Unter die Erde gebracht

Seit September gilt ein neues Bestattungsgesetz in Nordrhein-Westfalen. In Köln wird über islamische Beerdigungen diskutiert. In der Eifel entsteht ein »Friedwald«. Wie verändert sich die Bestattungskultur – und warum? Eine Spurensuche von Thomas Goebel

Gesetze regeln das Leben, mal mehr, mal weniger. Gesetze regeln auch den Tod. Zwar fehlen den Juristen gelegentlich die geeigneten Vokabeln, um diesem so schwer zu greifenden Zustand eine Form zu geben. Sie sprechen dann etwa von einem »Nutzungsrecht auf Zeit«, das die Stadt Köln für die Gräber auf ihren Friedhöfen verleiht. Trotzdem: Tod und Bestattung gehören zu den extrem verrechtlichten Bereichen des Lebens: Wer wann und wo in welcher Form beerdigt werden darf – all das ist genau festgelegt.

Christliche Beerdigung in Gefahr?

Wenn sich Gesetze über Sexualität oder Tod ändern, dann hat sich immer auch das Leben der Menschen gewandelt. Solche Gesetzesänderungen sind begleitet von langen, aufgewühlten Diskussionen. So auch, als die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf vor über einem Jahr beschloss, ein neues Bestattungsgesetz für Nordrhein-Westfalen zu formulieren. Eine »technische Anleitung zur Menschenkörperbeseitigung« sei das neue Recht, wetterte der CDU-Sozialexperte Rudolf Henke. Die Kirchen liefen Sturm, weil sie die christliche Beerdigung gefährdet sahen. Es gehe doch lediglich um »Möglichkeiten für zeitgemäße Bestattungsformen«, hielt SPD-Gesundheitsministerin Birgit Fischer dagegen. Es wurde debattiert, geändert und beschlossen.
Seit September gilt es nun, das neue Gesetz, und das hat sich geändert: Der Sargzwang wurde aufgehoben – künftig ist es erlaubt, Leichname zum Beispiel in Leinentücher gehüllt zu bestatten, wie es der islamischen Tradition entspricht. Die Asche von Toten muss nicht mehr in Urnen beerdigt werden, sondern kann auch auf dafür bestimmten »Streuwiesen« verteilt werden. Außerdem wurde der Zwang aufgehoben, Asche und Urnen auf Friedhöfen zu bestatten – sie können nun, wenn der Verstorbene dies selbst gewünscht hat, auch an anderen frei zugänglichen und würdigen Orten beerdigt werden. Der Vorschlag, den Bestattungszwang für Urnen insgesamt aufzuheben, konnte sich aber nicht durchsetzen – Kritiker hatten eindringlich vor »Opas Asche im Regal« gewarnt und bereits »kommunale Urnenbeauftragte« zur Überwachung der Totenruhe gefordert.

Sargzwang für Köln

Helmut Strack hält nicht viel von dem neuen Gesetz. Er leitet die Friedhofsabteilung im Grünflächenamt der Stadt Köln – eine komplette Beerdigung ohne Sarg kann er sich nur schlecht vorstellen. »Es muss doch ein Transportbehältnis zum Grab geben«, sagt Strack, »wie soll das denn sonst passieren, vielleicht in der Schubkarre?« Höchstens die Grablegung selbst hält er ohne Sarg, also nach islamischer Tradition, für denkbar – und sieht gleich neue Hindernisse: »Es gibt auch den hygienischen Aspekt.« Eine Bestattung ist nach deutschem Recht erst nach 48 Stunden möglich – und nicht, wie der Koran es vorsehe, innerhalb von 24 Stunden. Der Wegfall des Sargzwangs könne deshalb zu einem gesundheitlichen Problem für Trauergäste und Mitarbeiter werden. Außerdem sei die sarglose Bestattung auch eine Frage der Pietät – »das ist sicher nicht unsere Vorstellung von Friedhofskultur«, sagt Strack.
Deshalb hat die Verwaltung die Notbremse gezogen und den vom Land aufgehobenen Sargzwang per Ratsbeschluss wieder in die Satzung für die rund 60 Kölner Friedhöfe aufgenommen. Bis Ende des Jahres will die Verwaltung nun prüfen, wie die Neuerungen in Köln umgesetzt werden. Anfang des nächsten Jahres könnte dann auch in Köln eine neue Friedhofssatzung beschlossen werden.
Dass der Kölner Grundsatz »Kein Gesetz ohne Ausnahme« selbst auf dem Friedhof gilt, bewies die Stadtverwaltung allerdings schon 1990. Damals war Irene Gerling, die Frau des Versicherungschefs Hans Gerling gestorben. Der Unternehmer erreichte bei Stadt und Regierungspräsidenten eine Ausnahmegenehmigung – und beerdigte die Asche seiner Frau im Garten seines Marienburger Anwesens. Nach dem Tod von Hans Gerling ein Jahr später wurde die Urne mit der Asche seiner Frau allerdings wieder umgesetzt. Seitdem liegt das Ehepaar gemeinsam auf dem Kölner Nordfriedhof.

