»Das Auto ist keine Lösung für urbane Mobilität«: Jan Gehl | Foto: Manfred Wegener

Straßen zu Radwegen!

Jan Gehl, 78-jähriger Stadtplaner aus Dänemark, verbannte die Autos vom New Yorker Times Square und legte dort Radwege an. Wir sprachen mit ihm über Köln

Herr Gehl, was—

 

Ich hoffe, Sie fragen mich nichts über Köln. (Gelächter) Ich war vor zehn Jahren einmal hier, und dann erst gestern wieder. Es wäre nicht sonderlich professionell, eine Stadt nach 24 Stunden zu beurteilen.

 

Was haben Sie denn gestern in Köln gemacht?

 

Ich habe mit Leuten von der Stadtverwaltung einen Spaziergang gemacht. Die Treppen am Rheinboulevard haben mir gut gefallen, weil sie in der Nachmittagssonne liegen. Ein Fluss ist eine der Hauptattraktionen der Stadt. In Paris wurden deshalb Teile des Seineufers zu Stränden umgewandelt, in London wird das Südufer der Themse genutzt.

 

Der Masterplan von Albert Speer empfiehlt, dem Radverkehr mehr Raum zu geben. Glauben Sie, das funktioniert in der engen Kölner Innenstadt?

 

Auf jeden Fall. In Köln hat man dem Auto viel Raum, besonders Parkplätze, zugestanden, was viel Verkehr verursacht. In Kopenhagen hat man die Parkplätze Schritt für Schritt reduziert und den freigewordenen Raum für Fahrräder genutzt. Es gibt unterschiedliche Strategien für die Innenstädte, aber allen ist eins gemeinsam: Nach 50 Jahren wird das Auto bei der Stadtplanung nicht mehr bevorzugt. Mein Team und ich erhalten Aufträge aus der ganzen Welt: aus Moskau, aus Kasachstan, sogar aus Singapur, wo es eigentlich zu heiß zum Radfahren ist.

 

Wie könnte man denn mehr Menschen zum Umstieg aufs Rad bewegen?

 

Ich bin beeindruckt, wie viele Leute in Köln schon Rad fahren. Ich weiß nicht, wie gut die Radwege sind, vermutlich sind sie teils sehr gut, aber nur sporadisch. Aus Kopenhagen wissen wir, dass ein durchgängig gutes Radwegenetz ein wichtiger Faktor ist. Gibt es das, fahren auch meine Enkelkinder mit dem Rad. Sobald es gefährliche Ecken gibt, ­nutzen nur Männer zwischen 25 und 35 die Radwege. In Kopenhagen erhalten Radfahrer mittlerweile ein wenig Vorsprung bei Ampeln an Kreuzungen. Zusätzlich gibt es eine grüne Welle: Wenn man mit 20 km/h als Radfahrer fährt, kommt man bei Grün durch. Autofahrer, die 50 km/h fahren, müssen warten. Der alte Traum von Verkehrsplanern, dass man mit 50 km/h durch die Stadt fährt, steht im Kontrast zu einer hohen Lebensqualität.

 

Das Auto gilt aber trotzdem noch immer als Statussymbol.

 

Aber das ändert sich gerade. Das Auto ist keine Lösung für urbane Mobilität, weil die Städte wachsen und für mehr Autos kein Platz ist. Wir werden uns vom Ideal des guten Lebens aus dem Amerika der 1950er – ein Auto, und dann so weit draußen wie möglich wohnen – verabschieden müssen. Selbst in den USA ist das nicht mehr das Ideal. Die Menschen kehren in die Innenstädte zurück und die Ärmsten werden in die Suburbs gedrängt, wo sie dann bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Mobilität aufwenden müssen. In Bogotá in Kolumbien gab es dazu eine interessante Idee: Um die Wirtschaft zu stärken, müsse man den Ärmsten mehr Mobilität ermöglichen. Also hat Bogotá Schnellbusse eingeführt, die mit 80 km/h auf eigenen Busspuren von den armen in die reichen Stadtteile fahren, wo es Arbeit gibt. Dadurch sollen Menschen mit niedrigem Einkommen die Chance bekommen, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen.

 

Wie fast alle Städte ist auch Köln knapp bei Kasse. Wie teuer ist es eigentlich, solche Vorschläge zur Mobilität umzusetzen?

 

Diese Vorschläge sind das günstigste, was man machen kann. Die Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr kostet fast nichts, besonders im Vergleich zu Bus­linien, Straßenbahnen oder Motorstraßen. Für einen Radweg braucht man nur jemanden mit einem Besen, der von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sieht. Viele Städte setzen solche Maßnahmen gerade dann um, wenn sie wenig Geld haben. In Kopenhagen war die Wirtschaft in den 80ern und 90ern sehr schwach. Trotzdem hat der Bürgermeister gesagt: »Wir sind niemals so arm, dass wir nicht jedes Jahr ein paar Straßen umgestalten können.«

 

In Köln wird gerade diskutiert, die Stadtbahn komplett in den Untergrund zu verlegen, um mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Was halten Sie von diesen Vorschlägen?

