Erzähler zwischen den Fronten

Nicht Pop- noch Politik-Autor:

Roland Koch schreibt verständlich und trotzdem gesellschaftlich brisant über Sinnkrisen. Gisa Funck porträtiert den Kölner Autor und stellt sein neuestes Buch »Ins stille Zimmer« vor

Man könnte den Kölner Schriftsteller Roland Koch als Chronisten der akademischen Midlife-Crisis bezeichnen. Leiden doch alle Hauptfiguren seiner letzten drei Romane unter den Zwängen eines Ehe- und Berufsalltags, die ihnen nach den Freiheiten eines geisteswissenschaftlichen Studiums bedrückend erscheinen.

In »Das braune Mädchen« von 1998 zieht der Übersetzer Konrad mit seiner Frau Fanny von Köln ins Bergische Land, um sein Heil in der Idylle zu suchen. Im 2000 erschienenen Nachfolger »Paare« macht die Kunsthistorikerin Christina aus Zweifel an sich und ihrer angefangenen Doktorarbeit eine Therapie, um sich danach von ihrem Mann, dem erfolgreichen Mathematiker Jens, loszusagen. Im neuen neuen Roman »Ins stille Zimmer« gerät ein Schöngeist einmal mehr in die Sinnkrise. »Das Gegenläufige zwischen gesellschaftlichem Status und innerer Entwicklung fasziniert mich«, bekennt Koch und versucht erst gar nicht, biografische Parallelen zu leugnen. »Ich schreibe bewusst über etwas, was ich kenne«, sagt der 44-Jährige, der in Siegen anfing zu studieren und seine Doktorarbeit über Heimito von Doderer in Köln fertig schrieb. Mitte der 80er Jahre zog der Literaturstudent in die große Stadt und genoss es, »jeden Abend unterwegs zu sein«.

Inzwischen wohnt Koch seit sechs Jahren in Rodenkirchen, etwas abseits des Trubels. Wenn man sich mit ihm unterhält, fällt einem die Ähnlichkeit mit Paul auf, dem Helden seines neuen Romans. Nicht genug, dass Paul wie sein Schöpfer verheiratet und Vater einer kleinen Tochter ist. Er hält auch am 1995 wiedereröffneten, ehemaligen Johannes R. Becher-Institut Kurse über kreatives Schreiben ab, an dem Koch selbst zweimal Gastdozent war.

Im Roman wohnt Paul allerdings nicht in Köln, sondern in Amsterdam und pendelt einmal wöchentlich hinüber nach Leipzig, wo ihn in Gestalt der Studentin Olivia dann nichts Geringeres als die Katastrophe ereilt, wie er selbst treffsicher bemerkt. Schließlich streitet die junge Frau nicht nur dafür, »daß Literatur moralisch sein muss« und vertritt damit genau das Gegenteil von Pauls Kunstauffassung, die »erleuchtet, aber eben nicht erklärt«. Olivia verkörpert in ihrer rotzigen Eigenwilligkeit auch sonst genau das, was ihr Dozent nicht (mehr) ist. Sie kommt und geht, wann sie will. Sie ist mal schlecht, mal gut gekleidet. Sie sagt manchmal gar nichts, um plötzlich wieder halbstündige Monologe zu halten. Mit einem Satz: Olivia heißt nicht nur so, sie ist auch die Liebe in olivgrüner Anarchisten-Uniform, die martialisch über Paul hereinbricht wie ein Unwetter, gegen das er sich nicht wehren kann. Auf langen Zugfahrten beginnt er, Fantasie-Dispute mit seiner Studentin zu führen. Amors Pfeil hat ihn tief getroffen.

In punkto Leipziger Literaturinstitut leuchten auch Kochs Augen auf. »Das ist ein geschützter Ort, an dem man sehr ernsthaft an Texten arbeiten und sich austauschen kann«, schwärmt er. Einen solchen Ort gäbe es in Westdeutschland nicht. Auch nicht denselben Eifer unter jungen Autoren, den Koch in der Kölner Nachwuchsszene öfter vermisst hat. Mit der Popwelle leicht verdaulicher, humoristischer Literatur Ende der 90er Jahre konnte er nichts anfangen. Mit dem postmodernen Diktum der »apokalyptischen Sprachzertrümmerer«, die zehn Jahre vorher das Ende der großen Erzählung ausgerufen hatten, auch nicht. Koch sieht sich in einer Zwischenstellung: er schreibt verständlich, aber fernab jeder politischen Ideologie oder poppigen Erwartungshaltung. Auch wenn er die schon länger wiedererwachte, deutsche Lust am Erzählen begrüßt, so ärgert ihn doch, dass Verlage ihre Kataloge nun zunehmend aufmachen »als würden sie Bücher anpreisen, die möglichst nichts mit Literatur zu tun haben.« Programme, die dem Publikum nach dem Motto entgegenkämen: »Unsere Bücher könnt ihr ruhig lesen, die haben keinen Anspruch«, hält er schlicht für »unsinnig«.

