Foto: Manfred Wegener

Triumph der Technokraten

Man habe ein Jahrhundertwerk vollbracht, so glaubte die Landesregierung vor vierzig Jahren: Die Kommunale Neugliederung verringerte durch Eingemeindungen und Zusammenschlüsse die Anzahl der Städte und Gemeinden um fast die Hälfte. Das führe zu einer effizienteren Verwaltung und mehr Bürgernähe, versprach man — eine folgenreiche Fehleinschätzung

Derzeit sammelt die Stadt Köln im Internet Vorschläge, wie das Leben in den Stadtbezirken verbessert werden könnte. Dass die diesjährige Auflage des sogenannten Bürgeraushalts ausgerechnet vierzig Jahre nach der Kommunalen Gebietsreform in NRW die Probleme der neun Stadtbezirke thematisiert, ist eine böse Pointe. 

 

Die Bezirke mit ihren Bezirksvertretungen wurden 1975 nach den Eingemeindungen von Porz, Rodenkirchen und zunächst auch Wesseling eingerichtet, um auch in einer Millionenstadt weiterhin Bürgernähe und Beteiligung zu gewährleisten. Tatsächlich aber hatte man im Kölner Rathaus nie ernsthaft Interesse daran. So sind die Bezirksvertretungen bis heute ein Gremium ohne nennenswerten Einfluss. Statt das zu ändern, lässt man nun zum 40. Jahrestag dieser Fehlentwicklung unverbindlich Vorschläge sammeln. 

 

Das untermauert, dass im Fall von Köln das eingetreten ist, was die Kritiker der Kommunalen Gebietsreform immer befürchtet haben: der Verlust von Identifikation und demokratischer Teilhabe in Folge der großflächigen Eingemeindungen. 

 

Die Kommunale Gebietsreform war das beherrschende Thema im NRW-Landtag in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Mitte 60er Jahre beginnt man dort, die Grenzen von Kreisen, Städten und Gemeinden neu zu ziehen. Denn es hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Verwaltungen kleinerer Gemeinden überfordert seien. Sie können nicht mehr jene wichtigen Aufgaben erfüllen, die längst zum Lebensstandard in den Städten gehören. Es hapert in ländlichen Gebieten nicht nur an Kindergärten, Schulen, Sportplätzen oder öffentliche Büchereien, sondern auch bei der Versorgung mit Strom und Wasser oder der Beseitigung von Müll und Abwasser. Nur größere Verwaltungseinheiten würden diese Probleme lösen können, glaubt man.

 

Durch Zentralisierung sollen die Verwaltungen effizienter werden. Zugleich befördern die aufkommende elektronische Datenverarbeitung und Computerisierung eine technokratische Politik, in der alles für steuerbar gehalten wird. So wie die Stadtplaner damals bei der Konzeption von Hochhaussiedlungen, Autoschnellstraßen und riesigen Kliniken und Schulzentren den einzelnen Menschen aus dem Blick verlieren, so geschieht es auch bei den Politikern bei der Kommunalen Gebietsreform. Die besonderen Gegebenheiten in den Gemeinden und kleineren Städten, ihre gewachsene Struktur  und Beziehung zueinander, spielen ausdrücklich keine Rolle und werden dem Ziel einer Zentralisierung untergeordnet. So kommt es dazu, dass von Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre die Anzahl der Städte und Gemeinden in NRW nahezu halbiert wird.

 

Weil abzusehen ist, dass die Reform in den betroffenen Städten und Gemeinden auf Widerstand stoßen würde, hatte der Landtag bereits 1967 kurzerhand mit Zustimmung aller drei Fraktionen von SPD, CDU und FDP die Gemeindeordnung gefordert: Fortan können die Einwohner und Lokalpolitiker bloß noch ein Anhörungsrecht geltend machen, wenn es um Eingemeindungen und Zusammenschlüsse geht.

 

Um einen möglichst reibungslosen Ablauf zu garantieren, beruft Innenminister Willi Weyer (FDP) 1970 den »Zehnerclub« zusammen. Es ist ein Gremium, das keinerlei demokratische Legitimation besitzt, gleichwohl aber alle Entscheidungen vorwegnimmt. Hier trifft sich Weyer hinter verschlossenen Türen mit jeweils drei Politikern von SPD, CDU und FDP, um im Vorfeld der parlamentarischen Abstimmung die Eingemeindungen abzusprechen. Die Zehnerclub-Mitglieder können hier am Parlament vorbei ihre persönlichen Interessen geltend machen. 

 

So setzt der einflussreiche CDU-Fraktionschef Bernard Worms durch, dass sein Wohnort und Wahlkreis Pulheim eben nicht nach Köln eingemeindet wird. Im Zehnerclub kann er direkt mit dem späteren Kölner Oberbürgermeister John van Nes Ziegler (SPD) verhandeln, der die weitreichenden Kölner Interessen vertritt. Mit Argwohn schauen weniger einflussreiche Lokalpolitiker aus den betroffenen Städte und Gemeinden darauf, wie ihre Kommunen hier zu Verhandlungsmasse werden. 

