Das süsse Leben

Zwei Amerikaner schlaflos und einsam in Tokio – das reicht für den ersten Kinohöhepunkt 2004. Holger Römers über Sofia Coppolas atmosphärische Tragikomödie »Lost in Translation« und die zweite Generation des Coppola-Filmclans.

Solche Probleme möchte man haben. Wer wollte nicht in Kauf nehmen, sich ein bisschen verloren und von der Umwelt entfremdet zu fühlen, solange der Anlass für solch leise Melancholie nichts Schlimmeres ist als die kostenlose Logis in einem Tokioter Luxushotel? Dort, im Park Hyatt, begegnen sich zwei schlaflose Amerikaner: Der Filmstar Bob Harris (Bill Murray) ist in der Stadt, um für zwei Millionen Dollar ein paar Werbespots für die japanische Whiskey-Marke Suntory zu drehen. Die junge Yale-Absolventin Charlotte (Scarlett Johansson) begleitet ihren Ehemann, einen Fotografen (Giovanni Ribisi), der in Japan Popstars ablichten soll.
Durch den Jetlag aus dem Rhythmus geraten, sehen die beiden Protagonisten von »Lost in Translation« sich plötzlich mit dem allgemeinen Leerlauf in ihrem jeweiligen Leben konfrontiert. Bob hat nach 23 Ehejahren einen Punkt erreicht, wo die Kommunikationsbereitschaft seiner Frau sich darauf beschränkt, ihm per Fax neue Einrichtungsideen zu unterbreiten. Charlotte weiß mit Mitte 20 dagegen noch gar nicht, welche Richtung sie ihrem Leben geben soll, und beginnt bereits jetzt, an ihrer Beziehung zu zweifeln. Weil diese beiden Gestrandeten mit sich selbst in der fremden Stadt nichts Rechtes anzufangen wissen, knüpfen sie nach einigen Zufallstreffen in Hotelbar und Lobby Kontakt.
Zu der Grundidee für das Drehbuch ihres zweiten Spielfilms hat sich Sofia Coppola durch eigene Erfahrungen inspirieren lassen: Ihr Vater Francis Ford Coppola hatte in den 70ern für Suntory in Tokio Werbeclips gedreht. In späteren Jahren hielt sie sich dann selbst mehrfach in der japanischen Metropole auf und stieg gelegentlich ebenfalls im Park Hyatt ab, dem hauptsächlichen Handlungsort des Films. Einzelne Episoden in einem Restaurant oder im Hotelschwimmbad gehen ebenfalls auf Erlebnisse der Regisseurin, Autorin und Ko-Produzentin zurück. Und eine Nebenfigur, die auf den Spitznamen Charlie Brown hört und Charlotte ins örtliche Nightlife einführt, hat für Coppola dieselbe Aufgabe erfüllt.
Dass die Handlung dennoch nicht »aus dem Leben gegriffen« scheint, liegt allerdings nicht nur daran, dass die wenigsten Leute Erfahrungen mit melancholischem Nichtstun in Spitzen-Hotels machen. Wenn Sofia Coppola, als Bob sich durch die örtlichen Fernsehkanäle zappt, auch kurz die berühmteste Szene aus Fellinis »La Dolce Vita« einblendet, macht das darauf aufmerksam, dass die gepflegte Entfremdung der besser Situierten seit jeher ein beliebtes Sujet von Autorenfilmern ist. Wenn sie in einer anderen Szene Bob »Ich liebe dich« in den Telefonhörer sagen lässt, just als dessen Ehefrau am anderen Ende der Leitung aufgelegt hat, greift Copola wiederum eine Idee auf, die bereits Robert Altman und sein Schüler Alan Rudolph in ihren Filmen gerne als Sinnbild für die gestörte Kommunikation in gescheiterten Beziehungen verwendet haben.
Insofern ist klar, dass wir es bei Bob und Charlotte mit Variationen klassischer Kinofiguren zu tun haben, und ähnlich verhält es sich mit dem Tokio dieses Films. Coppola wollte nach eigenen Angaben vermitteln, was sie an der Stadt liebt. Mag sein, dass es tatsächlich ihr subjektiver Eindruck ist, den wir in diesem Film von der japanischen Hauptstadt zu sehen bekommen. Um Objektivität ist dieses Bild Tokios jedenfalls nicht bemüht, es entspricht einer in der westlichen Popkultur zurzeit sehr beliebten Projektion, in der uns die asiatische Global City als ebenso hip wie letzten Endes wesensfremd erscheint.
Gemeinsam oder alleine landen Bob und Charlotte in Karaoke-Bars und durchgestylten Tabledance-Nachtclubs, in Pachinko-Spielhallen und auf Golfplätzen mit Ausblick auf den Fuji. Die junge Frau wird zudem mit den spirituellen Dimensionen des Landes assoziiert, wenn sie einen Tempel besucht, sich in Ikebana übt und im Hotel in einen Raum gerät, wo Frauen in Kimonos mit Hingabe Blumengebinde zusammenstellen.
Aus dieser Konstellation leitet Coppola wiederholt Situationskomik ab, für deren Umsetzung natürlich Murray zuständig ist. Ein Großteil seiner manchmal herrlichen Gags entsteht schlicht aus der Sprachbarriere gegenüber Japanern, die gar nicht oder nur erbärmlich schlecht Englisch sprechen. Ansonsten knüpft Murray nicht nur, wenn er im Swimming Pool des Hotels aus der Taucher-Perspektive die Wassergymnastik anderer Hotelgäste beobachtet, an seine Rolle aus Wes Andersons »Rushmore« an.
Es gibt keine stringente Handlung, und die Dialoge sind ebenfalls knapp gehalten. Coppola konzentriert sich auf das, worauf sie sich bereits in »The Virgin Suicides« konzentriert hat: Atmosphäre. Wichtiges Mittel ist erneut der Soundtrack, zu dem wieder Brian Reitzell Originalmusik beigetragen hat. Wie das sparsam gesetzte Licht scheint ein sanfter Sound-Teppich die Figuren in einen weichen Kokon einzuspinnen, etwa wenn Bob die übermüdete Charlotte in ihr Zimmer trägt und die Musik bei Betreten des Hotels plötzlich abgedämpft wird und sich mit dem kaum hörbaren Ambient-Summen von Klimaanlage und Leuchtstoffröhren mischt.
So paart sich schlaflose Schwermut schließlich paradoxerweise mit dem Eindruck schlafwandlerischer Schwerelosigkeit. Das wäre für sich alleine genommen hübsch anzusehen. Was »Lost in Translation« aber zu einem wunderbar leisen frühen Höhepunkt des Kinojahres 2004 macht, ist die Tatsache, dass Coppola ihre atmosphärischen Impressionen zudem als Grundierung für ein paar ebenso gezielt wie zart hingetupfte, zauberhafte Kino-Momente nutzt. So sieht sich etwa Bob nach einem Streifzug durch Tokios Nacht in einer Bar vor eine schier unlösbare
Karaoke-Aufgabe gestellt: Roxy
Musics »More Than This«. Was Murray, Johansson und Coppola aus den restlichen Sekunden der Szene machen, ist reine Kino-Magie. Ohne ein einziges Dialogwort, nur mit einem schlich-ten Blickwechsel, einem leichten Kippen in Murrays brüchiger Singstimme und einer Schärfenverlagerung innerhalb einer Großaufnahme. »More than this – there is nothing ...«

