Der braune Fleck im Grünen

Inmitten des neuen Nationalparks Eifel liegt die ehemalige Nazi-Ordensburg Vogelsang. Burg und Wald werden noch bis 2005 von der belgischen Armee als Truppenübungsplatz genutzt, manchmal wird hier scharf geschossen. Ein Förster hat Conny Crumbach sicher durch den verschneiten Park geleitet, in dem Wildnis und Weltanschauung aufeinander treffen.

Man sieht sie nicht. Doch ihre Anwesenheit ist auch hier im Wald überall zu spüren. Viele Bewohner der umliegenden Dörfer sprechen nicht gerne über sie. Genervt die einen. Beschämt oder unangenehm berührt die anderen.
Mitten in der Naturidylle des neuen Nationalparks Eifel steht sie – die ehemalige »NS-Ordensburg Vogelsang«, von den Nazis 1934 bis 1936 gebaut, um dort »den Nachwuchs für die Führer der Partei ... zu ganzen Kerlen zu erziehen«. Ein gigantisches Ungetüm größenwahnsinniger Nazi-Architektur. Ein Areal von rund 100 Hektar mit eigenem Sportplatz, Schwimmbad, Freilichtbühne und Unterkünften für mindestens 2.000 Personen. Zwischen 1936 und 1939 wurden hier junge Männer im Alter von 24 bis 30 Jahren mit NS-Ideologie vollgestopft. Ein Zeugnis gab es für die so genannten Junker zum Abschluss nicht – dafür aber den Titel »Nachwuchsführer«.
Der Ort Gemünd liegt in der Nachbarschaft der Burg Vogelsang und grenzt an den erst im Januar eingeweihten Nationalpark Eifel. An diesem Morgen wirkt hier alles besonders ruhig und beschaulich. Zwei Tage lang hat es geschneit. Die Dächer der kleinen, zum Teil noch im Fachwerkstil gebauten Häuser und die umliegenden Hügel der Nordeifel sind weiß bedeckt. Doch die Straßen sind frei, und so kann man hier, knapp 50 Autominuten von Köln, im einzigen Nationalpark NRWs selten gewordene Buchenwälder, natürliche Bachtäler und ein kleines Stück »Abenteuer Wildnis« erleben: Auch Wildkatzen, Biber und Uhus sind hier beheimatet.

Auf der Burg sollte der NS-Nachwuchs geschult werden

In einer kleinen Seitenstraße, auf der der Schnee an diesem Morgen noch der Sonne trotzt, liegt das für den Nationalpark zuständige Forstamt Schleiden-Gemünd. »Ich habe eben im Schießbüro angerufen. Wir können leider erst ab 16 Uhr ins Sperrgebiet«, sagt Malte Wetzel zur Begrüßung. Der junge Forstwirt ist neu hier und seit Dezember für die Pressearbeit des Nationalparks zuständig. Auf dem Burggelände war er selbst noch nie. Keine Zeit. Denn seit der Eröffnung häufen sich die Anfragen der Journalisten – zum Nationalpark, aber auch zur Burg.
Vogelsang ist eine von drei NS-Ordensburgen, auf denen die »Nachwuchsführer« jeweils ein Jahr ihrer »wissenschaftlich-weltanschaulichen Schulung« verbringen sollten. Doch schon nach drei Jahren wurde die Ausbildung auf der Ordensburg Vogelsang eingestellt: Mit dem Beginn des Krieges wurde sie zu anderen Zwecken benötigt. Die Wehrmacht nutzte sie beim Westfeldzug und während der Ardennenoffensive als Truppenunterkunft und Lazarett. Zwischen 1942 und 1944 wurden die »Adolf-Hitler-Schulen« hier untergebracht, in denen der »Führernachwuchs« bereits ab dem 12. Lebensjahr erzogen werden sollte. Doch auch während des Kriegs war der Bauwahn der Nazis und ihres Kölner Architekten Clemens Klotz nicht zu bremsen. Unter anderem wurden die Fundamente für ein gigantisches »Haus des Wissens« gelegt, das alle anderen Gebäude in der Größe noch übertroffen hätte.

