Avantgarde für sieben Gebührenmark

Gerry Schum hat die Kunst ins deutsche TV gebracht. Fast 35 Jahre nach der Erstausstrahlung einer »Fernsehausstellung« widmet die Kunsthalle Düsseldorf der Fernsehgalerie Gerry Schum und videogalerie schum die bislang umfassendste Retrospektive. Alice Koegel traf die drei Kuratorinnen kurz vor Eröffnung

 

»Land Art« und »Identifications« sind Fernsehkunstgeschichte. 100.000 schalteten ein, als der SFB am 15.4.1969 um 22.40 Uhr die von Gerry Schum und Ursula Wevers produzierte Ausstellung »Land Art« mit Arbeiten von damals avanciertesten Land Art-, Konzept- und Prozesskünstlern ausstrahlte. Auch »Identifications« (30.11.1970) entsprach nicht üblichen Kultursendungsformaten. Kunst wurde nicht dokumentiert, sondern fand im Augenblick der Sendung statt. Die Fernsehgaleristen und -künstler wollten Institutionen des Betriebs umgehen und massenmediale Strukturen aufbrechen. Retrospektiv betrachtet ein Produkt des Fortschrittsoptimismus der 60er Jahre, das keine Quote brachte. 1971 eröffneten Schum und Wevers ihre Videogalerie in Düsseldorf. 1973 setzte Schum seinem Leben selbst ein Ende, die sich gerade entwickelnde Videokunstszene verlor einen ihrer wichtigsten Katalysatoren. Die Kuratorinnen Ulrike Groos, Barbara Hess und Ursula Wevers haben jetzt für die Düsseldorfer Ausstellung das Kapitel neu aufgerollt und bislang unveröffentlichtes Material berücksichtigt.

StadtRevue: 24 Jahre nach der Amsterdamer Retrospektive wurde jetzt eine umfassendere Neuauflage erarbeitet. Das institutionelle Interesse schürten sicher nicht nur die Daten »35-jähriges Gründungsjubiläum der Fernsehgalerie« und Schums 65. Geburtstag?

Ulrike Groos: Als ich plante, waren mir diese Jubiläen nicht bewusst. Ich hatte die Fernsehausstellungen in Sammlungen gesehen. Mich interessierten ihr Entstehungskontext, Schums Rolle, seine Verankerung in Düsseldorf. Mit unserer Schau wollen wir aus diesen Produktionen ein genaueres Bild filtern.

Frau Wevers, Sie haben mit Gerry Schum zusammengelebt, ab der ersten Fernsehausstellung »Land Art« mit ihm gearbeitet und sind Ko-Kuratorin der Retrospektive. Wie vertragen sich Ihre Nähe zum Thema und die nötige kuratorische Distanz?

<B<Ursula Wevers:</B> Ich habe zwei Mitstreiterinnen, die mich auf Distanz halten. Obwohl es nach über 30 Jahren diese Nähe so nicht mehr gibt, war in der Vorbereitung wieder vieles sehr präsent. Aktive Mitarbeit war für mich
aber Bedingung.

Die Retrospektive zeigt unveröffentlichtes Material aus dem Archiv Gerry Schum und Ursula Wevers. Geht es also auch um revisionistische Blicke auf die Fernseh- und Videogalerie?

Barbara Hess: Eine revisionistische Herangehensweise liegt nahe. Wir können und wollen ein Ereignis von vor 35 Jahren heute nicht wiederaufführen, deshalb haben wir neue Fragen, etwa nach den Produktionsbedingungen, an das Material herangetragen.

Wie entwickelte sich der Kontext der Fernsehgalerie?</>

Wevers: Ich lernte Schum 1968 kennen. Er war gerade aus Berlin gekommen mit einem SFB-Vertrag für die Fernsehgalerie. Die Idee war, ein Projekt von Berlin aus über ganz Deutschland auszustrahlen, die Insellage zu überbrücken. Als Schum nach Düsseldorf zog, wollte er sich neu orientieren. An dem Punkt arbeiteten wir zusammen. Wir wollten Kunst zeigen, die nur im Film existiert. Für viele Künstler, die mit dem Medium noch keine Erfahrungen hatten, war es schwierig, sich vorzustellen, mit welchen filmischen Mitteln man etwa ein Gehen durch Dartmoor in eine Form bringt.

