Willkommen in der Hölle

Der letzte Band von Yasmina Khadras Trilogie um den algerischen Kommissar Brahim Llob ist erschienen.

Was auch immer im Krimigenre unter zweifelhaften Begriffen wie schwarz oder hartgekocht verkauft worden ist, das hier ist härter. Selbst all die Romane der 90er mit ihren unglaublich rätselhaften Serienmorden, wo zerstückelte, gehäutete oder gekochte Opfer in der Gegend rumliegen: Ausnahmen gibt es zwar, doch im Zweifelsfall und in der Regel sind Morde nur der Hinweis auf Probleme am Rand einer Gesellschaft, die durch Schlaumeier, Superhirne und coole Bullen gelöst werden können. Bei den meisten gibt es irgendwo immer eine Hoffnung, und zur dramaturgischen Not drückt sie sich aus in privatem Glück, einem gefüllten Konto oder allein in der Tatsache, dass wieder einmal ein Fall aufgeklärt worden ist.
Von solcher Art literarischer oder emotionaler Lösung und Erlösung ist Yasmina Khadra sehr weit entfernt. Schon zu Beginn nämlich ist klar, dass selbst die Aufklärung eines Verbrechens kein Licht ins große Dunkel bringen kann. »Blutüberströmt liegt der Horizont da und bringt durch einen Kaiserschnitt einen Tag zur Welt, für den sich die Mühe letztlich nicht gelohnt haben wird.« Das ist der erste Satz aus »Morituri«, dem ersten Band der Llob-Trilogie. So beginnt ein Tag in Algier Mitte der 90er – Willkommen in der Hölle. Ein Arbeitstag für Kommissar Brahim Llob, den kabylischen Außenseiter unter den Bullen der Stadt.
Yasmina Khadra ist das Pseudonym des algerischen Autors Mohamed Moulessehoul, des Erfinders von Komnissar Llob, der bis Anfang der Neunzigerjahre auch unter seinem eigenen Namen einige Romane veröffentlicht hat. Yasmina und Khadra sind die Vornamen seiner Gattin, die sich Moulessehoul lieh, als er sich gezwungen sah die Arbeit unter seinem Namen aufzugeben. Als hoher Armeeangehöriger, der er bis vor kurzem noch war, musste er sämtliche Werke der armeeeigenen Zensur vorlegen. Bei der nur wenig aufbauenden Lektüre, die seine Kriminalromane in den Augen eines jeden verantwortlich arbeitenden algerischen Zensurbeamten darstellen mussten, war der eigene Name nicht zu gebrauchen. Das Pseudonym, über das mit zunehmendem Erfolg seiner Bücher häufig gerätselt wurde, löste er erst auf, nachdem er Algerien verlassen hatte: In einem Interview mit Le Monde gab er seine Identität preis, kurz nachdem er um die letzte Jahreswende mit seiner Familie nach Frankreich umgesiedelt war. Der algerische Boden war ihm zu heiß geworden, und nach Lektüre seiner Bücher dürfte das niemanden wundern.
»Der Parkwächter ist ein guter Kerl. Ich tue ihm leid. In seiner naiven Sicht der Dinge bin ich so gut wie tot. Er ist geradezu überrascht, mich Tag für Tag überleben zu sehen.« Das ist immer noch die erste Seite von »Morituri«, und es macht nicht viel Mühe, schon bald in Kommissar Llob des Autors Alter Ego auszumachen. Wie Moulessehoul ist Llob Mitglied der Sicherheitskräfte, und wie er ist er Autor (im Falle von Brahim Llob von Büchern über gelöste Kriminalfälle und Ermittlungsarbeit), wenn auch nicht mit der Frequenz eines professionellen Schriftstellers.
Erste Person Singular. Präsens. Khadra schreibt gewissermaßen aus der Mitte seines Alter Ego Llob. Er wählt die direkteste Methode, die Gefühle seines Protagonisten auszudrücken, und dabei handelt es sich zumeist um nichts als tief empfundene Angst. Sie findet sich auch immer wieder in den Beschreibungen von Menschen, die oberflächlich betrachtet äußerst komisch wirkten, wäre nicht die verzweifelte Haltung des Autors zu den unrettbar zerstörten algerischen Verhältnissen aus jedem Wort herauszulesen. »Das Viertel hat nicht gerade den Ruf, zimperlich mit Polizisten umzugehen. Der Wirt ist ein verkrüppeltes Männchen. Einen Gast zu bedienen, braucht er länger als ein algerischer Zöllner für die Abfertigung eines Reisenden. Man könnte ihn für sanftmütig halten, wenn er nicht dieses widerliche Stachelschwein im Gesicht hätte: einen subversiven Bart, in dessen Nähe es gefährlich werden kann. Um mich herum unterhält sich eine Gruppe nasebohrender Greise. Etwas weiter wetzen ein paar Jugendliche ihre Blicke an der tristen Umgebung. Mit heruntergezogenen Augenbrauen und vorgeschobenen Lippen ertragen sie ihre Verbannung wie eine Risikoschwangerschaft.«