Der Park wird weiter militärisch genutzt

Nach dem Krieg übernahmen dann zunächst die Briten das Regiment auf Vogelsang, bevor sie das Areal 1950 an die Belgier übergaben. Noch nutzen die belgischen Streitkräfte das Burggelände als Kaserne »Camp Vogelsang«, und 30 Prozent des 110 Quadratkilometer großen Parks als Truppenübungsplatz. Doch Ende 2005 werden sie Vogelsang verlassen.
Die militärische Nutzung hat Einfluss auf die Begehbarkeit des Nationalparks, und wird ihn auch in Zukunft noch haben. Wege, die über den Übungsplatz führen, sind nur am Wochenende geöffnet. Andere Gebiete sind vermint und ganz gesperrt – auch für die Soldaten. Gemünder Förster und Landespfleger müssen sich täglich im belgischen Schießbüro informieren, wann im Wald scharf geschossen wird. Auch einige Wege außerhalb des Militärgeländes sind während der Übungen gesperrt. Man schießt von einem Plateau aus über die Urfttalsperre herüber, so dass einiges an Munition und Geschossen auf dem gegenüberliegenden Hang des Kermeter landet.
Lediglich ein paar verwitterte Schilder warnen vor dem Betreten der betroffenen Wege. Schon jetzt beginnen im Forstamt die Vorbereitungen für die Zeit nach der militärischen Nutzung. Wegepläne müssen erstellt und in manchen Gebieten muss Munition geräumt werden, in anderen bleibt sie liegen, und die Natur unter sich. Nationalpark – der höchste Schutz, der einem Landstrich per Gesetz gewährt wird – bedeutet immer auch ein Stück Wildnis. Viele Flächen werden ab jetzt einfach in Ruhe gelassen. Die Förster greifen nur noch da ein, wo es unbedingt nötig ist. Wie in den Randgebieten des Parks, in denen weiterhin Borkenkäfer bekämpft werden, damit sie benachbarte Privatwälder nicht beschädigen. Außerdem soll der Fichtenbestand, der eigentlich nur für die Holzwirtschaft interessant war, langsam durch Buchen ersetzt werden.

Seit 1989 steht die Burg unter Denkmalschutz

Die Aufgaben des »Waldpersonals« ändern sich deutlich. 17 Mitarbeiter, Förster und Landespfleger, wurden zu Eifel-Rangern fortgebildet. Diese werden zum Teil zu Fuß und mit einem Rucksack voller Infomaterial und Erste-Hilfe-Artikel in der Eifel unterwegs sein, um Besuchern und Wanderern weiterzuhelfen. Und damit sie auch jeder erkennt, werden sie extra aus Kanada eingeflogene Mountie-Hüte auf dem Kopf tragen, die Malte Wetzel »wirklich cool« nennt.
Wenn die belgischen Streitkräfte in zwei Jahren abziehen, dann müssen Bund und Land auch über die weitere Nutzung des ungeliebten Areals von Camp Vogelsang entschieden haben. Klar ist bisher nur, dass der Bau nicht Teil des geschützten Nationalparks ist. Damit ist für das Land NRW der Weg frei, private Investoren ins Boot zu holen. Schon seit Mitte der 80er Jahre gab es Spekulationen und Vorschläge zur zivilen Nutzung Vogelsangs, die von Pferderennbahn über Gewerbegebiet bis hin zu einer Europäischen Elite-Universität reichten. 1989 wurde Vogelsang unter Denkmalschutz gestellt und so die spätere Nutzung eingeschränkt.

