»Das ist Teil der Normalität«

Gualtiero Zambonini, erster Integrationsbeauftragter des WDR, über die Lindenstraße, türkische Popmusik und »Vorzeige-Italiener«

1976 begann er als freier Mitarbeiter bei »Radio Colonia«, der italienischsprachigen Sendung des WDR. Heute ist Gualtiero Zambonini, 1945 in Rom geboren, Leiter des Radioprogramms »Funkhaus Europa« und seit Mai 2003 Integrationsbeauftragter des WDR – ein Amt, das es bisher bei keiner anderen ARD-Anstalt gibt.

StadtRevue: Herr Zambonini, Ihr offizieller Titel lautet: »Beauftragter für Integration und kulturelle Vielfalt«. Wofür braucht der WDR so ein Amt?

Zambonini: Der WDR leistet schon einiges in diesem Bereich: Funkhaus Europa, Cosmo TV, oder, federführend, die neue Civis-Stiftung, die den ARD-Preis für Integration in Hörfunk und Fernsehen verleiht. Meine Kernaufgabe lautet: Wie können wir diese Erfahrungen für die Hauptprogramme nutzen?

Wie wollen Sie das erreichen? Ein weiterer ausländischer Bewohner der Lindenstraße dürfte kaum die Lösung sein...

Nein, da gibt es genug Ausländer – wobei die Lindenstraße ein gutes Beispiel dafür ist, wie man mit diesen Themen auch Quote machen kann. Die große Sorge bei einigen Programmmachern ist: Können wir unser Zielpublikum damit erreichen, oder haben wir einen Ausschalteffekt? Diese Themen sind oft problembelastet, und unser Publikum mag es nicht, wenn wir als Sozialpädagogen auftreten. Das ist ein generelles Problem der Medien in Deutschland; der WDR – trotz langer Erfahrung mit Migrationsfragen – bleibt davon nicht ganz unberührt. Meine Arbeit ist es nun, zusammen mit den Kollegen neue Wege zu finden – journalistische Wege.

Welche sind das? Wie überzeugen Sie die Kollegen, die sagen: »Multikulti will keiner hören«?

Ich versuche Verbindungen mit Sendern von Nachbarländern zu knüpfen wie den Niederlanden, die viel ungezwungener mit diesen Themen umgehen. Aber man kann auch aus den guten Beispielen bei uns im WDR lernen, wie Funkhaus Europa. Dieses Kind habe ich mit aus der Taufe gehoben – ein Kind, das sich einer zunehmenden Resonanz innerhalb der Zielgruppe erfreut.

Aber führt solch ein Spartenprogramm nicht gerade dazu, dass die Macher der Mainstream-Programme sagen: Darum brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern?

Wir führen diese Diskussion: Kann man eine sinnvolle Beziehung zwischen sogenannten Sparten- und Mainstream-Programmen herstellen? Ich denke, sie haben unterschiedliche Funktionen und Zielgruppen. Mit Funkhaus Europa wenden wir uns speziell an Zuwanderer und interessierte Deutsche. Das können wir nicht direkt auf EinsLive übertragen. Wir müssen aber wahrnehmen, dass sich die Lebenswirklichkeit des Publikums verändert hat, auch in den Mainstream-Programmen. Unsere Hörerforschung zeigt zum Beispiel, dass junge Türken ein wichtiger Teil des Publikums von EinsLive sind.

War dieser Wandel im WDR bisher nicht bekannt?

Die Dimension des Wandels war nicht allen bewusst. Dass zum Beispiel 40 Prozent der Menschen unter 16 Jahren in Köln einen ausländischen Hintergrund haben, war vielen unbekannt. EinsLive, das sich an ein junges Publikum wendet, schaut inzwischen genauer hin. Wenn man diese Hörer als einen wichtigen Teil des Publikums anerkennt, hat das natürlich Konsequenzen bei der Programmentwicklung, bei der Suche nach Moderatoren, der Musikauswahl.

Welche Konsequenzen sind das?

Kulturelle Vielfalt ist nicht nur eine Lebenserfahrung von Migranten, sondern gerade in der jungen Generation auch von Deutschstämmigen. Der Umgang damit ist viel selbstverständlicher als in meiner Generation, wo es immer ein »Wir« und »Sie« gab. Ich war kürzlich im UFA-Palast. In den Pausen zwischen den Filmen war ganz selbstverständlich auch türkische Musik zu hören. Das ist ein Ausdruck von veränderten Hörgewohnheiten, die reflektiert werden wollen. Es geht nicht darum, beispielsweise das Musikprofil von EinsLive oder WDR 2 radikal zu verändern, sondern es anzureichern.

In Ländern wie den USA sind Journalisten aus Einwandererfamilien eine Selbstverständlichkeit. Beim WDR nicht...

Das ist ein großes Problem. In Diskotheken, in Schulen, in der Straßenbahn erleben wir tagtäglich ein gemischtes Publikum. Wenn wir erreichen wollen, dass diese Normalität im Programm lebt, brauchen wir vor den Mikros und Kameras entsprechende Leute, die einen Teil dieser Lebenswirklichkeit widerspiegeln. Deshalb startet der WDR jetzt eine Informationskampagne in Schulen, Hochschulen und Einrichtungen der Journalistenausbildung, und wir gucken im Auswahlverfahren für die Volontäre nach interkultureller Kompetenz. Es fehlen Vorbilder in der Medienlandschaft. Deshalb haben wir verschiedene Castings gemacht und überlegen, wie Menschen im WDR-Programm diese Vorbildfunktion übernehmen können.

Stößt ein junger Journalist mit ausländischem Namen immer noch auf Misstrauen, wenn er sich beim WDR bewirbt?

Das würde ich nicht sagen, inzwischen gibt es doch einige Journalisten mit Migrationshintergrund auch bei Monitor oder der Lokalzeit. Wenn wir diese Aufgabe als Unternehmensziel deklarieren, kann das aber bei einigen den Reflex auslösen: Jetzt müssen wir mehr Ausländer beschäftigen, wir stehen unter moralischem Druck. Ich muss ihnen diese Angst nehmen. Auch die Menschen mit einem ausländischen Hintergrund, wie ich einer bin, mögen es nicht, wenn man sagt: Jetzt haben wir einen Vorzeige-Italiener. Wir sind Hörer, Zuschauer, Bewohner dieser Stadt. Wir haben unsere Biografie, unseren kulturellen Hintergrund als ein lebendiges Geflecht von Beziehungen, Kenntnissen und Erfahrungen. Das ist ein Teil der Normalität, die in den Medien gesehen und gewürdigt werden will.