Wer hat das Kommando?

Über 600 Kilometer Film drehte Francis Ford Coppola für seinen Vietnamkriegsfilm »Apocalypse Now«, der 1979 in einer zweieinhalbstündigen Version in die Kinos kam. Eine komplett neu geschnittene und um fast eine Stunde längere Fassung kommt jetzt erneut auf die Leinwände – der Trip ins Herz der Finsternis ist noch intensiver geworden.

Eine der gängigsten, aber auch interessantesten Möglichkeiten, über »Apocalypse Now« zu reden, ist der Bezug auf die ungewöhnlichen Produktionsbedingungen. Hier wird so ziemlich alles geboten, was sich an Attraktionen zwischen dem romantisch-idealistischen Bild vom Geniestreich Francis Ford Coppolas, den unerbittlichen Zwängen einer Großproduktion und unvorhersehbaren Schicksalsschlägen ausmalen lässt. Nicht zuletzt durch den Dokumentarfilm von Eleanor Coppola über die Dreharbeiten, »Hearts of Darkness« (1991), sind die Ausnahmezustände und persönlichen Krisen während dieses Projekts zugänglich geworden: Coppolas arge Finanzierungsnöte und private Investition von 16 Millionen Dollar, die ausufernden 15-monatigen Dreharbeiten, Stress mit dem stark übergewichtigen Marlon Brando, der Herzanfall des Hauptdarstellers Martin Sheen, fröhliche Drogenexzesse am Set und eine hämische Presse, die Regiestar Coppola den Untergang dieser Kino-Titanic prophezeite.
Diese Geschichte ist auch deshalb so beliebt, weil sie gut ausging. Als »Apocalypse Now« 1979 endlich in einer zweieinhalb Stunden langen Version in die Kinos kam, gewann der Film neben Kritikerlob und Publikumsgunst noch die Goldene Palme von Cannes und zwei Oscars. Nun ist das »Work in Progress«-Produkt – ein nächster Schritt der Legende – in seine autorisierte Endfassung überführt worden. Coppola und sein Cutter Walter Murch haben den Film komplett neu geschnitten, dabei auch bislang nicht verwendete Szenen und ein paar neue Musikstücke integriert und sowohl die Ton- als auch die Farbqualität des Materials überarbeitet.
Das Ergebnis heißt »Apocalypse Now – Redux« und ist eine um 49 Minuten verlängerte Fassung der lose auf Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis« basierenden Geschichte. Eine doppelte Übertragung (deskriptiv und evokativ) jenes »Posttraumatic Stress Syndrome«, das bei einem Großteil der heimgekehrten Vietnamveteranen diagnostiziert wurde: »Apocalypse Now« reflektiert die traumatisierende Wirkung des Vietnamkrieges auf die Vereinigten Staaten ungefähr so wie ein zerbrochener Spiegel.
Die Bewegung des Films, der seinem Protagonisten Captain Willard (Martin Sheen) folgt, ist zugleich eine Reise durch einen zutiefst amerikanischen Albtraum und eine Suche nach Sinn. Und weil eine reine Nacherzählung dieser Reise nahezu unmöglich ist, ohne nicht auch das geschriebene Wort darüber entweder selbst »unsinnig« werden zu lassen oder eben unverhältnismäßig klar und eindeutig, bleibt der Vergleich der beiden Versionen.
Die Suche von Willard nach dem abtrünnigen Colonel Kurz (Marlon Brando), der irgendwo im Grenzbereich zwischen Vietnam und Kambodscha eine Art privates Reich mitsamt Armee errichtet hat, ist in den groben Zügen gleich geblieben. Das neue Material aber steigert noch die Eskalation der Flussfahrt Willards und seiner Begleiter (u.a. Laurence Fishburne, John Heart und Frederic Forest), auf der Willard Kurz in jeder Beziehung immer näher kommt, bis ihre Begegnung eine Spiegelung und eine Konfrontation zugleich wird, sodass Willards auftragsgemäße Ermordung von Kurz keineswegs dessen Leben oder dessen Wirken beenden kann. Ebenso wenig ist Gott gestorben, als sein Tod proklamiert und beglaubigt wurde.
Tiefer noch als in der Fassung von 1979 verläuft auch der Graben zwischen der unbedingten Autorität der militärischen Führungspersonen (repräsentiert durch Robert Duvall als Colonel »Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen!« Kilgore) und der absoluten Orientierungslosigkeit der kämpfenden US-Truppen. In den neuen Szenen von »Apocalypse Now – Redux« trifft Willard immer wieder auf derangierte Truppen, die nicht den blassesten Schimmer haben, wer hier eigentlich das Kommando hat. »Who’ s in charge here?« – »Ain’t you?«
Eine andere wesentliche Neuerung besteht in der berüchtigten »Franzosen-Sequenz«: Hier trifft Willard auf geisterhafte Vertreter der einstigen französischen Kolonialmacht. In den folgenden Dialogen und Diskussionen wird die Kritik des Films an der imperialistischen Politik der USA in Vietnam vervollständigt und zugleich in den Kontext westlicher Kolonialgeschichte gestellt. Trotzdem ist diese Sequenz nicht allein wegen der offensiven politischen Implikation wichtig – in ihrer schwülen Ästhetik des Unheimlichen bildet sie eine Vorstufe zu dem anschließenden Aufeinandertreffen von Willard und Kurz. Eine unheimliche Begegnung arbeitet der nächsten vor, die Schlinge zieht sich zu.
»Es gibt keinen Weg, seine Geschichte zu erzählen, ohne meine zu erzählen«, sagt Willard einmal über Kurz. Dieser Satz stimmt im übertragenen Sinn auch für das Verhältnis zwischen den USA und »Apocalypse Now«: beide sind Teil und Spiegel des jeweils anderen. Ebenso gut lässt sich auch mit Willards Satz über »Apocalypse Now« reden, und damit von seiner in der neuen Fassung noch verstärkten Kraft, uns zum Teil dessen werden zu lassen, was er beschreibt.

Apocalypse Now – Redux (dto) USA 01, R: Francis Ford Coppola, D: Martin Sheen, Marlon Brando, Robert Duval, 203 Min. Start: 18.10.