Foto: Manfred Wegener

Die Rewe-City

Wird irgendwo in Köln eine gut gelegene Laden­fläche frei, eröffnet bald schon der nächste Rewe-Markt. Soeben ist ein Rewe-Center auf zwei Etagen in die Opernpassagen gezogen, an der Aachener Straße setzt ein Rewe-Bioladen mit Gastronomie die umliegenden Bistros unter Druck. Warum ­können wir kaum noch woanders einkaufen als

bei Rewe?

In Kölner Kühlschränken sieht’s aus wie auf Kölner Straßen: überall Rewe. Woher hat der große Lebensmitteleinzelhändler mit Sitz an der Domstraße hinter dem Hauptbahnhof diese Marktmacht in Köln? Bei jedem größeren städtebaulichen Projekt, bei jedem Leerstand an lukrativer Stelle, so scheint es, kommt Rewe mit einem Supermarkt zum Zuge. Kaum ein Viertel, in dem nicht das rot-weiße Logo prangt. Allein auf der Neusser Straße zwischen Ebertplatz und Florastraße gibt es fünf Filialen auf anderthalb Kilometern. 

 

In Köln besitzt Rewe mehr als 80 Filialen der unterschiedlichsten Formate, Edeka gerade mal ein gutes Dutzend. Dies ist bemerkenswert, weil Rewe zwar eines der größten Unternehmen der Branche ist, bundesweit aber meist das Nachsehen gegenüber dem Marktführer Edeka hat. Dessen 7500 Märkten im Bereich des Vollsortiments stehen lediglich entsprechende 3400 Rewe-Filialen gegenüber. Zusammen mit den Discountern Aldi und Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) erzielen Edeka und Rewe 85 Prozent aller Erlöse im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. 

 

In diese komfortable Lage haben sich die großen Vier durch eine aggressive Expansionspolitik und strategische Aufkäufe von Konkurrenten gebracht. Rewe hatte bis Ende der 80er Jahre die komplette Leibbrand-Gruppe übernommen. Dazu gehörten unter anderem Stüssgen, Globus, HL und Minimal sowie die Penny-Märkte, die heute als Discounter unter dem Rewe-Dach firmieren. 2007 startete Rewe dann eine erneute Übernahme-Offensive und sicherte sich die Extra-Märkte der Metro sowie jeweils rund 30 Accord-Märkte im Saarland und Sky-Märkte in Süddeutschland. 2010 kaufte Rewe schließlich Tengelmann-Filialen in Baden-Württemberg und dem Rhein-Main-Gebiet, das seitdem zur unangefochtenen Rewe-Hochburg ausgebaut wurde. Dort ist Edeka ebenso unbedeutend wie in Köln.

 

Die Konkurrenz zwischen Edeka und Rewe besteht seit jeher. Edeka, die »Einkaufsgenossenschaft« der Kolonialwarenhändler, weigerte sich 1927, weitere Mitglieder aufzunehmen. Daher schlossen sich 17 Einkaufsgenossenschaften zum »Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften«, kurz Rewe, zusammen. Indem man gemeinsam Waren einkaufte, sanken die Preise für die einzelnen Händler erheblich. 

 

Geschäfte, die von einer gemeinsamen Zentrale aus geleitet werden, eröffnete Rewe erst Anfang der 70er Jahre. Mittlerweile werden von den rund 3400 Rewe-Märkten zwei Drittel als solche »Regie-Filialen« geführt. 

 

Der Trend geht heute aber, wie beim Konkurrenten Edeka, zur weiteren Privatisierung der Filialen. Um sogenannte selbstständige Partnerkaufleute wirbt Rewe mit vielfältigen Angeboten: Beratung und Finanzie-rungshilfe, ständige Weiterbildungen sowie Unterstützung von Werbekampagnen und Hilfe bei der Ladenausstattung und sogar Personal. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisiert, dass es in diesen Filialen keine Betriebsräte gebe und untertariflich bezahlt werde.

 

Lutz Richrath lässt das nicht gelten. Er spricht von Eckpunkten, die vereinbart würden, Kassierer bekämen elf oder zwölf Euro Stundenlohn. Richrath ist einer der Rewe-Partnerkaufleute. Gerade hat er mit seinem Bruder Peter den »exklusivsten Supermarkt der Domstadt« (Pressetext) in den Opernpassagen eröffnet. Das Familienunternehmen aus Bergheim, dessen Ursprünge bis 1874 zurückreichen, unterhält 13 Filialen in der Region. Sie koppeln dabei eigene gastronomische Konzepte an die Märkte, etwa die »Mahlzeit«-Bistros oder einen Imbiss von »Richraths Landmetzgerei«, zudem sind ihrem Rewe-Center an den Opernpassagen ein Sushi-Laden und italienische Feinkost angeschlossen. Das zieht Laufkundschaft an, und wer ohnehin zum Einkaufen kommt, nimmt vielleicht noch für einen Snack Platz.