Lost in Translation (dto) USA 03, R: Sofia Coppola, D: Bill Murray, Scarlett Johansson, Giovanni Ribisi, 102 Min. Start: 8.1.

Der Coppola-Clan
Sofia Coppola hat nicht nur einen berühmten Vater

»Mein Vater war mir als Ratgeber sehr hilfreich«, sagt Sofia Coppola über Francis Ford, »er ist sozusagen mein Yoda. Du musst es alleine schaffen, aber es ist toll jemanden wie ihn zu haben, der, wenn man mal Fragen hat, mit Antworten dienen kann.« Darüber hinaus agierte Coppola Sr. mit seiner Firma American Zoetrope wie schon bei »Virgin Suicides« auch beim zweiten Film seiner Tochter als Ausführender Produzent.
Abgesehen vom berühmten Vater ist die 32-jährige Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin aber in ein ganzes Geflecht aus Verwandschaftsbeziehungen verstrickt, das im Filmgeschäft für unterschiedliche Grade von Hipness und Berühmtheit steht: Sie ist die Cousine von Nicolas Cage, von Regisseur Christopher Coppola, von Schauspieler Marc Coppola und von Jason Schwartzman, dem Hauptdarsteller aus »Rushmore« und »Spun«, der nebenher noch Schlagzeug bei der Indierock-Band Phantom Planet spielt. Dessen Mutter Talia Shire (geb. Coppola), die für ihre Rolle als Rockys Schwester für den Oscar nominiert war, ist folgerichtig ihre Tante. Sofias Bruder Roman Coppola hat wiederum bei »Lost in Translation« und »Virgin Suicides« sowie bei einigen Filmen des Vaters Second-Unit-Regie übernommen. Neben weiteren Engagements als Autor und Produzent hat er mit »C.Q.« soeben sein Spielfilmdebüt mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle abgeliefert. Bekannt geworden ist er durch seine Musikvideos für Bands wie die Strokes, Phoenix, The Vines und natürlich Phantom Planet. Verheiratet ist Sofia schließlich mit einem Regisseur, der ebenfalls zunächst mit seinen Musikvideos für Furore sorgte: Spike Jonze. Geht es um die Kombination von Hipness und Berühmtheit ist er momentan wohl der einzige, der mit Sofia konkurrieren könnte.