Mit dem für das Genre ungewöhnlichen Einsatz des Präsens entgeht Khadra bzw. sein erzählender Llob der Gefahr, der fast jeder Autor erliegt, wenn er einen Ich-Erzähler in Krimi- und Thriller-Literatur einsetzt: Es gipfelt meist notwendig in der finalen Konfrontation mit der so was von intelligenten, unglaublich aufgerüsteten, komplett skrupellosen Killermaschine im Showdown – die aber eben längst Vergangenheit ist, wenn sie von einem offensichtlich Überlebenden erzählt wird. Selten gelingt es einer normalen literarischen Begabung, sich hier über die engen Grenzen von Genre und Sprache hinwegzusetzen – am Ende ist der Killer halt besiegt, und der Ich-Erzähler hat das Kind wieder einmal geschaukelt. Leseerwartungen wie Verhältnisse (politische und literarische) sind bestätigt. Der Bruch mit diesen Mustern erinnert an einen anderen Schriftsteller, eine andere Stadt: Jemand, der diese erzählerischen Vorgaben ebenso mühelos gesprengt hat wie Yasmina Khadra und den einiges mit ihm verbindet ist, ist Jean-Claude Izzo (siehe auch SR 7/01). Algier und Marseille, die beiden Mittelmeermetropolen, die so viel miteinander zu tun haben, dass sie als Geschwister durchgehen; zwei Krimi-Trilogien über das Ende der Zivilisation und die Herrschaft des Bösen; zwei Ich-Erzähler, wobei Izzo nicht das Präsens nutzt, sondern seine Hauptfigur in der Erzählung des Vergangenen den eigenen Tod schildern lässt.
Das Böse hat im Falle von Algier das Gesicht des mafios organisierten Kapitalismus, sowie das durchgeknallter Religiöser und brutaler Staatsschergen, die sich alle gegenseitig zu bekämpfen scheinen, sich klammheimlich aber respektvoll die eroberten Pfründe überlassen. Für den manchmal nur beobachtenden und längst nicht mehr ermittelnden Bullen Llob ergeben sich immer wieder Überraschungen, wenn er Leute in geheimen Treffen sieht, die sich eigentlich gar nicht begegnen sollten. Mit solchen Protagonisten wird der gewaltsame Tod in Algier so alltäglich wie Couscous und Pfefferminztee.
Selbstverständlich kann ein Ermittler hier nicht mit der Perspektive eines in unseren Breiten gängigen Krimibullen arbeiten: A ist tot, B wird verdächtigt, kurzzeitig gerät C ins Visier der Ermittlungen, schließlich wird dann aber D überführt. Bei Khadra/Llob sieht das eher so aus: E, F, G und H werden ermordet, verdächtigt wird eigentlich gar niemand, möglicherweise I. I stirbt dann aber wie J, K und L. Zuletzt hätte es M gewesen sein können, aber irgendwie ist das auch egal, weil der wie so viele bestimmt keine große Lebenserwartung mehr hat. Genrefreunde und Puristen seien also gewarnt. Die seitenlange Aufklärung des Mordes entfällt, weil kein Protagonist und kein Autor sie leisten kann.
Im gerade übersetzten letzten Band der Trilogie, »Herbst der Chimären«, gibt Khadra dann auch seinem Kommissar Llob die Freiheit, auf überflüssige Ermittlungen zu verzichten. Nicht, dass nicht weiter viel gestorben würde, aber die algerische Gesellschaft scheint andere Probleme zu haben, als die Frage zu beantworten, wer wen umbringt. Llob trifft nun ständig auf Leute, die sich auf dem dünnen Grat zwischen Normalität und Wahnsinn bewegen und nichts anderes mehr versuchen, als die Zerstörung und das Ende des modernen Algerien zu erklären. Und das heißt letztlich erklären, was man nicht erklären kann. So wird es nicht weiter gehen können, aber niemand weiß heute, in welche Richtung das Pendel ausschlagen wird – eskaliert der Krieg vollends, oder können die mäandernden Aufstände, die in der Kabylei begannen, das Land positiv verändern?
Khadra/Moulessehoul
hat sich in Algerien sicherlich mehr Feinde gemacht, als gesund ist. Wer den Islamistenbart ein Stachelschwein schimpft und das lange Gewand der Religiösen ein Nachthemd, tut gut daran, die Dinge aus der Ferne zu betrachten. Schließlich werden in Algerien bis zum heutigen Tag Künstler nicht nur für das ermordet, was sie produzieren. Eher für das, was sie symbolisieren: Im besten Fall ist das die Weigerung, mit der Macht zu gehen. Und ohne es zu explizit auszuschreiben, vermittelt Khadra, dass nicht hinter jedem Mord die Bärtigen stecken müssen. Das ist ein schwerwiegendes Sakrileg. Denn damit rüttelt Khadra an dem Konsens, der die Machtbasis des Staates Algerien in dieser Zeit zusammenhält.

Der Innsbrucker Haymon-Verlag hat in den letzten beiden Jahren die ersten beiden Bände »Morituri« und »Doppelweiss« herausgegeben, im Oktober wird die Trilogie mit »Herbst der Chimären« komplettiert. Ebenfalls im Herbst sind zwei weitere Krimis von Khadra/Moulessehoul im Aufbau-Verlag zu erwarten.
Yasmina Khadra: Morituri. Haymon 1999, 159 S., 33,99 DM; ders.: Doppelweiss. Haymon 2000, 158 S., 29,79 DM; ders.: Herbst der Chimären. Haymon 2001, erscheint voraussichtlich zum Preis von 29,79 DM.