»Es kommen Leute, die vor zehn Jahren nicht gekommen wären«

Sie ist seit 1999 Präsidentin der Stunksitzung und die erste Frau in diesem Amt: Biggi Wanninger alias Trude Herr, die vom Himmel fällt. Yvonne Greiner sprach mit ihr über Karnevalsgefühle und politischen Anspruch.

 

StadtRevue: Als wir uns telefonisch verabredet haben, liefen bei Dir die Brandenburgischen Konzerte im Hintergrund. Ist Stunksitzungspräsidentin ein anstrengender Job, von dem man bei Bach entspannen muss?

Biggi Wanninger: Es ist ein bisschen wie Schichtarbeit. Meist bin ich vor drei, halb vier nicht im Bett, ich bin nach der Sitzung zu aufgedreht. Der Tag ist dann natürlich etwas mühsam, wenn ich Schreibtischarbeit mache, höre ich gerne Klassik oder Jazz. Der Job ist anstrengend, aber er ist auch ein Geschenk. Es ist selten, dass man mit einem Programm auf der Bühne steht, das man selber ausgedacht und produziert hat. Uns bezuschusst keiner, also stellt auch keiner Bedingungen.

Aber findest Du den gleichen Witz denn beim 20. Mal denn noch lustig?

Wir feilen sehr lange an Formulierungen, bis wir überzeugt sind. Ich gebe mich nicht schnell zufrieden. Wenn ich selber den Spaß an Pointen verliere oder sie nicht mehr aktuell sind, dann streiche ich sie, ersetze sie.

Wie lange bleibst Du noch Sitzungspräsidentin?

So lange ich Lust habe, solange meine Kollegen das, was ich tue, gut finden und solange die Leute nicht anfangen zu buhen. Ob ich das noch 20 Jahre durchhalte, weiß ich natürlich nicht, aber spannend fände ich das schon – dann wäre ich 68. Welche Themen man dann wohl bearbeitet? Ob das Altersgebrechen sind, Sex, Politik oder der Partner, der einem nach 40 Jahren auf den Geist geht?

Einige im Ensemble sind ja auch nicht mehr ganz jung... Wie rekrutiert Ihr Nachwuchs?

Es gibt die Kinderstunksitzung, aber bei 12 oder 14 Jahren liegt die Altersgrenze. Eigentlich müsste es eine Sitzung für Jugendliche geben, aus der wir Nachwuchs fördern könnten. Aber Jugendliche haben wahrscheinlich andere Sachen im Kopf als eine Stunksitzung. Tatsache ist: Wir hören uns um. Dieses Jahr ist nach langer Zeit wieder eine Neue dabei, weil Martina Klinke und Martina Bajohr eine Pause eingelegt haben. Wir haben mit vielen Frauen gesprochen und uns dann für Beate Bohr entschieden. Sie ist Anfang 30 und in der Tat die Jüngste im Ensemble.

Mit dem aktuellen Witz über die Vergnügungssteuer hast Du es zum »Witz des Tages« im Stadt-Anzeiger geschafft...

Das war Witz des Tages? (lacht)

Das deutet auch daraufhin, wie sehr sich im Laufe der 20 Jahre die Wahrnehmung der Stunksitzung verändert hat. Von Seiten des offiziellen Karnevals, aber auch der bürgerlichen Medien. Hätte das jemand von Euch erwartet?

Nein, das glaube ich nicht. Das fing vor 20 Jahren ja mit einer Schnapsidee an, entstanden aus dem Spielecircus, der im Sommer auf Tour war und Zirkus für und mit Kindern machte, ein eher pädagogischer Ansatz. Dann kam die Frage auf: Was macht der Spielecircus denn im Winter? So entstand die Idee einer Alternative zum traditionellen Karneval – ohne Vorkenntnisse, ohne zu wissen, wie es auf der Bühne ist, Themen gab es allerdings genug. Das Tolle an der Geschichte ist ja, dass es kein auf viele Jahre geplantes Projekt war. Ich glaube, aus dieser Gelassenheit heraus hat sich die Stunksitzung Jahr für Jahr weiter entwickelt. Von der Studiobühne über die Comedia ins E-Werk. Diese Schritte waren allerdings mit der Frage verbunden, ob es richtig ist, immer größer zu werden. Ich denke: Es ist klasse, dass so viele Leute die Stunksitzung sehen wollen. Es kommen auch Leute, die vor zehn Jahren nicht gekommen wären.

Warum kommen die jetzt?