Für »sieben Gebührenmark« sollten Fernsehzuschauer ideell »Mitbesitzer« von »Land Art« und »Identifications« werden. Nach der Quote interessierten sich drei Prozent für »Demokratisierung« von Avantgardekunst via Massenmedium. Wie war die Aufmerksamkeit im Kunstbetrieb?</>

Wevers: Wir hatten immerhin 100.000 Zuschauer. Welche Ausstellung hat schon so viele Besucher? Trotz Gerrys Einführungsrede hatten viele Zuschauer Schwierigkeiten, das völlig neue »Sendeformat« zu verstehen und sahen in den Arbeiten Dokumentarfilme. Für den SFB war eine distanzierte Kommentierung des Phänomens »Land Art« während der Ausstrahlung außerordentlich wichtig. Unsere Weigerung, den Film zu kommentieren, bedeutete letztendlich das Aus für die Fernsehgalerie. Konkurrenzprobleme im Kunstbetrieb gab es erst, als wir die Videogalerie in Düsseldorf eröffneten und sogenannte Video-Objekte auf den Markt brachten.

Die Rezeption konzentriert sich auf Gerry Schum. Der Name Ursula Wevers taucht im Abspann von Land Art nicht einmal unter Credits auf. Welchen Part hatten Sie?

Wevers: Wir haben beide alles gemacht, konzipiert, gedreht, Lösungen für Probleme gefunden, die Postproduktion durchgeführt. Schum wollte aber nicht, dass nur für einen, also meinen Namen ein Abspann angefertigt wurde. Auch stellte sich die Frage: In welchen Tätigkeitsbegriff hätte man meine Arbeit fassen können? Erst im Land-Art-Katalog konnte ich mich namentlich durchsetzen.

Richtiger hätte das Label »Fernseh- und Videogalerie Gerry Schum und Ursula Wevers-Schum« heißen müssen?

Wevers: Ja. Gerry stand allerdings nach der Heirat auf dem Standpunkt, dass nun eine differenzierte Namensnennung gar nicht mehr notwendig oder angebracht sei.

Sie hatten einen Medienkompetenzvorsprung gegenüber vielen Künstlern und trafen auch filmgestalterische Entscheidungen, was nicht überall Akzeptanz fand. Ulrich Rückriem fühlte sich als »Versuchskaninchen« missbraucht, Richard Long kritisierte Respektlosigkeit gegenüber seiner künstlerischen Arbeit. Reklamierte Schum seinen eigenen Autorstatus?

Wevers: Nicht durchgehend. Er entwarf Projekte ohne sich dabei als Künstler zu sehen, seine Signatur darunter zu setzen. Wir waren die Produzenten. Die Vorstellung vom »Versuchskaninchen« ist wohl erst im Rückblick entstanden.

Hess: Schum hat sich als Produzent, Regisseur und Kameramann positioniert, auch wenn in Rezensionen eine Rhetorik entwickelt wurde, die auf das »Künstlerische« abhob, etwa, dass er mit der Kamera male, sie wie einen Meißel benutze. Die filmische Teamarbeit barg ein Irritationspotential.
Video nutzten und reflektierten Sie vor allem als Träger. Welche Rolle spielten das Authentizitätsversprechen von Video und die Kontrollmedium-Realität?

Wevers: Die waren sehr wichtig. Video begann aber erst, als authentisches Aufzeichnungsmedium diskutiert zu werden. Es gab noch nicht die späteren Schnittmöglichkeiten. Das Medium ermöglichte Künstlern, ihre Prozesse, die sie vor der Kamera inszenierten, sofort zu kontrollieren.
Video war aber nicht Experimentalfilm auf elektronisch.

Wevers: Es war eine Weiterführung dessen, was wir mit 16mm-Film gemacht haben, mit dem Vorteil, Künstler anders am Produktionsprozess teilhaben zu lassen. Mehr nicht. Eine sogenannte Videoästhetik begann sich abzuzeichnen, war aber an eine technische Ausstattung gekoppelt, die noch unbezahlbar war.

Den Produktionsverhältnissen ist die »Fernsehkunst« nicht entkommen. Ihre Stärke lag vielmehr darin, den Blick für sie zu schärfen. Videoeditionen als limitierte Ware verwässerten ihn wieder. War die Videogalerie nicht ein Rückschritt gegenüber der Fernsehgalerie-Utopie?

Wevers: Absolut. Ohne Einschränkung.
Es ging um Kommunikation von Kunst statt Kunstbesitz. Über ihre Kommentarfreiheit aber gab es keine Verständigung zwischen den Sendern und Ihnen; das Projekt »Fernsehgalerie« scheiterte an Ihrer fast zelebrierten Unnachgiebigkeit. Waren Alternativen absolut undenkbar?

Wevers: Wir haben dem WDR 1970 eine Mischform als Alternative angeboten: Im Anschluss an 20 Minuten Künstlerporträt sollten originale filmische Arbeiten unkommentiert gezeigt werden. Auf diese Weise wollten wir weiterarbeiten und den Wünschen des Fernsehens entgegenkommen. Aber es gab keine Reaktion auf diesen Vorschlag.


»Ready to Shoot«. Fernsehgalerie Gerry Schum/
videogalerie schum, Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, Düsseldorf, di-sa 12-19, so 11-18 Uhr, kostenlose Führung jeden Sonntag 12.30 Uhr, bis 14.3.