So sah er aus, der Aufschwung West: Geschäftsmann im Tutu | Foto: Peter Fischer

Schimpanse in Köbes-Jacke

Ein Fotoband zeigt den Kölner Alltag in der alten Bundesrepublik

Fotobildbände über Köln gibt es viele. Doch längst nicht jeder ist frei von Heimatverklärung und Postkartenfolklore. Dafür bürgen bereits Titel wie »Altkölnisches Bilderbuch«, »Kölner Lieblingsorte« oder »Mein Köln«. Die Fotografen Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer hingegen sparen den sentimentalen Blick in ihrer Stadtchronik ganz bewusst aus. Schon ihr 2012 herausgegebener Band »Köln vor dem Krieg«, der die Entwicklung der Rheinmetropole von 1880 bis 1940 dokumentierte, zeigte auch weniger schmeichelhafte Aufnahmen, etwa von Fabrikschloten, englischen Besatzungssoldaten, Arbeitslosen oder, wohl am erschreckendsten, von einer Hakenkreuz-beflaggten Innenstadt sowie massenhaftem Jubel beim Hitlerbesuch 1936. Schon hier wurde sichtbar: Ganz so idyllisch, wie mancher Einheimische gern behauptet, war Köln auch vor dem Krieg nicht.

 

Im gerade neu erschienenen Nachfolger »Köln nach dem Krieg«, der die Zeit von 1950 bis 1990 behandelt, bleiben die beiden Herausgeber der Entmystifizierung von Köln treu. »Es geht uns um Stadtgeschichte, nicht um Fotokunst«, erklärt Matz. »Uns interessieren erzählerische Fotos, die den Wandel Kölns gut abbilden und das Zeitgefühl einfangen. Der Name des Fotografen war das letzte Kriterium.« Insofern finden sich zwar auch in »Köln nach dem Krieg« durchaus Aufnahmen von Berühmtheiten wie Chargesheimer, Robert Lebeck, Walter Dick oder Henri Cartier-Bresson. Doch die Mehrzahl der Bilder stammt von weniger bekannten oder sogar gänzlich unbekannten Fotografen. Nicht weniger als 30.000 Fotos haben Matz und Vollmer jahrelang gesichtet, sind zu Archiven in Berlin, in Wien oder in der Normandie gereist. 511 haben sie schließlich für ihren neuen Band ausgewählt, darunter auch Bilder des StadtRevue-Fotografen Manfred Wegener. Eine aufwändige Recherche, die sich gelohnt hat. Denn beim Durchblättern des Bandes fühlt man sich tatsächlich in das Köln der alten Bundesrepublik zurückversetzt. Wirtschaftswunder, APO-Bewegung, konservative Wende unter Helmut Kohl: Die drei entscheidenden Phasen Westdeutschlands werden hier erstaunlich lebendig, zumal die Herausgeber auch diesmal wieder Texte von Zeitzeugen abgedruckt haben, etwa von Schriftstellern wie Paul Schallück, Rolf-Dieter Brinkmann, Günter Wallraff oder dem Architekten Rudolf Schwarz.

 

Das Hauptaugenmerk der Chronik liegt allerdings nicht ohne Grund auf den 50ern und frühen 60er Jahren, als das 1945 fast vollständig zerstörte Köln wieder aufgebaut werden musste. Viele der damals entstandenen Gebäude wie der Gürzenich-­Festsaal, die Oper von Wilhelm Riphahn, das WDR-Funkhaus oder das Wallraf-Richartz-Museum prägen in ihrer funktional-reduzierten Bauweise das Stadtbild bis heute. Diese Ästhetik sollte sich dezidiert von der Pomp-Architektur der Nazis absetzen, ein historisches Argument, das etwa Kritiker der angeblich »hässlichen« Oper leicht vergessen. Fast noch faszinierender als die Architektur-Aufnahmen aber wirken die Straßenszenen, Menschenporträts und Schnappschüsse.

 

Da sieht man den in eine Köbes-Jacke gesteckten Schimpansen Petermann, der Sylvester 1952 als erster tierischer Showstar im deutschen Fernsehen auftrat. Oder einen unbekannten Karnevalisten, der sich ein riesiges, weißes Röckchen über den Geschäftsanzug gezogen hat. Man sieht den sichtlich gerührten DDR-Liedermacher Wolf Biermann bei seinem legendären Konzert in der Kölner Sporthalle 1976. Oder auch die hinter Absperrband lauernden Schaulustigen nach der Schleyer-Entführung in Müngersdorf 1977. Es sind Bilder wie diese, in denen die Zeit auf ewig festgehalten zu sein scheint — und die einem zugleich vor Augen führen, wie viel Disparates und Widersprüchliches im wiederaufgebauten Köln zuhause ist.

 

Wohl in keiner anderen deutschen Großstadt wohnen die Extreme so nah beieinander wie hier: schön neben hässlich, alt neben neu, brav neben schrill. Man kann das chaotisch oder disharmonisch nennen. Doch es ist umgekehrt genau dieses Uneinheitlich-Gegensätzliche, das dem Nachkriegs-Köln einen sympathischen Zug von Anarchie und Gelassenheit verleiht. Ein dritter Band dieser unbedingt empfehlenswerten Stadtgeschichte in Bildern ist übrigens schon in Planung. Er wird die Kölner Kriegs-und Trümmerjahre 1940 bis 1950 behandeln.

 


Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer (Hrsg.): Köln nach dem Krieg:


Leben/Kultur/Stadt 1950–1990. Greven Verlag, 392 S., 49.90 €