Utopien, auf Sand gebaut

Die Kölner Künstlerin Julia Weißenberg arbeitet am Bildgedächtnis

 

Sie ist Absolventin der Kunsthochschule für Medien und aktuelle Preisträgerin des Chargesheimer-Stipendiums der Stadt Köln, ein Preis für Medienkunst, benannt nach jenem Fotografen, der das städtische Alltagsleben in unvergesslichen Bildern festhielt. Doch Julia Weißenbergs jüngste Arbeiten entstanden abseits der Großstadt. Auf Schloss Ringenberg, abgelegen am unteren Niederrhein beheimatet, bietet das Land NRW Bildenden Künstlern und Kuratoren seit 25 Jahren die Möglichkeit, sich für ein Jahr finanziell abgesichert ausschließlich auf das eigene kreative Schaffen zu konzentrieren. Seit Januar schafft hier auch die 1982 geborene Kölnerin, die sich erfolgreich beworben hatte, um dort »intensiv und konzentriert in die Arbeit reingehen zu können«.

 

Die Früchte dieses kreativen Klausur- und Austauschaufenthalts erntet nun die Kölner Artothek, die die Preisträger-Ausstellung des Chargesheimer-Stipendiums ausrichtet. Weißenberg beschäftigt sich in ihrer Ausstellung ausgiebig mit dem Rohstoff Sand, der keine nachwachsende Ressource ist und trotzdem verschwenderisch eingesetzt wird. Weil mit der Erfindung des Stahlbetons, der zu zwei Dritteln aus hochwertigem Sand besteht, Bauprojekte immer gigantischer wurden, sind die natürlichen Sandvorräte in absehbarer Zeit erschöpft. Denn der reichlich vorhandene Wüstensand ist ungeeignet zur Betonverarbeitung, seine Körner sind nicht kantig. Nach Sandgruben und Flüssen baggert man nun die Weltmeere an, mit immensen Folgen für das ökologische Gleichgewicht: Flora und Fauna des Meeresgrundes werden dabei irreparabel zerstört, Strände verschwinden, Inseln versinken. Dieses Desaster hält Bauherren und Bauunternehmen keineswegs von ihren größenwahnsinnigen Plänen in Dubai, Shanghai oder Katar ab. Hier setzt Weißenberg ein und nutzt als found footage 3D-Visualisierungen von Architekten, die die utopischen Stadträume täuschend echt vor Augen führen. Sie wandelt das im Internet gefundene Filmmaterial ab, spielt damit, abstrahiert die makellosen, von gigan­tischem Reichtum zeugenden Wohn- und Lebenswelten, um zu eigenen Fiktionalisierungen zu gelangen.

 

Julia Weißenbergs Hauptmedium ist Video, ihre Werke wurden bislang hauptsächlich auf deutschen und internationalen Film- und Videofestivals oder jüngst bei den Marler Medienkunstpreisen gezeigt. Für die Artothek erschafft sie aus den Werbefilmen der Städtebauer auch Fotogramme, Blaupausen und Bleistiftzeichnungen. Ihre künstlerische Vorgehensweise entspricht einer dokumentarisch-forschenden, nicht nur hinsichtlich der Themen, sondern auch im Bezug auf die Techniken. So wie Weißenberg die Zusammenhänge von Sand, Beton und Bauwahn verfolgt, so geht sie auch alten fotografischen Verfahren auf den Grund, etwa dem Lichtpausverfahren der »Diazotypie«, das Architekten früher einsetzten, um ihre Baupläne zu kopieren. Sie druckt Screenshots aus den Animationsfilmen auf spezielle Träger, be­­dampft sie mit Ammoniak und erhält Weichzeichnungen der Stadtvisionen. Sie mag die Verfremdung der scheinbar konkreten Bewegtbilder, das Malerische der Blaupausen und ihre Vergänglichkeit.

 

Um Vergänglichkeit und die Idee von Zeitlosigkeit geht es auch in der Bodenprojektion eines riesigen Mandalas. In stundenlanger akribischer Kleinarbeit schöpft Weißenberg eine künstliche Sand-Landschaft aus der Vogelperspektive, inspiriert unter anderem von den prestigeträchtigen Landgewinnungsprojekten »Palm Deira« und »The World« in Dubai. Letzteres, eine Gruppe aus 300 aufgeschütteten Inseln, wo man Gott gleich die Welt ein zweites Mal erschaffen wollte, ist heute nur noch eine Fata Morgana und fast wieder im Meer versunken. Am Ende der auf zwei Stunden gestauchten Entstehung des Mandalas sieht man, wie die Künstlerin den farbigen Sand einfach wieder zusammengefegt. So kann’s gehen, wenn man Luftschlösser in den Sand setzt.

 

Die Visualisierung von Fiktionen interessiert Weißenberg nicht nur im Utopischen, sondern auch im Raum der Erinnerungen. So schildert ihre Video-Installation »Nothing to retain« (2013) den Werdegang eines nie gebauten Clubhauses von Ludwig Mies van der Rohe, das gut achtzig Jahre später als begehbares, temporäres Architekturmodell im Maßstab 1:1 nachgebaut und erfahrbar gemacht worden ist. Die Künstlerin möchte in den jüngsten Beton-Phantasien nicht nur den Bauboom verteufeln, sondern Fragen aufwerfen. »Wer seine Arbeiten ausstellt, gibt sie auch ab.« Dass diese auch ohne Belehrungen sprechen können, zeigt sie eindrucksvoll.