Warnschussarrest und Kuschelpädagogik

FDP und SPD fordern, »Klau-Kids« in geschlossene Heime einzusperren

Ausgerechnet die drohende Gefahr der »rechtspopulistischen, ausländerfeindlichen Rattenfängerei« musste als moralische Begründung für einen gemeinsamen Antrag von SPD und FDP im Rat am 7. Oktober herhalten. Der Republikaner im Rat, Jürgen Heydrich, bezog sich in seiner Stellungnahme auf genau diese Passage – und stimmte dem Antrag, der trotzdem keine Mehrheit fand, zu.

»Die SPD ist eine schöne Dame«

Der Antrag heißt »Kölns Initiative zum Abbau der Jugendkriminalität sowie zu wirksameren Maßnahmen gegenüber minderjährigen Intensivstraftätern« und ist ein fünf Seiten starker Katalog von präventiven und erzieherischen Maßnahmen und scharfen Repressalien, dem ein Wust an statistischem Zahlenmaterial voran- und eine wahlkampftaugliche Begründung nachgestellt ist.
Im September 2004 wird ein neuer Stadtrat gewählt. Die beiden Oppositionsparteien SPD und FDP haben sich frühzeitig zusammengefunden, um gegen die schwarz-grüne Ratsmehrheit anzutreten. Diesen Vorgang hat FDP-Fraktionsgeschäftsführer Ulrich Breite bereits im Vorfeld der Ratssitzung bildreich kommentiert: »Die SPD ist eine schöne Dame in den besten Jahren. Und uns ist der Macker abhanden gekommen.« (Express, 13.9. 2003).
Warum lässt sich die schöne alte Dame SPD nun vor den Karren der juvenilen Law-and-order-FDP spannen? Und warum ausgerechnet zu diesem Thema, das schon seit langem eine FDP-Spielwiese ist? Nicht erst seit dem Ratsantrag fordert die Kölner FDP – inzwischen mit Unterstützung ihrer Landtagsfraktion – ein entschiedenes ordnungspolitisches Durchgreifen gegen die so genannten Klau-Kids, von denen viele aus Roma-Familien stammen: Deren Unterbringung in geschlossenen Heimen müsse endlich möglich sein. Gemeinsam mit der SPD fordert sie nun nicht nur Heimunterbringung, sondern sogar einen »Warnschussarrest von bis zu vier Wochen«. Die Maßnahmen sollen, so argumentiert der Ratsantrag, das »Wiedererlangen eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der eigenen Freiheit« fördern.

Dritte-Welt-Slums in der Nachbarschaft

Wer sich Kölner Sammelunterkünfte für Flüchtlinge, das Containerlager in Kalk oder das erst seit wenigen Wochen aufgelöste Deutzer Flüchtlingsschiff angesehen hat, weiß, dass der verantwortungsbewusste Umgang mit der eigenen Freiheit nicht das vordringliche Problem dieser Menschen sein kann. Der Kölner Appell gegen Rassismus hält den Antrag für »bodenlosen Zynismus«, wenn man weiß, »wie das Leben von Kindern in Unterkünften wie der Salmstraße und im Poller Holzweg aussieht. Anwohner sprechen von 3.-Welt-Slums in ihrer Nachbarschaft. Unter diesen Verhältnissen sind in den vergangenen Jahren Hunderte von Kindern großgeworden, teilweise ohne jemals einen Kindergarten oder eine Schule von innen gesehen zu haben. Unter diesen Bedingungen leben manche Familien schon über acht Jahre.«
Dietmar Repgen (FDP) verliest derweil im Rat Polizeiberichte: Jugendliche überfallen eine Rentnerin, Jugendliche überfallen andere Jugendliche vor einer Disko in der Altstadt, Jugendliche brechen am helllichten Tag in eine Wohnung ein. In zwei Fällen wird explizit auf die Herkunft der Minderjährigen Bezug genommen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Der Antragstext verweist auf Zahlenmaterial: »Auffallend ist der relativ hohe Anteil von nichtdeutschen Tatverdächtigen. Von allen Tatverdächtigen im Jahr 2002 waren 38,6 Prozent der Kinder, 34,5 Prozent der Jugendlichen und 36,5 Prozent der Heranwachsenden Nichtdeutsche.«
Klaus Lefringhausen, Integrationsbeauftragter des Landes NRW, hält den Umgang mit Statistik für bedenklich: »Wenn gesagt wird, der Anteil der Migranten an der Jugendkriminalität sei knapp 40 Prozent, dann lässt das erschrecken«, so Lefringhausen. »Doch wenn man weiß, dass der Anteil jugendlicher Migranten an der jugendlichen Gesamtbevölkerung in vielen Großstädten 40 Prozent ausmacht, dann entsteht ein korrekteres Bild, das weniger dramatisiert.«

»Überkommene Dogmen«


Die geschlossene Heimunterbringung, betont Walter Kluth (SPD) in der Ratssitzung, sei für seine Partei die »ultima ratio«, auch der Warnschussarrest sei nur als Anregung an das Justizministerium zu verstehen. Denn den Antragstellern ist klar, dass die gesetzlichen Grundlagen für das Wegsperren strafunmündiger Kinder und Jugendlicher nicht gegeben sind. Deshalb müsse der Gesetzgeber handeln, so FDP und SPD unisono. Dabei weiß auch die FDP: »Wenn bei Straßenraubdelikten, Taschendiebstählen und Tageswohnungseinbrüchen Minderjährige einen Großteil der Tatverdächtigen stellen, liegt ein Versagen der bisherigen Politik eindeutig vor«, so Dietmar Repgen in der Ratsdebatte.
Wer nun an Einsicht glaubt, sieht sich getäuscht. Eine halbe Stunde später bringt die FDP – diesmal ohne die SPD – im Rat einen weiteren Antrag ein: Das Flüchtlingsschiff MS Transit solle wieder in Betrieb genommen und der am 31. Dezember auslaufende Vertrag verlängert werden.
Die FDP macht sich einmal mehr zum Fürsprecher einer Flüchtlingspolitik, deren Folgen sie kurz zuvor so wortreich beklagt hat. Der Kölner Appell erinnert in seiner Pressemitteilung an den »Grundkonsens der Jugendhilfe, dass es die Erwachsenengesellschaft ist, die in erster Linie für das Verhalten von Kindern und Jugendlichen die Verantwortung zu übernehmen hat.« Doch die FDP nennt das »Kuschelpädagogik und die überkommenen Dogmen der 70er Jahre«.

Der Antragstext findet sich unter
www.fdp-koeln.de,
die Pressemitteilung des Kölner Appells unter
www.koelnerappell.de

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