Weil es ein Bedürfnis danach gibt, eine Karnevalssitzung zu sehen, die nicht nach dem klassischen Schema aufgebaut ist: Büttenrede, Musikgruppe, Funken, Dreigestirn. Auf traditionellen Sitzungen werden auch keine brisanten Themen angesprochen. Ich will nicht behaupten, die Stunksitzung sei voll mit brisanten Themen, aber wir kommentieren das Zeitgeschehen: Jeder wird durch den Kakao gezogen und bekommt den Witz ab, den er sich eingehandelt hat.

Ist die Stunksitzung Kabarett oder Karneval?

Ich würde Kabarett und Karneval nicht trennen. Der Ursprung des Karnevals hat bekanntermaßen viel damit zu tun, Hierarchien auf den Kopf zu stellen, die Herrschenden zu verhöhnen. Das macht Kabarett auch.

Warum bleibt Ihr denn im Karnevalsrahmen? Ihr distanziert Euch vom traditionellen Karneval, nutzt aber genau dessen Form der Sitzung...

Karneval ist ja nichts Verwerfliches. In der Frage des Zeitpunktes bin ich wohl eher Traditionalistin: Weihnachten ist Weihnachten, Sommer ist Sommer und Karneval eben Karneval. Wenn es Sinn macht, kann und sollte man Traditionen natürlich brechen. Es gab ja auch Auftritte im Tanzbrunnen. Das geht, ist aber anders. Es ist ein anderes Gefühl.

Was ist verbunden mit dem Karnevalsgefühl?

Es ist die Zeit, in der man die Dinge auf den Kopf stellen kann. Manche sagen, dann reißen sich die Leute die Maske vom Gesicht und zeigen sich, wie sie wirklich sind. Andere sagen, man benutzt die Maske, um Dinge zu tun, die man sonst nicht tut. Ich bin oft gerührt von bestimmten Situationen zum Beispiel im Straßenkarneval, wenn so viele Menschen gemeinsam an einer Idee teilnehmen. Das finde ich auch beim CSD so toll oder auf Demos – so sie noch stattfinden. Mich freut das auch in der Stunksitzung, wenn da tausend Leute Spaß haben. Dieses Gemeinschaftsgefühl mag ich.

Das gibt es auf traditionellen Sitzungen auch?

Das weiß ich nicht, da bin ich nicht so oft.
Aber Du warst schon mal auf einer traditionellen Sitzung?

Das ein oder andere Mal. Und als Jugendliche habe ich mit meiner Mutter die Karnevalssitzungen aus Köln und Mainz im Fernsehen gesehen, wir haben Mainz bevorzugt, die waren etwas politischer. Als 13-Jährige habe ich bei der Katholischen Jugend an Karnevalssitzungen teilgenommen, auch auf der Bühne. Ich bin sogar einmal auf einer Prinzenproklamation gewesen – aber da ist es im Foyer am spannendsten, wo geklüngelt wird und man sich die Langeweile wegtrinkt.

Wann hast Du deine erste Stunksitzung gesehen?

Da war ich 34 oder 35 und habe in der Comedia den Rotkäppchen-Report, ein Musical für Erwachsene, gespielt. Wir hatten einen freien Tag, an dem gastierte die Stunksitzung in der Comedia. Ich hatte von Freunden schon öfter gehört, dass es die gibt, aber ich hatte nun wirklich keine Lust, mich schon im November um Karten für eine Karnevalssitzung zu kümmern – für mich fing Karneval Weiberfastnacht an. An meinem freien Abend war ich aber dann da. Es gab ein Highlight, das war der Film »Karneval in Herbert-Mies-Stadt«. Den fand ich unglaublich komisch. Aber alles andere hat mich nicht vom Hocker gehauen. Als gelernte Schauspielerin dachte ich die ganze Zeit: Mensch, die könnten doch ein bisschen besser spielen – auch wenn mir klar war, dass es darum nicht ging.

Wie bist du dann zum Ensemble gekommen?

Irgendwann suchte der Regisseur Thomas Köller Unterstützung, dann kam ich über Martina Klinke, mit der ich zusammen bei Kanal4-tv moderiert habe, zum Ensemble. Das war vor 12 Jahren. Ich habe die ersten drei Jahre Co-Regie geführt. Die Stunker machten es sich damals nicht gerade leicht: Es gab keine klaren Probenpläne, man traf sich morgens und überlegte, was man tagsüber machen wollte. Alles wurde selber geschrieben, jeder kaufte selbst für sein Kostüm ein...

Du hast den Laden strukturiert und professionalisiert?

