Qualen nach Zahlen

Die Mutmaßungen über Fehler bei der Kommunalwahl lähmen Köln

Das beherrschende Thema im Kölner Rathaus hat mit Politik nichts zu tun — jedenfalls nicht mit dem Tagesgeschäft. Es ist ein Streit entbrannt, ob die Kommunalwahl neu ausgezählt werden muss. Wenn aber Wahlverlierer das amtliche Endergebnis nicht akzeptieren und dem politischen Gegner die Legitimation absprechen, sind das Merkmale einer politischen Krisenregion. Müssen OSZE-­Beobachter nach Köln entsandt werden?

 

Die CDU meint, in einem Rodenkirchener Briefwahlbezirk seien zu ihrem Nachteil die Stimmen für die CDU mit denen für die SPD vertauscht worden (s. StadtRevue 10/2014). Hinweise darauf gibt es jedoch nicht, nur statistische Auffälligkeiten: Mitten in der CDU-Hochburg lag überraschend eine SPD-Kandidatin vorn.  Träfen die Mutmaßungen der CDU zu, erhielte sie zu Lasten der SPD ein Ratsmandat. Die rot-grüne Mehrheit im Stadtrat, die ohnehin nur mit der Stimme von OB Jürgen Roters (SPD) besteht, wäre verloren.


Unterstützt von Blättern des Neven-DuMont-Konzerns, stellte die CDU das von der Wahlleitung beurkundete Ergebnis in Frage und forderte die Neuauszählung einiger Wahlkreise. SPD und Linke halten das für juristisch nicht zulässig. Sie berufen sich auf ein wahlrechtliches Gutachten und einen breiten rechtswissenschaftlichen Mainstream zu Fällen wie diesem. Dies bestätigen auch Stadtdirektor und Wahlleiter Guido Kahlen, die Kölner Regierungspräsidentin Gisela Walsken sowie NRW-Innenminister Ralf Jäger. Alle drei sind SPD-Mitglied, worauf CDU und FDP süffisant hinweisen — statt deren juristische Argumente zu entkräften.

 

Auch die Grünen stimmten dieser Auffassung grundsätzlich zu — wollen aber dennoch neu auszählen lassen, und zwar alle 1024 Stimmbezirke. Denn bei jeder Wahl gebe es Zählfehler, die sich in der Summe aber aufgrund statistischer Gesetzmäßigkeiten ausglichen. Wenn eine Auszählung nur punktuell neu erfolgte, verzerre dies das tatsächliche Resultat noch viel stärker, so der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Jörg Frank. Zu ihrem Vorschlag — dem sich CDU und FDP angeschlossen haben, damit es überhaupt zu einer Prüfung kommen kann — fühlten sich die Grünen durch die Berichterstattung der DuMont-Medien gedrängt. Die beschwören seit Wochen eine »Vertrauenskrise« der Wähler und pflichten der CDU bei. Die Grünen halten dies für eine Kampagne, sehen nun aber keine andere Möglichkeit, als tatsächlich nachzuzählen — aber eben komplett. Die statistisch-mathematische Argumentation der Grünen überforderte allerdings einige Journalisten im Dienste von Neven DuMont. Dort wirbt man weiter für die Nachzählung in nur einigen Stimmbezirken. »Rechtsprechung hin oder her«, kommentiert das Boulevard-Blatt Express, »hier steht das Vertrauen der Wähler auf dem Spiel!« In Wirklichkeit steht etwas ganz anderes auf dem Spiel: dass nach überraschenden Wahlergebnissen zukünftig stets eine ­Nachzählung gefordert werden könnte. Ab wann ist ein Resultat ungewöhnlich? Ab welchem Wert sollte neu ausgezählt werden?

 

In der Ratssitzung am 30. September attackierte Frank den DuMont-Konzern scharf, während  SPD und Linke es vorzogen, nur indirekt Kritik zu üben. Anschließend stimmten die Grünen mit CDU und FDP für die komplette Nachzählung.

 

OB Jürgen Roters hatte schon vor der Abstimmung erklärt, er werde juristisch gegen den Be­­schluss vorgehen. Im Kommunalwahlgesetz ist geregelt, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein muss, um die Wahl zu beanstanden. Gerade diese Unregelmäßigkeiten sind nicht belegt. Regierungspräsidentin Gisela Walsken hatte Roters’ Intervention prompt unterstützt. Doch in einer Sondersitzung bestätigten  Grüne, CDU und FDP erneut ihren Antrag, der dann wieder von der Regierungspräsidentin aufgehoben werden wird. Woraufhin die Grünen eine Klage vor Gericht einreichen werden.

 

Das belastet das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen SPD und Grünen, zumal SPD-Fraktionschef Martin Börschel auf die eine Stimme Mehrheit für Rot-Grün im Rat verzichten will, bis die Ergebnisse der Kommunalwahl abschließend juristisch geklärt sind. Wohlwissend, dass die Koalitionsverhandlungen überflüssig werden, wenn SPD und Grüne nicht von ihrer Stimmenmehrheit Gebrauch machen.

 

Statt Politik zu machen, befinden sich die Ratsfraktionen von SPD, Grünen und CDU bereits im OB-Wahlkampf: Roters’ Nachfolger wird am 13. September 2015 gewählt. Nicht unwahrscheinlich aber, dass es selbst danach keine stabile Mehrheit im Rat der Stadt geben wird: Gewinnt ein SPD-Kandidat, bliebe weiterhin eine knappe Mehrheit für Rot-Grün, aber deren Verhältnis dürfte bis dahin noch frostiger werden. Setzte sich gar ein CDU-Kandidat durch, würden sich SPD, Grüne mit der Linken zusammenraufen — denn ein Bündnis mit der CDU scheint für die SPD derzeit allenfalls als Drohung gegen die aufmüpfigen Grünen zu taugen.