Unmögliche Härtefälle

»Dolls« von Takeshi Kitano

»Brother« und »Dolls«, die letzten beiden Filme von Takeshi Kitano (sein neues Werk »Zatoichi« war bislang nur auf Festivals zusehen), sind schöne Belege für die Anwendbarkeit der vielfach verfemten Autorentheorie. Geschichte, Schauplatz und Ästhetik könnten kaum unterschiedlicher sein, und dennoch erkennt man schnell Kitanos Handschrift. Nach seinem Amerika-Ausflug mit »Brother« kehrt Kitano nun zurück nach Japan. Dabei wechselt er von einer blutigen Gangstergeschichte zu drei locker verbundenen Liebesgeschichten, die von Ausschnitten eines traditionellen Bunraku-Puppentheaterstücks aus dem frühen 18. Jahrhundert gerahmt werden. Aus dem blaugrauen Zwielicht der Betonwelt von Los Angeles wird in »Dolls« das Zartrosa japanischer Kirschblüten, das Rostrot von Herbstblättern und das blendende Weiß von Schneefeldern. Kitano verabschiedet sich vom Hardboiled-Realismus seiner Gangstergeschichten und begibt sich in eine Traumwelt expressiver Farbigkeit. Da für ihn die Bunraki-Puppen die eigentlichen Erzähler seines Films und »Spieler« seiner Protagonisten sind, kann er in eine Welt eintauchen, die mehr den Regeln des Theaters folgt als denen des Kinos.
In allen drei Geschichten geht es um einen Liebenden, der an seiner Liebe verzweifelt. Die junge Sawako wird von ihrem Freund Matsumoto verlassen, der aus ökonomischen Gründen die Tochter seines Chefs heiraten will. Als Sawako daraufhin vor Schmerz in einen Zustand geistiger Verwirrung fällt, erkennt Matsumoto seinen Fehler und kehrt zurück. Doch Sawakos Zustand bessert sich nicht. Fortan ziehen die beiden als Bettler mit einem Seil zusammengebunden durch Japan. In der zweiten Geschichte wartet eine Frau 30 Jahre jeden Samstag auf einer Parkbank auf ihren Freund, der sie längst verlassen hat. In der dritten geht es um den männlichen Fan eines Popsternchens, der einen Autounfall seines Idols nicht verkraftet. Liebe ist in Kitanos Film immer mit Leid und absoluter Selbstaufgabe verbunden. »Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende« ist ein Ausdruck, den das Japanische nicht kennt, sagte er in einem Interview zu seinem Film.
»Dolls« ist ein grausamer Film, auch wenn kaum Blut zu sehen ist, eine Grausamkeit, die durch die überreal schönen Naturbilder von Kitanos Kameramann Katsumi Yanagishima und die Kostüme des Modeschöpfers Yohji Yamamoto noch gesteigert wird. Diese Mischung aus Poesie und Gewalt ist es, die Kitano zu einem Star des weltweiten Autorenkinos gemacht hat, mit »Dolls« verschiebt er seinen Fokus in zweierlei Richtungen – von körperlicher zu seelischer Gewalt und von minimaler zu expressiver Bildsprache – und bleibt sich dabei doch treu.

Dolls (dto) J 02, R: Takeshi Kitano, D: Miho Kanno, Hidetoshi Nishijima, Tatsuya Mihashi, 114 Min. Start: 30.10.