Nein! Ich habe nur einen kleinen Teil dazu beigetragen. Das Bedürfnis nach Strukturierung bestand bei allen. Nach drei Jahren Co-Regie bin ich dann auf die Bühne. Die frühere Arbeitsweise, dass alle alles machen, ist von der Einsicht abgelöst worden, dass es kräfteschonender ist, wenn man arbeitsteilig vorgeht und Verantwortung abgibt.

Wie läuft eine Stunksitzungs-Produktion ab?

Wir fangen mit drei Tagen Brainstorming im September an, mit dem ganzen Ensemble. Das Ergebnis sind 100, 120 Ideen, Themen – ein Sammelsurium. Dann sortieren wir aus, und etwa vier bis sechs Wochen werden dann die Nummern geschrieben und bearbeitet. In dieser Zeit schmoren wir eine Woche in einer Art Jugendherberge in Altenkirchen im eigenen Saft – mit vier, fünf Leuten auf einem Zimmer. Danach wird entschieden, mit welchen Nummern wir in die Probe gehen, das sind rund 25. Dann proben wir, dann gibt es ein internes Vorspiel, bei dem ausgesiebt wird, dann kommt ein externes Vorspiel vor einem kleinen kritischen Zuschauerkreis, bei dem wir nochmal prüfen, ob wir richtig liegen. Zum Schluss kommt die Generalprobe – und oftmals stellt sich erst vor Publikum raus, ob die Dramaturgie stimmt. Dieses Jahr haben wir nach der Generalprobe das Programm umgestellt. Ja, und dann spielen wir, dann ist Aschermittwoch und wir gehen Fisch essen, dazwischen feiern wir Karneval.

Wie lange probt Ihr das Programm denn effektiv?

In der Regel sechs Wochen, jeden Tag, fünf bis sechs Tage die Woche, acht Stunden. Wenn die Nummern in sich stimmig sind, sind sie relativ schnell geprobt. Es sei denn, es sind so aufwändige Geschichten wie die mit dem Spiegel letztes Jahr. Den Spiegel hatten wir ja erst auf der Bühne. Bei den Proben lagen meine Kollegen samt Regisseur immer auf dem Boden rum, unter einer auf Holz aufgeklebten Spiegelfolie, und versuchten sich vorzustellen, wie der Auftritt auf der großen Bühne wirken würde.

Ihr seid in den 20 Jahren viel professioneller in Bühnenarbeit und Choreografie geworden. Wie hat sich die Stunksitzung noch verändert?

Verändert hat sich die Arbeitsweise, verändert haben wir uns. Wir haben auf viele Dinge einen anderen Blick, wir sehen die Welt differenzierter, nicht mehr nur Schwarz und Weiß. Wir sind nicht mehr ganz so anarchistisch wie damals.

Wäre denn so ein Stunksitzungs-Plakat wie das mit Barschel in der Badewanne von 1988, das ein gerichtliches Nachspiel hatte, heute noch möglich?

Ja, ich glaube schon. Wir hören natürlich oft, wir seien nicht mehr so bissig. Meist sind das diejenigen, die die Stunksitzung seit 20 Jahren kennen. Das nehmen wir durchaus ernst. Aber manchmal denke ich, die müssten sich auch mal an die eigene Nase packen: Wer geht denn noch auf die Straße, ist politisch aktiv oder organisiert sich gewerkschaftlich? Wir sind kein Ersatz für eigenes politisches Engagement, nach dem Motto: »Da haben es die Stunker den Herrschenden aber wieder mal richtig gegeben«. Und danach geht man nach Hause und legt die Füße aufs Sofa.

Zur Person
Biggi Wanninger wurde am 21.05.1955 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf an der Erft auf. In Köln lebt sie, seit sie 19 Jahre alt ist. Nach diversen beruflichen Umwegen studierte sie Schauspielerei und Gesang. Engagements am Bauturm- und am Millowitsch-Theater sowie in der Comedia Colonia. Seit 1993 Mitarbeit bei der Stunksitzung: Drei Jahre machte sie Co-Regie, dann spielte sie drei Jahre im Bühnen-Ensemble, seit 1999 ist sie die Stunksitzungs-Präsidentin, die plötzlich als Trude Herr vom Himmel auf die Bühne fällt.
Mit ihrer Stunksitzungs-Kollegin Anne Rixmann erarbeitet sie derzeit ein Duo-Programm, das unter dem Titel »Solo für Zwei« am 19., 20. und 21. März in der Comedia Premiere haben wird.