Letzte Zuflucht Baumarkt

200 Flüchtlinge sollen in einen leer stehenden

Baumarkt in Porz ziehen. Solche Unterkünfte

könnten bald zur Regel werden

»Hier spricht der Preis«, steht an der Fassade des verlassenen Praktiker-Baumarkts im Gewerbegebiet von Porz-Eil. Gegenüber befindet sich ein Autohaus, an der nächsten Kreuzung das Porzer Autokino, 100 Meter weiter gibt es eine Lidl-Filiale, und dann kommt nur noch die Autobahn. Der leerstehende Baumarkt sollte eigentlich demnächst versteigert werden, doch dann hat die Stadt ihn beschlagnahmt: Im Dezember sollen 200 Flüchtlinge einziehen.

 


Sie werden dann in einer einzigen große Halle mit Betonboden schlafen. Abgetrennte Räume gibt es ebenso wenig wie Tageslicht. Zum Duschen und Toilettengang müssen die Flüchtlinge nach draußen, in einen Container. Die Stadtverwaltung will drei Meter hohe Trennwende einziehen, um ein Minimum ein Privatsphäre bieten zu können; das ehemalige Gartencenter, das vollverglast ist, soll als Aufenthaltsbereich dienen.

 


Sozialdezernentin Henriette Reker (Grüne) bezeichnet das Vorhaben als »absolute Notmaßnahme zur Verhinderung von Obdachlosigkeit«. Schon seit Monaten beklagen sie und ihre Kollegen vom Wohnungsamt, dass sie nicht mehr wissen, wo sie die wachsende Zahl von Flüchtlingen noch unterbringen sollen. Zwar musste in Köln noch niemand im Freien schlafen, so wie in München. Auch von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte wie in Burbach oder Essen ist bisher nichts bekannt.  

 


Doch auch in Köln spitzt sich die Situation zu: Die Menschen werden in immer größere Sammelunterkünfte gepfercht — in der Notunterkunft an der Herkulesstraße leben fast 700 Personen — , Container werden aufgestellt und sogenannte Hotels angemietet, obwohl all das gegen die beschlossenen Leitlinien zur Flüchtlingsunterbringung verstößt. Dass jetzt Menschen im leerstehenden Baumarkt leben müssen — damit ist auch in Köln eine neue Stufe erreicht. »Dieser Standort ist unter aller Kanone«, so Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. »Es gibt keine Nachbarschaft und damit auch nicht die Möglichkeit, eine Willkommenskultur zu entwickeln.«

 


Flüchtlinge in einem Gewerbegebiet unterzubringen, verstößt sogar gegen das Recht: Gebäude in einem Gewerbegebiet dürfen nicht als Wohnraum genutzt werden. Normalerweise. Mit dem Hinweis auf die »Gefahrenabwehr« setzt sich die Stadtverwaltung darüber hinweg. Auch im Gewerbegebiet in Longerich wird die Stadt demnächst die Regeln umgehen: Dort wird ein leerstehendes Bürohaus derzeit zum »Hotel« umgebaut, das die Hauseigentümerin dann an die Stadt vermieten wird, damit sie dort Flüchtlinge unterbringen kann. »Auf diese Weise handelt es sich um einen gewerblichen Betrieb, gegen dessen Nutzung auch bauaufsichtsrechtlich keine Bedenken bestehen«, so ein Sprecher des Sozialdezernats.

 


Dass Flüchtlinge in Gewerbegebieten leben, könnte bald sogar zum Regelfall werden: Im Bundesrat wurde Mitte September ein entsprechender Gesetzentwurf zur Abstimmung an den Bundestag verabschiedet.  

 


