeiten bis zum letzten Aufnahmetag an dem Song. Das machen wir jetzt schon seit 13, 14 Jahren. Es hat viel mit Vertrauen zu tun: Wir wollen ja nicht routinierter werden, sondern unserer Musik vertrauen. Und das setzt eben eine enorme Anstrengung voraus.

Info:
Blumfeld: »Jenseits von Jedem« ist auf ZickZack/ WEA erscheinen.