Totgesagte strahlen schöner

Die Ausstellung »Video – 25 Jahre Videoästhetik« in Düsseldorf

huldigt dem Musik-, Werbe- und Kunstvideo. Daniel Kothenschulte hat sich zwischen 100 flackernden Bildschirmen Gedanken gemacht über Lautstärke, Clipästhetik und Verwechslungen zwischen Film, Video und DVD.

»Der Lärm der Straße dringt ins Haus«, heißt ein Gemälde des Futuristen Boccioni, Urahn aller Klang-Visualisierungen in der modernen Kunst. Lärm ist auch das erste was man hört, wenn man die vor kurzem erschienene DVD-Werkausgabe des Videoclipkünstlers Chris Cunningham in den Player legt. Es ist das Geräusch, das entsteht, wenn alle acht längst zu Klassikern gewordenen Arbeiten Cunninghams gleichzeitig abgespielt werden. Das Musikvideo ist der heute populärste Ausdruck des alten Traums von der Synästhesie, der beziehungsvollen Ganzheit zwischen Klang und Bild. Der späte Traum des Fernsehens, wieder Radio zu werden, dessen alte Helden man freilich gleichzeitig symbolisch zum Teufel schickte. »Video Killed the Radio Star« von Trevor Horn und Geoff Downes war 1981 der erste Clip auf MTV – ein Video, das vom Sender erst in Auftrag gegeben werden musste, war der Track doch zum Sendestart längst aus den Charts verschwunden. Musik und Musikvideo, you cannot have one thing without the other. So hatten wir wenigstens gedacht.
Betritt man die Ausstellung »Video – 25 Jahre Videoästhetik« im Düsseldorfer NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, geht es noch leiser zu, als in vergleichbar gut besuchten Kunstausstellungen mit Ölmalerei an den Wänden. Es mag das sanfte UV-Licht in den zwei riesigen Sälen sein, das die Besucher in konspirative Flüsterstimmung lullt, vielleicht ist es aber auch der Respekt vor dem Gott der hundert Monitore, die ihm weihevoll auf schwarzen Stelen die Ehre bezeugen. In Reih und Glied stehen die vielen kleinen Apparate als formierten sie ein gewaltiges Kriegerdenkmal. It’s Oh So Quiet. Nur über Kopfhörer, und dann auch nur sehr, sehr, gedämpft, lässt sich der Ton zum Bild hinzufügen. Zwei Headphones hängen an jedem der flackernden Bildschirme primitiver Technologie (ein Modell, wie es in Billighotels unter der Zimmerdecke hängt), was Pärchen dazu anregt, die Werke gemeinsam zu okkupieren. Die Werke, das sind – in überraschender Folge – hundert vorzüglich ausgewählte, kanonisierte Clip-Klassiker hauptsächlich der letzten zehn Jahre, sowie eine kenntnisreiche, aber schon weniger zwingende Auswahl an Werbespots und eine ausgesprochen beliebige Auswahl assoziierter Kunstvideos zwischen Marina Abramovic und Bill Viola (selbst Mike Kelley sucht man vergeblich).
Wer die sonderbare Verbindung von Andrang und Stille nicht gleich okkult finden will, der kann sich zumindest an die weihevolle Ruhe von Bibliotheken erinnert fühlen – denn als solche sollte man diese Ausstellung vor allem nutzen. Es ist die Gelegenheit, endlich das eine zeitlang beliebteste Referenzmaterial der Poptheorie zu sichten. Schlauberger haben alles schon einmal im Fernsehen gesehen, aber wann und nur selten in voller Länge. Anderseits: Um die ästhetische Qualität der Clips, am Ende gar die spezifische »Clipästhetik« des Ausstellungstitels zu erleben, sind die Monitore wiederum zu schlecht.
Wenn das Arrangement den Eindruck einer Totenfeier erweckt, ist dies kaum unbeabsichtigt – obgleich man dem Verstorbenen in einer früheren Ankündigung noch ein langes Leben prognostiziert hatte: »Video: Die Sprache des 21. Jahrhunderts«. »Videoclip ist ein Wort, das Anfang des 21. Jahrhunderts nur mehr historisch benutzt wird«, schreibt Kurator Ulf Poschardt in dem von ihm herausgegebenen Katalogbuch. »Ein Blick auf die Videoästhetik gleicht der Musterung eines Totenbetts. Sie blüht in voller Pracht.« Eine schöne Metapher, wenn auch eher der vom Clip verschmähten Rock- als der umflirteten Popwelt entlehnt. Es fällt einem gleich ein Video dazu ein, das leider nicht in der Ausstellung läuft: »Where The Wild