Die alarmistische Rhetorik bei der Unterbringung von Flüchtlingen lässt den Eindruck aufkommen, man habe es mit einer Art Naturgewalt zu tun, die völlig überraschend über Köln hereingebrochen sei. Dabei ist die Überforderung auch hausgemacht: Nach Informationen der Wochenzeitschrift Die Zeit, gab es im Jahr 2003 in Köln noch 56 Flüchtlingswohnheime. Zehn Jahre später waren es nur noch 31. Wie viele andere Städte hat Köln die Wohnheime schließen oder abreißen lassen und Personalstellen gestrichen, weil die Flüchtlingszahlen gesunken sind. Dies lag aber nicht etwa daran, dass weniger Menschen verfolgt worden wären und ihre Heimat verlassen mussten. Sondern an der Verschärfung des Asylrechts im Jahr 1993. Seither sind zwar immer noch viele Menschen geflohen, aber nur die wenigsten haben es nach Deutschland geschafft.
Die Schlagzeilen aus Berlin, München und Köln zeigen, dass diese Abschottungspolitik nicht mehr funktioniert. Deutschlands Nachbarländer und vor allem Länder wie Italien und Griechenland sind nicht mehr bereit, jene aufzunehmen, die wegen der Drittstaatenregelung in keinem anderen Land mehr Asyl beantragen dürfen. Sie schicken die Flüchtlinge weiter — nach Deutschland.

 


Statt den Flüchtlingen die ­Einreise zu erleichtern, versucht Deutschland verzweifelt, sich noch weiter abzuschotten. Mitte Oktober beteiligte sich Deutschland an einer »Joint Police Operation« der EU, bei der in Zügen, an Flughäfen und auf Autobahnen Personenkontrollen durchgeführt wurden — auf der Suche nach Schlepperbanden, so die offizielle Begründung. »Das ist zynisch«, kommentiert Sabina Mayer vom Anti-Rassistischen Bündnis Köln die Polizeiaktion. Zusammen mit vierzig weiteren Aktivisten hat sie Mitte Oktober vor dem Kölner Hauptbahnhof demonstriert. »Die EU macht die Zugangswege nach Europa gefährlicher«, sagt sie. Durch die Maßnahmen zur Abwehr an der Grenze würden Flüchtlinge dazu gedrängt, die Dienste von Schleusern in Anspruch zu nehmen.

 


Auch mit neuen Gesetzen treibt Deutschland die Abschottung weiter voran. Am 19. September stimmte der Bundesrat einem Gesetzentwurf zu, der Mazedonien, Serbien und Bosnien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Flüchtlinge aus diesen Ländern, meist Roma, haben nun faktisch keine Chance mehr, Asyl zu bekommen. Auch Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) hatte den Gesetzesentwurf unterstützt und sich damit gegen einen weiteren Zuzug von Roma ausgesprochen. Roters ist zweiter Vorsitzender  von Amaro Kher, einem Verein, der sich für die Integration von Romakindern ins deutsche Schulsystem engagiert.

 


»Roma werden in Bosnien, Serbien und Mazedonien zwar nicht per Gesetz diskriminiert«, so Hasiba Dzemajlji von Rom e.V. »Aber sie werden faktisch benachteiligt und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Dafür gibt es Beweise.« Verschiedene Flüchtlingsgruppen würden durch das neue Gesetz gegeneinander ausgespielt, so Dzemajlji.  Schon jetzt erlebe sie, dass Romafamilien schneller abgeschoben werden, »oft ohne die einzelnen Umstände genau zu prüfen«.

 


Die Roma, die nach Deutschland geflüchtet sind, erhalten meist zunächst den Status einer »unerlaubt eingereisten Person«  und zählen damit zu der Gruppe, die in Notunterkünften wie dem Baumarkt in Porz untergebracht werden.

 


Inzwischen stellen immer mehr Bürger und Organisationen jedoch die Frage, ob die Abwehr von Flüchtlingen und deren Unterbringung in Massenunterkünften richtig sei. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz riefen Kölner Kirchenvertreter Mitte Oktober Hauseigentümer, Unternehmer und Privatleute dazu auf, Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Die Katholische Kirche richtet zurzeit Flüchtlingswohnungen in einem ehemaligen Kloster in Kalk ein. Die Evangelische Kirche will ein ehemaliges Diakoniegebäude umbauen. In Vingst hat die katholische Kirchengemeinde die obere Etage des Gemeindehauses geräumt. Die Kirchenvertreter verweisen auf die vielen Initiativen in ihren Gemeinden und in sozialen Einrichtungen. »Die Kölner Bürger sind gerne bereit, Menschen in Not in ihrer Stadt aufzunehmen«, so Stadtdechant Robert Kleine. Allerdings sei es so gut wie unmöglich, in einer Massenunterkunft private Hilfe anzubieten. Wenn sich die Unterkunft in einem Gewerbegebiet befindet, dürfte dies noch schwieriger sein.