Anders als in gängigen Campusromanen, wo Professoren-Affären in der Regel lediglich dazu dienen, amüsante Intrigen in Gang zu bringen, gewinnt Pauls Schwärmerei für Olivia darum schnell eine existenzielle Dimension. Wie viele heutige Akademiker zwischen 30 und 40 Jahren ist nämlich auch Paul ein unterbezahlter Dienstleister auf Abruf, der sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelt. Seine Midlife-Crisis schrumpft zu einer Art Post-Pubertät, weil Paul schlicht Geld und Festanstellung fehlen, um wie seine Vorgänger Jens und Christina an der Gleichförmigkeit eines etablierten Lebens zu leiden. Paul betrügt seine Frau Gabriele nicht, weil er wie Jens etwas Abwechlung in seinen erstarrten Alltag bringen möchte. Paul betrügt sie, weil er bereits so viel Abwechslung hat, dass es ihn innerlich auffrist. Dank ständiger »Sparmaßnahmen« muss er immer wieder neu »kurzfristig einspringen« und ist gezwungen, in einem pseudo-bohemistischen Provisorium zu verharren, um dann auch noch – wie zum Hohn – vor Studenten über die »Techniken des Essays« zu sprechen. In diesem Schwebezustand, erzählt Koch, hätten sich viele Leser wiedererkannt. »Es gibt ja heute ein richtiges Proletariat aus Aushilfs-Wissenschaftlern, das rumzieht und sich für Lehraufträge verkauft.«

In »Ins leise Zimmer« haben die unsteten ökonomischen Verhältnisse längst ihren Nachklang in Pauls Innenleben gefunden. Getrieben von der Furcht, seine Existenz in der Warteschleife könnte leck schlagen wie das Dach seiner Amsterdamer Wohnung, durch das im Roman der Regen tropft, ist der pendelnde Romanist zu fast allem bereit, um endlich finanziell abgesichert zu sein. Sein wahrer Betrug, das deutet schon der Titel an, ereignet sich weniger im fremden Bett als in der eigenen Seele – denn an kreativer Freiheit ist der bürgerlich geprägte Paul letztlich nur theoretisch interessiert. Im Alltag bevorzugt er hingegen klare Vorgaben. Ein Zwiespalt, den jene zwei Frauen verkörpern, die Paul »beide liebt«: die künstlerisch-unangepasste Olivia und die nüchtern-pragmatische Gabriele, Mutter seiner Tochter und Wissenschaftlerin auf Jobsuche wie er.

Koch gibt diese Zerrissenheit in einem personalen Monolog wider, der neben Beobachtungen und Gedanken auch Kommentare enthält. Letztere sind in Klammern gesetzt und verstärken den Effekt, dass man sich als Leser schnell mit dem Dozenten im Liebesrausch identifiziert. Darin liegt Kochs perspektivischer Kniff. Im Sog der suggestiven, fast tagebuchartigen Schilderung hat man zunächst unweigerlich Mitleid mit Paul, der sich als Opfer unglücklicher Umstände versteht.

Je weiter man seinen Bericht allerdings liest, desto mehr zeigt sich in Halbsätzen, dass auch Pauls Opfer-Selbstverständnis nicht die ganze Wahrheit ist – weil er ebenfalls einen höchst skrupellosen Täter abgibt. Paul ist es – und nicht Olivia –, der auf eine private Verabredung drängt. Paul ist es, der die Geliebte nach Amsterdam einlädt, um sie geschmacklos neben Frau und Kind übernachten zu lassen. Und Paul wiederum ist es, der die Affäre mehrmals beendet, um Olivia doch weiter zu belagern. Kein Wunder, dass er schließlich im grippalen Fieber zusammenbricht: klassisches Erzählmotiv dafür, dass eine innere Wahrheit gegen eine äußere Lüge revoltiert. Denn nimmt man die puren Fakten zusammen, verhält sich Kochs Schmalspur-Casanova letztlich wie ein Macho aus dem Bilderbuch. Das mag eine alte, bittere Geschichte sein. Koch aber erzählt sie schonungslos, im Wissen um die gesellschaftlichen Abgründe dahinter, so dass man atemlos weiterliest, gebannt bis zum Schluss.

Roland Koch: Ins leise Zimmer. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 240 S., 18,90 €. //ders.: Paare. KIWI, Köln 2000 // Das braune Mädchen, KIWI, Köln 1998.