Pixeltanz

»rhein.tanzmedia.net« heißt ein neues medienorientiertes Tanzprojekt für die Rheinschiene. Im Oktober findet in Köln die Uraufführung der medialen Tanz-Installation »Inversion« statt. Ebenfalls im Oktober schreibt rhein.tanzmedia.net einen Wettbewerb zum Thema Internet und Tanz aus.

Irgendwo gibt es sie schon, die Technologien, die Ideen und irrsinnigen Systeme, die noch den letzten aberwitzigen Traum von medialer Schöpfergewalt und grenzenloser Kommunikation möglich machen. Alles noch schneller, authentischer, lebensechter in unseren virtuellen Parallelwelten: die perfekte Animation, die ganz neue Art von Wirklichkeit. Die, die darin zu Hause sind, sind die Zauberer, die Alchemisten von Heute. Vielleicht das erste Mal seit der Renaissance ist sie wieder so umfassend da: eine begeisterte, sich gegenseitig potenzierende Symbiose von Kunst und Technik. Wer mit Bits, Bites und Hypertechnik etwas anzufangen weiß, hat momentan die Nase vorn in der Kunstwelt. Ob das im Einzelfall gerechtfertigt ist oder nicht, dazu später etwas.
Fest steht: die technischen revolutionieren die künstlerischen Möglichkeiten. Wie alle anderen Kunstsparten hat auch der zeitgenössische Tanz längst die neuen Chancen begriffen, die Medien- und Computertechnologie auf der Bühne bieten. Seit Jahrzehnten ist er wichtiger Partner für eine in Zeit und Raum vorstoßende visuelle Kunst; aktuell vor allem für die interaktive mediale Montage von Aktion und Körper, virtuellem Bild und Wirklichkeit. Das Genre erschöpft sich kaum mehr in projizierten Bildern und Körper-Manipulationen: Inzwischen werden ganze Choreografien am Computer entwickelt, tanzt man mit virtuellen Partnern und Doppelgängern, verlässt die Bühne, um Teil einer Multimedia-Installation zu werden. Ballett-Revolutionär William Forsythe etwa arbeitet seit Jahren mit improvisierten Media-Tanz-Events und interaktiven CD-Rom-Produktionen. In Videos wie in Life-Performances, überall wird experimentiert, neuartig kommuniziert – bestenfalls auch gezaubert.
In hiesigen Breiten war davon allerdings bisher wenig zu sehen. Die Kölner Oper kauft lieber Etabliertes und leicht Verdauliches ein, am Tanzhaus NRW in Düsseldorf gab es bisher zwar großes Interesse, aber kaum das nötige Geld für eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit dem Thema, und in der freien Szene rührt es sich nur zaghaft. Das Organisations- und Veranstaltungsbüro »tanz performance« in Köln hat die Lücke bemerkt und reagiert: Seit Mai gibt es »rhein.tanzmedia.net«, eine erste große Initiative in Sachen Tanz und Neue Medien an der Rheinschiene. »Netzwerk für internationale Medienkunst und Performance« nennen Madeline Ritter und Heike Lehmke ihr Projekt.
Netzwerk passt hier nicht nur gut zum Thema, sondern steht auch für eine große Stärke von tanz performance: in Zusammenarbeit mit regionalen Institutionen, Veranstaltern und Häusern internationale Produktionen an den Rhein zu bringen. Diesmal sind neben der Kölner Initiative das Tanzhaus NRW in Düsseldorf, das Festivalbüro der Stadt Duisburg und das Animax Multimediatheater Bonn mit von der Partie. Im Hintergrund steht das Kulturministerium NRW und die Rheinland AG. Veranschlagte Dauer des Projekts: zunächst bis Ende 2002.
Gemeinsam hat man eine Veranstaltungsreihe zusammengestellt, die an wechselnden Spielorten der beteiligten Städte das Thema von verschiedenen Seiten anpackt: Grenzen verfließen lässt zwischen bildender und darstellender Kunst, zwischen real-körperlicher und virtueller Darstellung. Die fragt, was alles schon möglich ist im Spiel um Präsenz und Identität, und was bald möglich sein wird. Dazu ist auch ein internationaler Wettbewerb für eine Netz/Tanz/Performance ausgeschrieben. So sie den finanziellen Rahmen nicht sprengen, sollen drei Gewinner-Projekte gekürt, für das rhein.tanzmedia.net produziert und dann auch präsentiert werden. Und zwar auch im World Wide Web: »Es gibt keine inhaltlichen Beschränkungen, außer der Einbeziehung des Internets oder anderer Möglichkeiten der Online-Übertragung«, heißt es im Ausschreibungstext.
