Den Dreck abkratzen

Was kann, was soll Denkmalschutz? Darüber diskutierte das Architektur Forum Rheinland (AFR) ein Jahr lang auf seinen Veranstaltungen mit Fachleuten und Laien. Zum Abschluss der Reihe spricht AFR-Geschäftsführer Jörg Beste über die Macht der Investoren, Bürgerproteste und lästige UFOs

Herr Beste, das Image des Denkmalschutzes ist zwiespältig. Wenn es darum geht, ein schönes Gebäude zu erhalten, wird jeder dafür sein. Aber behindert der Denkmalschutz nicht auch die Entwicklung einer Stadt? Steht zu viel unter Denkmalschutz?

 

Die Städte sind nach dem Zweiten Weltkrieg mittlerweile längst wieder vollgebaut. Gerade in Köln gibt es kaum noch Flächen. Es bestehen daher zwei Möglichkeiten: Erhalt oder Umnutzung der Gebäude, besonders der denkmalgeschützten — oder Abriss und Neubau. Wobei allein ein Abriss so teuer ist, dass anschließend die räumlichen Ausnutzungen der Grundstücke viel höher ausfallen. Es wird massiver und höher gebaut als zuvor, Sichtbeziehungen werden zerstört — so werden Städte dichter, enger, aber nicht schöner. Ich würde Ihre Frage umkehren: Werfen wir nicht zu viele Gebäude auf den Müll, statt über nachhaltige und sinnvolle Nachnutzungen nachzudenken?



Nachnutzungen stellen eine große Herausforderung an Planungen dar. Investoren lassen lieber nur die historische Fassade stehen.

 

Das ist leider häufig der Fall. Dieser Umgang drohte beispielsweise beim leer stehenden Kaufhof in Kalk. Dabei gehört dieses Gebäude zu einem Ensemble herausragender Handelsimmobilien in Köln, zusammen mit der Kaufhof-Hauptverwaltung an der Leonard-Tietz-Straße und dem Kaufhofgebäude an der Cäcilienstraße.



Aber man kann auch nicht alles belassen wie es ist, wenn in einem ehemaligen Warenhaus etwa Wohnungen entstehen sollen.

 

Natürlich bedeutet eine Umnutzung immer Substanzverlust. Allein, weil Gebäude technisch, energetisch und unter Sicherheitsaspekten heutigen Anforderungen angepasst werden müssen. Aber wie viel Substanzverlust lässt man zu, um die restliche Substanz noch als Denkmal erhalten zu können? In den 90er Jahren wurde in vielen Städten alles bis auf die Fassade abgerissen. Dahinter konnte dann ruhig ein ECE-Einkaufszentrum gebaut werden, so eine Art Dezifix-Denkmalfassade. So etwas ist eine Geschichtslüge. Wie in Köln etwa die ehemalige Commerzbank-Fassade an der Komödienstraße. Das ist ein gestalterischer Horror.



Während Privatpersonen wegen des Denkmalschutzes oft Einschränkungen in Kauf nehmen müssen, haben Investoren offenbar mehr Freiheiten.

 

Ja, die können für größere Entwicklungsmaßnahmen, bei denen ein Teil noch denkmalgeschützt ist, vergünstigte Darlehen bekommen und Aufwendungen auch noch steuerlich absetzen — das ist ein großes Ungleichgewicht, wie hier öffentliches Interesse und Unterstützung geregelt sind. Und ein Investor kann auch politischen Druck aufbauen und damit den bestehenden Denkmalschutz quasi »wegwägen« lassen. So ähnlich geschehen, nur von öffentlicher Seite, in Köln beim IWZ, dem Ingenieurwissenschaftlichen Zentrum der Fachhochschule in Deutz.



Aber dieses Hochhaus an diesem Ort ist katastrophal?...