 

Sie sind extrem teuer. Zudem hat es einige Vorteile, wenn der ÖPNV oberirdisch verläuft. Die Fahrgäste sind dann Teil des Stadtlebens. In vielen Fällen sind Straßenbahnen eine angenehmere Form des Personentransports, auch wenn sie nicht so schnell wie eine U-Bahn sind. Aber jedes Problem ist in einer anderen Stadt schon gelöst worden. In Strasbourg wurden Straßenbahnen dazu genutzt, um den Autoverkehr fast komplett aus der Innenstadt zu verbannen.

 

Im Moment lässt sich beobachten, dass der Verkehr in den Städten immer aggressiver wird. Wie erklären Sie sich das?

 

Wenn man zu viele Menschen und zu viele unterschiedliche Arten von Verkehr auf den gleichen Quadratkilometer packt, dann fangen alle an, um den Raum zu kämpfen. Radfahrer denken, sie hätten ein Recht, rücksichtslos zu fahren, weil kaum jemand Rücksicht auf sie nimmt. In Kopenhagen haben Fahrradverbände eine Kampagne gestartet, um Radfahrer zur Beachtung der Verkehrsregeln zu animieren. 56 Prozent aller Fahrräder in Dänemark werden von Frauen gefahren, wodurch ebenfalls ein wenig Aggression aus dem Straßenverkehr genommen wird. Und wenn viele Kinder und Senioren radeln, sinkt die Durchschnittsgeschwindigkeit, was ebenfalls gut ist. Wenn man schon mit dem Fahrrad 40 km/h fahren muss, dann sollte man es in den Außenbezirken und nicht in der Innenstadt tun.

 

Wie werden denn die Bürger an Ihren Planungsprozessen beteiligt?

 

Der Schlüssel ist das Sammeln von Daten. In Kopenhagen haben wir ein Forschungsprojekt initiiert, das alle zehn Jahre das Leben in der Stadt erforschen soll. Das ist wie eine Art »Gesundheitscheck«. Man studiert den Patienten genau und fragt sich, wo die Probleme liegen. Erst dann überlegt man sich, wie man diese behandeln kann. Meine Erfahrung ist: Wenn man den Bürgern erklärt, wo die Probleme liegen und man ihnen dann zeigt, was andere Städte in ihrer Situation getan haben, dann sind sie in der Regel sehr verständnisvoll. Man muss die Optionen aufzeigen und die Bürger gut informieren. In Kopenhagen konnten wir mit unseren Daten nachweisen, dass die Menschen glücklicher waren, nachdem dort Maßnahmen für Fußgänger umgesetzt wurden oder es mehr Cafés gab. Wenn man eine bessere Stadt für alle macht, profitieren auch die Ladenbesitzer, weil sich jetzt mehr Menschen dort aufhalten, wo früher ein Parkplatz war. Auch Politiker wollen dann ein Stück vom Kuchen abhaben. Das hat für ein Umdenken gesorgt. Früher hat man sich gefragt: »Wie können wir eine Stadt so gestalten, dass sie mit den Einkaufszentren vor der Stadt konkurrieren kann?« Heute fragt man sich: »Wie kann man die Vielfalt in einer Stadt erhöhen und eine Stadt angenehmer für Schulkinder und ältere Menschen gestalten?«

 

Hier in Köln wird gerade das Konzept des »Shared Space«, in dem sich wie in der Severinstraße Fußgänger, Radfahrer und motorisierter Verkehr die Straße teilen, als Beispiel gelungener Stadtplanung gelobt.

 

In meinem Buch Cities for People bin ich sehr kritisch gegenüber dem Konzept des »Shared Space«. Ich denke, dass sich ein dreijähriges Kind und ein Lastwagen nicht gleichberechtigt denselben Raum teilen können. Die Fußgänger müssen Priorität besitzen. Man merkt einfach, dass die niederländischen Erfinder des »Shared Space« den Verkehr intelligent regulieren wollen. Sie interessiert weniger, wie man eine Stadt lebenswerter macht. Manchmal fragen Leute in Kopenhagen, was Jan Gehl alles in der Stadt verändert hat. Ich sage dann immer: »Das kann man nicht sehen, weil es sich alles im Kopf abspielt.« Ich will, dass sich die Art ändert, wie wir über Städte denken.

 

Interview: Christian Werthschulte, Bernd Wilberg

 


Jan Gehl. Cities for People, Island, 38 €
Die deutsche Ausgabe erscheint im Januar 2015

 


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