»Ewige Totenruhe« kontra Wiederbelegung

Am westlichsten Ende des Westfriedhofs liegt ein Gräberfeld, auf dessen Grabsteinen sich türkische, arabische und deutsche Inschriften mischen. Der Bereich ist bestimmt für islamische Bestattungen, alle Gräber sind nach Mekka ausgerichtet. Etwa 50 türkisch-muslimische Beerdigungen finden hier jährlich statt, sagt Serdar Demir vom Bestattungshilfeverein der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) in Köln. 95 Prozent der türkischen Muslime, die in Köln sterben, lassen sich aber in die Türkei überführen. Das hat mit starker Verbundenheit zum Herkunftsland zu tun – aber auch mit der deutschen Bestattungskultur. Entscheidend, sagt Demir, ist das Problem der vom Islam vorgesehenen »ewigen Totenruhe«. Nach deutschem Recht aber wird ein Grab nach bestimmten Fristen, die von der Art des Grabes abhängen, wieder belegt.
Demir erwartet vom neuen Gesetz keinen deutlichen Anstieg der muslimischen Beerdigungen in Köln. Trotzdem ist er froh über die Möglichkeit der sarglosen Bestattung, die Aufregung in der Friedhofsverwaltung sieht er gelassen. »Gefragt sind jetzt vor allem die muslimischen Bestattungsinstitute in Köln. Die kennen sich aus mit den traditionellen Riten – wenn die mit der Verwaltung zusammenarbeiten, können wir von einander lernen.«

Neue Grabstätten - neue Märkte

Das Besondere am Angebot der FriedWald GmbH aus Darmstadt besteht darin, gerade nicht der Tradition zu folgen: Sie bietet Bestattungen im Wald, unter einem schönen, alten Baum. Eine »spezielle Menschengruppe« spreche sein Unternehmen an, sagt Geschäftsführer Axel Baudach. In der mobilen Gesellschaft wollten viele Menschen ihren Angehörigen kein zu pflegendes Grab hinterlassen. Allerdings bieten auch städtische Friedhöfe sogenannte pflegefreie Grabstätten an, die von der Kommune mitversorgt werden.
So ist das lebhafte Interesse, das die ursprünglich aus der Schweiz stammende FriedWald GmbH derzeit erlebt, wohl eher auf das »besondere Bewusstsein der Menschen von der Natur«, wie es Baudach formuliert, zurückzuführen. Naturreligiöse Vorstellungen vom Kreislauf des Lebens oder schlicht die Ruhe und Schönheit eines Waldes erscheinen den Interessenten attraktiver als der traditionelle, christliche Friedhof.
In der Schweiz existieren bereits 41 »Friedwälder«, In der rheinland-pfälzischen Eifel-Gemeinde Hümmel wurden 25 Bäume reserviert. Auch in Nordrhein-Westfalen soll in Kürze ein Friedwald entstehen: In Bad Laasphe im Siegerland. Bestattet wird die Asche der Verstorbenen in biologisch abbaubaren Urnen im Wurzelwerk der Bäume, die in besonders schönen, eigens ausgewählten Waldgebieten stehen, wie Baudach versichert. Ein Baum kann für 99 Jahre gepachtet werden. Auf ihrer Internetseite zeigt die FriedWald GmbH Bilder ihrer Wälder, regt an zu einem »Ausflug in die Natur« und liefert den aktuellen Wetterbericht gleich mit.
Die Nachfrage nach neuen Beerdigungsformen ist da – und das Friedhofs- und Bestattungswesen ist keine kleine Branche: 11,6 Milliarden Euro werden jährlich umgesetzt, hat die Verbraucherinitiative Aeternitas aus Königswinter berechnet. Die Liberalisierung des Bestattungsrechts bietet Möglichkeiten für neue Formen – und für einen neuen Markt.

Der Tod ist Privatsache

Der Tod, hat der französische Historiker Philip Ariès schon 1980 in seiner »Geschichte des Todes« geschrieben, ist in der modernen Gesellschaft Privatsache. Der Tote wird nicht mehr von einer Gemeinschaft betrauert, sondern von Individuen: Familienangehörige, Freunde. Die Gesellschaft hat den Tod rationalisiert; er wird staatlich überwacht und kontrolliert, doch die Form von Bestattung und Gedenken bleibt den Einzelnen überlassen. Das gilt umso mehr, je weniger Staat, Kirche und Familie einen Rahmen vorgeben.
Ariès bemerkte schon vor über 20 Jahren zwei sich widersprechende Folgen: einerseits das Verschwinden des Todes aus der Öffentlichkeit, ein »dumpfes Schweigen«, und andererseits die »Wiederaufnahme der Auseinandersetzung mit dem Tod«.
Das neue Bestattungsgesetz in Nordrhein-Westfalen hebt übrigens nicht nur Zwänge auf, es schreibt auch Rechte fest: Seit September haben Eltern einen Anspruch darauf, dass tot geborene Kinder auf dem Friedhof beerdigt werden.