 

Ein Schlagwort, das im neuen Mega-Rewe immer wieder auftaucht, ist »regional«. Die Kunden bevorzugten regional noch vor Bio, wenn der Verkäufer glaubwürdig die Qualität des regionalen Herstellers versichern kann, sagt Richrath. Er und sein Bruder haben auch die Marke »WIR aus der Region« lanciert. »Nachhaltigkeit pur« sei das und ein »Frischevorteil«, so die Reklame. In ihrem neuen Center haben die Richraths Infotafeln aufgestellt, die Anmutung ist an gängiges Bio-Marketing angelehnt. Die »Grundsätze« bieten allerdings kaum etwas Konkretes, stattdessen ist von Vertrauen und Verantwortung die Rede. Die regionalen Produkte gibt es in unterschiedlichen Qualitätsstufen. Eier sind bio-zertifiziert, aus Bodenhaltung oder einfach bloß »regional«. Sie stammen wie Obst und Gemüse von landwirtschaftlichen Betrieben in Bornheim, Bergheim-Niederaußem oder auch Nörvenich bei Düren. Ein Netz von Familienbetrieben, denen Rewe — so die Werbung — die Existenz sichert.

 

Eben das ist heikel. Im Umkehrschluss kann dies bedeuten, dass diese Hersteller von Konzernen wie Rewe abhängig sind. Dass solche Strukturen bei der Marktmacht von Rewe, Edeka, Aldi und Schwarz-Gruppe bestehen, legt die Studie des Bundeskartellamtes, die gerade erschienen ist, nahe. Die Konzerne können ihre Nachfragemacht, so der Fachbegriff, in Verhandlungen mit den Herstellern von Lebensmitteln voll ausnutzen und Preise drücken. Entsprechend stehen die großen Vier der Branche unter ständiger Beobachtung des Bundeskartellamtes. 

 

Dort hat man auch festgestellt, dass sich der Status der »Hochburgen« immer weiter verfestige, im Fall von Rewe also beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet und Köln. Zwar können die Städte kein Unternehmen direkt bevorzugen, sondern nur bestimmte Nutzungen und Sortimente festlegen. Doch das Planungsrecht liefere im Detail den Kommunen durchaus die Handhabe, auf den Wettbewerb Einfluss zu nehmen und bereits angesiedelte Unternehmen vor Konkurrenz zu schützen. Darauf weisen sowohl das Bundeskartellamt als auch die Monopolkommission, ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung berät, hin. Das NRW-Landesentwicklungsprogramm, kommunale Einzelhandels- und Zentrenkonzepte, aber auch Interpreta-tionsspielräume in der Bauleitplanung eröffnen zumindest Möglichkeiten. Susana dos Santos-Hermann (SPD), Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, bestreitet, dass dies in Köln geschehe. Sie führt den Erfolg von Rewe darauf zurück, das Rewe erfolgreich mit Grundstückseigentümern und Projektentwicklern verhandele. So sieht es auch Maria Kröger, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes. Sie verweist zudem auf spezielle Konzepte für die Ansiedlung kleinerer Märkte. 

 

Hier hat sich Rewe offenkundig einen Vorteil vor seinen Mitbewerbern verschafft. Während die Branche den Trend vollzieht, sich in größeren Lokalen mit bis zu 1500 Quadratmetern Verkaufsfläche anzusiedeln, hat Rewe erfolgreich Formate für bis zu 800 Quadratmeter entwickelt. So bietet das Format »Rewe City« ein kleineres Sortiment, das aber den meisten Kunden ausreicht. Und dem Rewe-Konzern eröffnet es die Möglichkeit, in den Innenstädten leichter Standorte zu finden. Auch die anderen Rewe-Konzeptionen brauchen nicht unbedingt viel Fläche. Auf die enorme Nachfrage nach Bioprodukten reagiert Rewe mit Temma-Märkten, die den herkömmlichen Bio-Supermärkten wie Basic und Alnatura mit einem zusätzlichen Gastronomieangebot die Kundschaft wegnehmen sollen. Die auf eine eilige großstädtische Kundschaft ausgerichteten neuen »Rewe to go«-Filialen gehören ebenfalls zu dieser Strategie, hier konkurriert man mit Bäckerei- und Kaffeeröster-Ketten. Das Konzept wird gerade am Kölner Hauptbahnhof sowie in Kooperation mit Aral-Tankstellen getestet. Auch hier haben die Konkurrenten nichts Vergleichbares zu bieten. 

 

Vieles spricht dafür, dass in Köln weiterhin alle paar Meter ein Rewe-Markt steht, auch wenn die Leuchtreklame nicht immer rot-weiß ist.