Anderer Leute Geld

Im Januar findet der erste Prozess über Herzkreise in Köln statt. Der Rechtsanwalt Erik Millgramm vertritt die Frauen und Männer, die ihr Geld zurückhaben wollen

StadtRevue: Herr Millgramm, sind die, die sich jetzt betrogen fühlen, nicht selbst verantwortlich für ihr finanzielles Desaster?

Erik Millgramm: Wenn man die Vorgänge aus heutiger Sicht betrachtet, könnte man sagen: selbst schuld. Das wäre aber die falsche Betrachtungsweise. Die Frauen in den Herzkreisen sind nicht selbst schuld, sie sind mit allen psychologischen Tricks zum Verbleib veranlasst worden. Selbst dann noch, wenn sie in meiner Kanzlei sitzen, stehen die Frauen unter unglaublichem Druck und haben beispielsweise ein schlechtes Gewissen, den Schenkkreis zu verlassen.

Wer in Schenkkreisen spielt, ist doch nicht nur Betrogener, sondern auch Betrüger, wenn er zum Beispiel neue Mitspieler geworben hat. Wie können die Leute ihr Geld überhaupt einklagen?

Nahezu alle, die sich bei mir gemeldet haben, sagen: Sofort nachdem wir das Geld bezahlt hatten, sind wir wachgeworden, wir haben uns übel gefühlt. Die meisten haben niemanden geworben. Aber selbst wenn sie es getan hätten: Die Anwerbung von Personen oder die Teilnahme an einem Schenkkreis ist grundsätzlich nicht strafbar. Aber zivilrechtlich haben die Teilnehmer Anspruch auf die Rückgabe des Geldes.

Warum?

Ein Urteil des BGH von 1997 bestätigt, dass Schneeballsysteme sittenwidrig sind, und Schenkkreise sind Schneeballsysteme. Und die Sittenwidrigkeit hat zur Folge, dass das Rechtsgeschäft, das dem Ganzen zugrundeliegt, unwirksam ist. Es gibt also keinen Rechtsgrund, dass der, der das Geld erhalten hat, das Geld auch behalten darf. Und wer etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat, ist zur Herausgabe verpflichtet.

Wie argumentiert die Gegenseite?

Im Moment versucht die Gegenseite, aus den Opfern Täter zu machen. Sie argumentiert, die Teilnehmer hätten genau gewusst, worauf sie sich einlassen. Wenn jemand weiß, worauf er sich einlässt und das willentlich tut, kann er natürlich nichts einklagen. Ich habe über 200 Gespräche geführt, alle Betroffenen berichten, es sei in den Kreisen immer betont worden, es handele sich um ein völlig legales Spiel, das von 15 kanadischen Nonnen erfunden wurde. Von Schneeballsystem und Sittenwidrigkeit war nie die Rede. Das gleiche gilt für die Unterlagen, die in den Schenkkreisen ausgehändigt wurden.

Aber ist das nicht Betrug und damit auch strafrechtlich relevant?

In manch einem Fall würde ich sagen, es ist Betrug. Ich habe meinen Schwerpunkt aber auf der zivilrechtlichen Ebene, und dabei soll es auch bleiben. Wenn wir jedoch die Verfahren gewinnen, und die Beklagten sollten sich weigern zu zahlen, dann werden meine Mandanten in den Fällen, in denen es einen Verdacht auf Betrug gibt, auch Anzeige erstatten.

Warum gibt es jetzt auf einmal so viele Prozesse? Die Schenkkreise laufen doch schon seit Jahren.

Ich bin zunächst von einer Mandantin gebeten worden zu prüfen, ob sie eine Chance auf Rückgabe ihres Geldes hat. Damals wusste ich noch gar nicht, was Herzkreise sind. Im Frühjahr 2003 hat die Mandantin dann ihr Geld zurückbekommen. Das hat sich wohl schnell herumgesprochen.

Eine Rechtfertigung der Herzkreisfrauen lautet: Männer spekulieren mit Aktien, Frauen spielen eben in Herzkreisen.

Das ist nicht vergleichbar. Es ist etwas anderes, ob man an der Börse spekuliert, oder ob man Leute unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein solches Schneeballsystem lockt. Bei Aktiengeschäften kann man auch aufs Kreuz gelegt werden, wenn zum Beispiel falsche Informationen weitergeleitet werden. Doch das ist ja nicht der grundsätzliche Ansatz einer Börse.

Und worin liegt der Reiz der Schenkkreise?

Wenn man ganz vorne dabei ist, kann man schnell an anderer Leute Geld kommen.
Aber die Teilnehmer zahlen doch freiwillig.

Natürlich wird hier niemandem eine abgesägte Schrotflinte an die Schläfe gehalten und gesagt: Du zahlst jetzt 5.000 Euro, damit du dein Glück findest. Aber das System basiert auf psychologischem Druck, einige meiner Mandantinnen hatten den Eindruck, wie unter Hypnose zu handeln. Langsam entsteht ein Gesamtbild, wie das System funktioniert. Manche Namen von Beklagten tauchen immer wieder auf. Man könnte das für einen Zufall halten, man könnte aber auch andere Annahmen zu Grunde legen. Zwei meiner Mandantinnen zum Beispiel haben erst zu spät begriffen, dass sie überhaupt die Einzigen waren, die Geld eingezahlt haben und die anderen als Platzhalter fungierten.


Zur Person
Erik Millgramm (44) arbeitet seit 1992 als Rechtsanwalt in Köln, seine Schwerpunkte sind Medien-, Arbeits- und Wettbewerbsrecht. Über 200 Geschädigte aus Herzkreisen und anderen so genannten Schenkbörsen haben sich bisher bei ihm gemeldet. Die MandantInnen kommen nicht nur aus Köln, sondern aus ganz Deutschland. Der erste Prozess findet am 21. Januar vor dem Kölner Amtsgericht statt.

Zu Herzkreisen
Auf seiner informativen Homepage www.millgramm.de beantwortet der Rechtsanwalt die meist gestellten Fragen zu Herzkreisen und der Möglichkeit, das Geld zurückzubekommen. Wer wissen will, wie derartige Schenkkreise funktionieren, findet im Archiv von www.stadtrevue.de den Artikel »5000 Euro für ein Herz – wie Frauen sich gegenseitig abzocken« (StadtRevue 6/03).