Roses Grow« mit Nick Cave und Wasserleiche Kylie Minogue. Die Beobachtung vom Tod des Videos ist auf mehreren Ebenen wahr, auf anderen aber auch nicht.
Sicher, die soeben erschienenen Werkausgaben der abgedankten Clip-Pioniere Chris Cunningham und Spike Jonze schließen den prunkvollen Deckel über einem Kapitel der Popgeschichte. Der Wohlstand der Musikindustrie in den 90er Jahren erlaubte es audiovisuell ambitionierten Popkünstlern, ohne Rücksicht auf die Dienstwege des Medienbetriebs Meisterwerke in Serie in Auftrag zu geben. Es war eine herrliche Zeit, jeder Hotelfernseher wurde zum Museum, wenn er nur MTV und VIVA empfangen konnte. Diese Ära ist passé, wie im übrigen auch die Tage des braunen Magnetbands vorbei sind. Das Medium ist, wie es immer so schön heißt, obsolet: Wer hat noch nicht das befremdliche Gefühl erlebt, wenn man an der DVD-Auslage versehentlich eine gleichgroße, aber doppelt so dicke Videokassette gegriffen hat?
Das Bild selbst aber bleibt natürlich »Video« in dem Sinne, dass es ein elektronisch generiertes Bild ist. Auch was man mit der Digitalkamera aufnimmt ist ja Video und nicht Film. Aber ist dies überhaupt eine Ausstellung über den Aufstieg und Untergang des elektromagnetischen Bildes auf braunem Band in den Kontexten von Musikfernsehen, Werbung und Kunstbetrieb, wie es der neue Ausstellungstitel suggeriert: »25 Jahre Videoästhetik«? Und welcher Teil davon ist nun für Poschardt untergegangen? Natürlich assoziierte »Video« auch immer Arbeitsgruppe, Selbermachen, Basiskultur, politischer Agitprop. Dieser Weg lässt sich jedoch bei bestem Willen nicht in den konsumistischen Popkontext verfolgen. Oder am Ende doch?
»Es ist sicher kein Zufall«, schreibt Poschardt weiter, »dass die beiden vielleicht visionärsten Künstler der Nachkriegszeit, Godard und Warhol, früh das Potenzial des Videos als Zerstörer überkommener, falsch gewordener (audio-visueller) Gewissheiten erkannten.« Hier nimmt eine Verwechslung von Film und Video den Anfang, die dieser Ausstellung einen Teil ihrer Überzeugungskraft nimmt. Warhol drehte sein bekanntes Filmwerk in 16mm und begann erst 1982, also schon in der MTV-Ära, mit seiner Kabelshow »Andy Warhol’s TV«, der dann – nun im Auftrag des Musiksenders – »Andy Warhols 15 Minutes« folgte. Nur Godard verwandte tatsächlich Video bereits seit 1977, allerdings schon wesentlich später als die bildende Kunst. Es ist tatsächlich so, dass sich nahezu alle großen Filmemacher lange gegen Video sträubten, insbesondere jene, die in der Ausstellung als die eigentlichen Visionäre dargstellt werden – die Werbefilmer. Ridley Scotts Apple-Spot, der in Riefenstahlästhetik eine Athletin einen gewaltigen, von einem grauen Heer angebeteten Videoscreen zertrümmern lässt, ist selbstverständlich eine Filmproduktion wie fast alles, was in der Ausstellung an Werbung läuft.
Spätestens hier stellt sich die Frage, was eigentlich Video im Sinne der Ausstellungsmacher sein soll. Man ahnt es schnell: Es geht um die sogenannte »Videoästhetik«, jedes kaum näher benannte Mysterium aus chic, thrill und schnellen Schnitten, das lange von Kulturpessimisten als Schimpfwort gehandelt wurde. Diese Ausstellung zementiert nun diesen indifferenten Begriff – normalerweise ein sicherer Indikator für schlechte Kritiken – und codiert ihn positiv. Dem Popvideo mag dies gut tun (was immer mit dem Begriff gewonnen ist), dem Film gegenüber, der sie hervorbrachte – auch dem Werbefilm – zeugt es von Unkenntnis, und für die Videokunst ist es schlicht ein Affront.
Wie klassische Videokunst hier auf ein Miniformat gestutzt wird und zugleich als Aufwertungsmaßstab für den Rest gebraucht wird, das kann schon richtig ärgern. Aber wie gesagt: Man sollte die Ausstellung nicht als Musentempel betreten, sondern als reich gefüllte Referenzbibliothek nutzen.
NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf, Ehrenhof 2, di-so 11-20, fr bis 24 Uhr, bis 18.4.
Katalogbuch: »Video«, hrsg. von Ulf Poschardt, Düsseldorf/Stuttgart 2003, 240 S., 24,80 €.