 

Das Problem ist, dass es bei Architekturen der 60er und 70er Jahre oft um große Strukturen geht. So ist das IWZ ein im Hinterhof von Deutz gelandetes UFO, was allen Seiten den Rücken zukehrt. Das ist eine städtebauliche Haltung, die wir heute aus guten Gründen nicht mehr haben wollen. Wir wollen heute die Quartiere Kalk, Deutz und Humboldt-Gremberg vernetzen, den Deutzer Ring mit der Dominanz des Autoverkehrs finden wir heute falsch, wir hätten heute dort lieber eine städtische Straße. Hier stehen heutige städtebauliche Ansprüche einer Denkmalqualität des IWZ gegenüber! Auch die Uni-Mensa wurde mitten in den Grüngürtel gesetzt, auch hier ohne wirklichen Bezug zu dieser Umgebung. Aber das war damals eine häufige Haltung in Architektur und Planung.



Also eine Architektur, die so den damaligen Zeitgeist repräsentiert und deshalb archiviert gehört?

 

Unter diesem Gesichtspunkt zunächst ja. Aber: Es gibt andere Gründe, die dagegen sprechen. Um mit den Planungen der Uni hier den Grüngürtel erweitern zu können, steht die Mensa im Weg. Es ist also immer ein Abwägungsprozess. Denkmalschutz hat damit nicht immer die oberste Priorität.



Wenn der Denkmalschutz aber der Archivierung dient, bedeutet das auch, dass Gebäude nicht unbedingt schön sein müssen, um erhalten zu werden. Gehören auch Bau-Sünden unter Denkmalschutz?

 

Na ja, nach den Kriterien des Denkmalschutzes müsste man als besonders kölschen Bau fast das Musical-Zelt am Breslauer Platz unter Schutz stellen...



Und?

 

Augenzwinkernd: ja. Denn nichts hält in Köln so lange wie ein Provisorium. Andererseits: Wenn Provisorien in Köln immer so lange halten, muss es ja auch nicht geschützt werden.

 

Einig scheint man sich in Köln mittlerweile über die Qualität der Nachkriegsarchitektur zu sein. Besonders stolz ist man auf den Kölner Architekten Wilhelm Riphahn. Dabei war er jemand, der durchaus nicht zimperlich war und mit angesehen hat, wie man die Alte Oper am Rudolfplatz abgerissen hat.

 

Die Eltern stellen immer die Möbel der Großeltern auf den Sperrmüll, und die Enkel sagen später: Wie bekloppt wart ihr denn, das wegzuschmeißen? Man braucht offenbar immer rund dreißig Jahre, um die Qualitäten zu entdecken. Die 50er-Jahre-Architektur wurde von der Denkmalpflege in den 80er Jahren entdeckt und in die Bevölkerung getragen.



Dabei ist nicht alles hochwertig, was damals gebaut wurde.

 

Zunächst mal ist es eine oft eher spröde, zurückhaltende, auch kleinteilige Architektur. Um wieder Wohnraum zu schaffen ist damals häufig schnell gebaut worden, so dass auch Banales darunter ist. Entsprechend wurde später damit umgegangen. Aber auch bedeutende Beispiele dieser Architektur sind vernachlässigt worden, bis sie marode waren: von der Stadt zum Beispiel Oper und Schauspielhaus, aber auch die Gebäude an der Hahnenstraße.



Denkmalschutz wird auch instrumentalisiert — etwa, wenn Initiativen eine bauliche Veränderung in ihrem Viertel verhindern wollen.

 

Sicher, Denkmalschutz wird auch gern eingesetzt, um partikulare Interessen durchzusetzen. Denkmalpfleger sind nicht glücklich damit, so als Verhinderer gesehen zu werden. Dabei kann man viel für die Stadt erreichen, wenn der Denkmalschutz früh in ­Planungen berücksichtigt wird. Manche einflussreiche Menschen in der Stadt wollen aber lieber architektonische Knalleffekte. Das braucht eine Stadt vielleicht hin und wieder, doch zurückhaltende, bewahrende Art unterstützt eine Stadtatmosphäre viel länger und nachhaltiger. Wenn man endlich mal die Dreckkruste der letzten 30, 40 Jahre von Gebäuden abkratzt, entdeckt man deren Qualitäten. Das war bei Oper und Schauspielhaus der Fall, auch beim Pavillon von Wilhelm Riphahn auf dem Opernplatz. Die Proteste gegen diesen Abriss empfand ich überhaupt nicht als Partikularinteresse. Im Gegenteil: Das war ein starkes Signal an Politik und Verwaltung und hat der Stadt gutgetan.