 

Porz, mit seiner Industrie und der günstigen Verkehrslage mit Eisenbahn, Rheinufer und einem modernen Flughafen, steht schon lange auf der Wunschliste der Kölner. In Porz aber hofft Stadtdirektor Rudolf Trum, dass man als ein gut funktionierendes Mittelzentrum verschont bleibt. Keine Hoffnung hat man in Rodenkirchen, als kleine Gemeinde weiter zu existieren. So versucht man lieber, sich mit Wesseling und Brühl zusammen zu schließen, kann sich aber nicht einigen. Wesseling selbst, mit der Shell-Raffinerie und weiteren Chemiewerken, ist für Köln allein wegen der Gewerbesteuer attraktiv. Nach der Eingemeindung 1975 gelingt es Wesseling, vor dem Verwaltungsgericht die Eingemeindung rückgängig zu machen. Im Juli 1976 ist Wesseling wieder selbstständig und Köln vorerst nicht mehr Millionenstadt. 

 

Die Ambitionen des Kölner Oberbürgermeisters John van Nes Ziegler sind zeitweilig noch weitreichender. Die Kölner Stadtspitze träumt 1972 von einem »Großzentrum Köln«. Der gesamte damalige Landkreis Köln samt Brühl, Frechen und Pulheim soll Köln zugeschlagen werden, außerdem Dormagen, Bergisch Gladbach, Bensberg und Rösrath. Der Städte- und Gemeindebund nennt das den »Kommunalfriedhof Groß-Köln«. 

 

Köln betreibt im Zehnerclub weiterhin Lobbyismus, zudem heuert die Stadt eine PR-Agentur für ihre Pläne an. Anfang 1974 lässt die Stadt Köln unter anderem Flugblätter in Porz, Rodenkirchen und Wesseling verteilen und wirbt für die Eingemeindung. Derweil scheitert ein NRW-weites Volksbegehren gegen die Gebietsreform, das die Wattenscheider »Aktion Bürgerwille« initiiert. Nur sechs statt der erforderlichen 20 Prozent der Wahlberechtigten tragen sich in die Listen ein. Die PR der Kölner läuft dagegen weiter auf Hochtouren. Mitglieder des NRW-Ausschusses für die Verwaltungsreform besuchen wenige Wochen später Köln und werden mit einem Brauhausbesuch und Kulturprogramm erfolgreich umgarnt. 

 

Als Ende Mai 1974 das Köln-Gesetz in den NRW-Landtag eingebracht wird, ist für Porz, Rodenkirchen und Wesseling längst alles entschieden. Im November 1974 ist das Köln-Gesetz nach der dritten Lesung beschlossen.

 

In Rodenkirchen arrangieren sich Politik und Bevölkerung ab 1975 mit den neuen Verhältnissen. Man versucht dort im Interesse der ehemaligen Gemeinde über die neue Bezirksvertretung zu wirken. Bis heute gibt es eine gut organisierte und einflussreiche Bürgervereinigung sowie Ortsvereine. Aber auch hier ärgert man sich, dass die Bezirksvertretung keine Kompetenzen zugesprochen bekommt und etwa im Kölner Rathaus über die Schließung einer Grundschule entschieden wird. 

 

In Porz hält der Protest zunächst noch an, aber anders als Wesseling bleibt man mit einer Verfassungsklage vor dem Verwaltungsgericht Ende 1975 erfolglos. Danach kann man keine Politiker im Landtag mehr für eine Revision begeistern. Ein Zusammenschluss mit anderen eingemeindeten Kommunen zum »Kettwiger Kreis« bleibt folgenlos. 

 

Nach der Eingemeindung stoppt der Kölner Rat viele der gigantischen Bauprojekte, mit denen Porz seine Stellung als aufstrebende Stadt mit rasantem Bevölkerungswachstum unterstreichen will. Die städtebauliche Verschandelung wird dadurch gebremst, aber auch notwendige Bauprojekte bleiben aus. Eine zugesicherte Erweiterung des Porzer Gymnasiums wird erst Jahrzehnte später gebaut.

 

Und wenn man in Porz jahrelang auf die Sanierung der Rhein-uferpromenade warten muss oder in der ehemaligen Innenstadt ein leerstehendes Warenhaus verrottet, dann ist das für viele Porzer ein Indiz, dass ihre Bedürfnisse im Kölner Rathaus nicht berücksichtigt werden. Und das ist der Punkt, wo fehlende Identifikation mit der Eingemeindung in Ressentiment umschlägt. Dies wird sich auch nicht ändern, wenn man den Menschen in Porz und Rodenkirchen nun gönnt, ein paar Vorschläge für den Bürgerhaushalt einzureichen — anstatt endlich das einzulösen, was im Rahmen der Kommunalen Gebietsreform beschlossene wurde: dass die neu eingerichteten Stadtbezirke eigene Kompetenzen und ein angemessenes Budget erhalten, um das politisch zu beschließen, wofür man sich im Kölner Rathaus offenbar immer nur nachgeordnet oder kurz vor den Kommunalwahlen interessiert.