Bereits im Mai war als Eröffnung der Reihe in Duisburg und am Tanzhaus »D.A.V.E – digital amplified video engine« zu sehen: ein Tänzerkörper, durch Projektionen spektakulär mutiert und deformiert. Das driftete leider – flache Tanz-Einlagen, technikverliebte Animationen- stark in Richtung Medien-Zirkus und Disco-Show und zeigte zugleich die Problematik des Genres: Wo viel virtueller Hokuspokus sich nur allzu gern als Kunst verkauft, sind die Grenzen zwischen faszinierender Technik und künstlerischem Anspruch äußerst fließend. Wenn Tanz und szenische Installation schlimmstenfalls zu Sklaven unreflektierter technischer Spielchen werden oder diese einfach nur benutzen, wenig Substanz spektakulär erscheinen zu lassen, diskreditiert sich das Genre selbst.
Der problematische Einstieg der Vorstellungsreihe spricht aber keineswegs gegen den Rest des Programms: Mit Jo Fabians Bildermagie »The dark side of time« in Düsseldorf, der Bonner Uraufführung eines neuen Stücks von Stephanie Thiersch und dem multimedialen Bühnen-Projekt »Inversion« in der Kölner Trinitatiskirche wird die Auseinandersetzung jetzt im Herbst wohl ein anderes Niveau erreichen.
»Inversion« von Bill Seaman und Regina van Berkel ist die erste Eigen-Produktion und Uraufführung des »rhein.tanzmedia.net«. Mit Seaman und van Berkel, er ursprünglich bildender Künstler, sie Tänzerin und Choreografin, haben zwei herausragende Figuren der zeitgenössischen Kunstszene zusammen gefunden. Seaman inszeniert seine Themen in aufwändigen interaktiven Installationen als umfassende sinnliche Erfahrung; van Berkel war Tänzerin bei William Forsythe am Frankfurter Ballett und arbeitet seit Jahren als freie Choreografin und Tänzerin. Für die Dortmunder »Zeche Zollern II/V« entstand 2000 ihre erste gemeinsame Installation. »Inversion« führt die Zusammenarbeit fort und wird von Köln aus im November zum renommierten Holland-Dance-Festival nach Den Haag weitergehen.
Thema ist, was im Moment von der Politik bis zum Feuilleton alle Magazine füllt: Die exponenziell beschleunigte technologische und wissenschaftliche Entwicklung in der Gen- und Nanotechnik. Musik, Text und Tanz, installiert in der weiträumigen Architektur der Kölner Trinitatis-Kirche, wollen das technoide Thema sinnlich erfahrbar machen – mit Blick auf ein radikal sich wandelndes Verhältnis von Mensch und Maschine und auf den potenziellen menschlichen Körper des 21. Jahrhunderts.
Selbst mit Mitteln der Hightech arbeitend, schon gar nicht grundsätzlich technikskeptisch, setzen sich Seaman und Berkel dennoch kritisch mit Zukunftsvisionen auseinander, die kaum noch Unterschiede zu kennen scheinen zwischen Körper, Maschine und reproduzierten Kopien menschlichen Lebens. Der Installationsplan für den Kirchenraum kündigt ein begehbares Labyrinth an aus Projektions-Screens, Licht-Zelten, interaktiven Objekten und möglichen Räumen für den Tanz - ,animiert\\\\\\\\\\\\\\\' durch »mediale Bilderfluten« (wie die Ankündigung verlautbart), Musik, auf Bewegung und Berührung reagierende oder zufallsgenerierte Medien-Stationen.
Wenn Tanz, wie hier möglich, als kongenialer Partner einer progressiven Auffassung von bildender Kunst und medialer Entwicklung agiert, hat er wohl seine größten Chancen beim oft tanzskeptischen Kultur-Publikum. Deshalb kann man nur hoffen, dass die künstlerische Produktion so erfolgreich wird wie das Konzept. Denn die Idee scheint sich durchzusetzen: Ebenfalls im Oktober und November startet das Tanzhaus in Düsseldorf eine eigene Veranstaltungsreihe – die »media dance collection«. Auch sie soll in Aufführungen, Präsentationen und Installationen das enorme Spektrum der rasanten Entwicklung diskutieren.
Landeskulturpolitik und die unterstützende Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW haben durchaus bemerkt, worum es geht: »Tanzland NRW« nennt man sich gern, und ungern nur will man der aktuellen Entwicklung hinterher laufen. Allerdings ist Gefahr im Verzug: in Gestalt von überstrapazierten Prestige-Objekten der NRW-Kulturpolitik. Wo die künstlerische Zukunft des hybriden Genres liegt, wird nicht zuletzt von den experimentellen Energien der Tanz-Szene selbst abhängen.

Aufführungen im Rahmen von rhein.tanzmedia.net:
Köln: »Inversion« von Bill Seaman und Regina van Berkel, 11.(Uraufführung) - 13.10., 20 Uhr, Trinitatiskirche, Karten: 0221/2801.

Bonn: »son ambulio« von Stephanie Thiersch 29. (Uraufführung), 30.11., Animax Multimediatheater.

StadtRevue verlost 3x2 Gästelistenplätze für die »Inversion«-Vorstellung am 12.10.01, 20 h.
Post oder Mail bis 7.10. an Verlosung@stadtrevue.de, Stichwort »pixeltanz«.

Weitere Infos: tanz performance köln, Tel.: 0221/ 722133.