Auf der Couch: Gema Rodríguez Díaz und Jacek Marjanski von Rubicon | Foto: Manfred Wegener

»Manche haben nicht mal einen Begriff dafür«

Homosexuell und Migrant – das bedeutet nicht selten Mehrfachdiskrimierung. Wir sprachen mit dem Kölner Beratungszentrum Rubicon

Seit einem Jahr gibt es bei Rubicon, dem Kölner Beratungszentrum für Lesben und Schwule, eine Integrationsagentur. Als einzige in NRW kümmert sie sich um die Belange von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen (LSBTI) Migranten und Migrantinnen. Warum eine solche Agentur nötig ist und welche Rolle die Flüchtlingsarbeit spielt, darüber sprach die StadtRevue mit Gema Rodríguez Díaz und Jacek Marjanski von Rubicon.

 

Frau Rodríguez Díaz, Herr Marja?ski, was ist überhaupt eine Integrationsagentur?

 

Gema Rodríguez Díaz: Integrationsagenturen gibt es in NRW seit 2007. Ihre Arbeit besteht darin, die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in der Gesellschaft zu fördern und für ihre Belange zu sensibilisieren. Es geht um Antidiskriminierungsarbeit und die Vernetzung mit migrantischen Selbstorganisationen und Asylberatungsstellen.

 

Jacek Marjanski: Bei Rubicon haben wir schon sehr früh angefangen, uns um diese Themen zu kümmern. Seit zehn Jahren gibt es hier die offene Gruppe baraka, in der sich Migrantinnen mit LSBTI-Hintergrund jeden Freitagabend austauschen können. Mittlerweile engagieren sich viele von ihnen auch ehrenamtlich bei uns, sie dolmetschen oder geben Deutschunterricht.

 

Warum braucht es eine Integrationsagentur, die sich speziell um Migrantinnen mit LSBTI-Hintergrund kümmert?

 

Marjanski: Zu uns kommen Menschen, die mehrfach diskriminiert werden: Als Migrantinnen, als People of Color, als Schwule, Lesben und transidente Menschen, oft auch als Frauen. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Menschen zu stärken, damit sie sich rechtzeitig gegen Diskriminierung wehren können.

 

Rodríguez Díaz: Und bis dahin ist es oft ein langer Weg. Denn wenn man so oft von Diskriminierung betroffen ist, wird sie irgendwann als normal empfunden. Häufig erfahren die Menschen erst bei uns, dass es eine rechtliche Grundlage gegen diese Übergriffe gibt. Deswegen machen wir bald auch eine Veranstaltung zum Gleichbehandlungsgesetz. Wir sensibilisieren also nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch bei den Betroffenen selbst.

 

Zurzeit kommen viele Flüchtlinge nach Köln. Bekommen Sie das bei der Integrationsagentur auch zu spüren?

 

Rodríguez Díaz: Klar. Wenn es mehr Flüchtlinge gibt, sind darunter auch mehr mit LSBTI-Hintergrund. Oft wurden diese Menschen in ihren Herkunftsländern verfolgt und sind traumatisiert. Sie haben Angst, über ihre sexuelle Orientierung zu sprechen, andere wiederum haben nicht einmal einen Begriff dafür. Unsere Arbeit ist dann sehr schwierig, vor allem, weil es kaum LSBTI-sensible Beratungs- und Therapieangebote in Köln gibt.

 

Marjanski: Dazu kommt noch die katastrophale Situation in den Flüchtlingsheimen. Homosexuelle Paare werden häufig getrennt untergebracht, weil ihre Partnerschaft nicht berücksichtigt wird. Wir wissen aber auch von homophoben Übergriffen in den Heimen. Ein iranischer Mann erzählte uns bei einem Treffen, dass er sich zwei Jahre lang nicht aus seinem Zimmer traute, aus Angst vor seinen Mitbewohnern.

 

Erst seit November 2013 ist Homosexualität in Europa als Asylgrund anerkannt. Die ­Flüchtlingspolitik scheint da noch ziemlich am Anfang zu stehen.

 

Marjanski: Das stimmt. Viele Flüchtlinge wissen aber auch gar nichts von ihrem Recht oder trauen sich nicht, gegenüber der dolmetschenden Person davon zu sprechen — immerhin sind das meist Landsleute. Das ist ein ­großes Problem, denn ein einmal angegebener Asylgrund kann nicht mehr korrigiert werden.

 

Rodríguez Díaz: Es gibt aber auch den anderen Fall, ich denke da an eine Frau aus unserem Freitagstreff bei Rubicon. Sie hat gegenüber dem Asylbeamten zum ersten Mal offen über ihre Sexualität gesprochen. Als sie ihm das erzählte, sagte der, könne sie doch gar nicht wirklich lesbisch sein. Immerhin hat der Europäische Gerichtshof im Dezember entschieden, dass Aussagen von Asylbewerberinnen nicht mehr als ungültig erklärt werden dürfen, nur weil sie ihre Homosexualität erst später als Verfolgungsgrund angeben. Für uns ist das ein kleiner Erfolg.

 

Interview: Philippa Schindler

 

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