Allein es fehlt der Glaube

Das Drama: »21 Gramm«

Wie in seinem Erstlingswerk »Amores Perros« nimmt Alejandro González Iñárritu auch in »21 Gramm« die Metapher von den Kreuzwegen des Lebens wörtlich. Erneut ist es ein Verkehrsunfall, der drei Schicksale ineinander fädelt und das Muster für eine zwischen Orten und Zeiten schweifende Erzählung gibt. Nach und nach erst setzt sich aus den Mosaiksteinen eines grob gekörnten Realismus ein Bild zusammen, das zum Herz-Jesu-Katholizismus Iñárritus nicht besser passen könnte: Ein Mann stirbt und schenkt einem anderen dadurch ein zweites Leben; eine Frau versinkt in Gram und wird durch die Liebe daraus erlöst; ein Mann verzweifelt an seiner Schuld und empfängt die Absolution aus den Händen seiner Feinde.

Es ist der Dualismus von Vergeltung und Vergebung, mit dem Iñárritu seinen Film vorantreibt, vor allem aber der Gedanke, dass in Gottes Universum nichts ohne einen Grund geschieht. Gott würfelt nicht, erklärt der Collegeprofessor Paul (Sean Penn) einmal, Jack (Benicio Del Toro), der geläuterte Verbrecher, ist sich gewiss: Gott sieht alles. Und so wie sich im Vertrauen auf einen himmlischen Plan das scheinbare Chaos des Lebens ordnet, fügt sich auch das Filmpuzzle »21 Gramm« zusammen. Ein Hauch von Weihrauch zieht durchs Kino, wenn Iñárritu sein Publikum durch die dunkle Nacht von Tod, Hass und Verzweiflung ans Licht dieser heiligen Erkenntnis führt. Das Dumme daran ist nur: Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube.

Eine Weile ist es durchaus faszinierend anzusehen, wie Iñárritu sein filmisches Mosaik entwickelt. Sobald es jedoch Kontur gewinnt, fällt einem unweigerlich der inszenatorische Manierismus des ganzen Unterfangens auf. Im Stil eines religiösen Eiferers, dessen Stimme sich vor lauter Inbrunst überschlägt, lässt uns Iñárritu keinen Augenblick der Ruhe, so als fürchte er, wir könnten ihm vom Haken springen, wenn nur für einen einzigen Augenblick die Leinwand nicht vor Emotionen bebte. Irgendwann erscheinen einem die Figuren dann nur noch wie Messdiener in einer pompösen, aber im Innersten leeren Prozession.

Zieht Iñárritu vielleicht auch deshalb alle Register seiner etwas brachialen Kunst, weil es ihm an Glauben in die eigene Überzeugungskraft gebricht? Sein englischer Titel »21 Grams« nimmt sich für einen Katholiken jedenfalls seltsam materialistisch aus. Er beziffert den Gewichtsverlust, den wir im Augenblick des Tods erleiden sollen, und sagt uns, was wir dafür gewinnen: den Beweis, dass die Seele in den Himmel steigt und uns dort ein Gott erwartet.


21 Gramm (21 Grams) USA 03, R: Alejandro González Iñárritu, D: Sean Penn, Benicio Del Toro, Naomi Watts, 125 Min. Start: 9.2.

Stadt Revue verlost:

fünf Soundtracks zu \\\\\\\"21 Gramm. E-Mail bis 20.2. an film@stadtrevue.de. Stichwort: Himmelsstürmer.