Die Zukunft von Vogelsang ist umstritten

Malte Wetzels Förster-Kollegen Michael Röös stört die Dominanz des Themas Vogelsang in den Medien sichtlich. Er möchte eigentlich lieber über den Park sprechen und wünscht sich auf Vogelsang ein Besucherzentrum. »Das sollte kein Ort sein, an dem man die ganze Zeit mit geduckten Schultern herumläuft. Den muss man mit Leben füllen. Natürlich nicht ohne die Geschichte der Bauten zu kommentieren.« Mit dieser Vorstellung liegt er nicht weit entfernt von den Ideen der Landesregierung.
Die Schlagworte heißen »Besucherzentrum«, »Lernort« und »lebendige Gedenkstätte«. Seinen medienwirksamen Vorschlag, die Wehrmachtsausstellung dauerhaft in den Burggebäuden unterzubringen, nahm NRWs Bauminister Vesper längst selbst zurück, weil der Ort mit den Inhalten der Ausstellung nicht wirklich korrespondiere.
Das meint auch der Vorsitzende des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten NRW, Alfons Kenkmann. Er sieht Vogelsang als idealen »Lernort«, vor allem um über Ideologie und Menschenbild der Nazis aufzuklären. Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, machte dagegen mit der Forderung, Vogelsang bewusst verfallen zu lassen, auf die finanziellen Folgen des Projekts aufmerksam. Er gab zu bedenken, dass etwa die KZ-Gedenkstätte Lichtenberg auf Grund von Geldmangel nicht mehr in Stand gehalten wird. In reine Täterorte wie Vogelsang sollte man, so Spiegel kürzlich in einem Interview, nicht auch noch Geld investieren. Tatsächlich ist die Finanzierung unklar. Besitzer des Areals ist der Bund, doch die laufenden Kosten, die sich nach Schätzungen auf jährlich drei Millionen Euro belaufen könnten, müssten wohl vom Land NRW und über Stiftungen finanziert werden.

Das riesige Bauprojekt hatte die Eifeler anfangs begeistert

Einer, dessen Lebensgeschichte eng mit Vogelsang verbunden ist, ist Karl Heup. Der 65-jährige Rentner stammt aus dem kleinen Ort Wollseifen, der nach dem Krieg samt seinen rund 550 Bewohnern dem Truppenübungsplatz weichen musste. Lange wollten sie Entschädigungen und die Anerkennung als einzige Vertriebene in Westdeutschland. Mehr als den Status »Evakuierte« gestand die Bundesregierung den ehemaligen Bewohnern jedoch nicht zu.
Heute will man nur noch an das Dorf erinnern und plant ebenfalls für 2006 eine Art Gedenkstätte. Für Karl Heup ist Vogelsang eine ständige Erinnerung an den Krieg und seine Folgen: »Das Schicksal von Wollseifen war mit der Grundsteinlegung von Vogelsang besiegelt.« Das riesige Bauprojekt hatte anfangs dafür gesorgt, die eher konservativen Eifeler für die Ideen der Nazis zu begeistern. »Es gab plötzlich Arbeit und einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region«, erinnert Karl Heup sich, »darüber wird heute natürlich nicht besonders gerne gesprochen.«
Fünf vor Vier. Malte Wetzel stoppt den grünen Forstamtsbus vor einem Schild. »Wir warten lieber bis 16 Uhr. Man hört zwar keine Schüsse mehr, aber sicher ist sicher«, kommentiert er und zündet sich draußen im Schnee eine Zigarette an. Eine Minute vor Vier. Der Bus fährt langsam durch den fast unberührten Schnee in Richtung Urfttalsperre. An einem Aussichtspunkt oberhalb des Seeufers hält er an.
Es dämmert bereits, auf der anderen Seite des Sees sieht man »Camp Vogelsang«. Unwirklich liegen die rechteckigen Gebäudekomplexe auf dem Hügel, in der Mitte der Burgturm. Ein künstliches Dorf, das nur aus Fabrikgebäuden zu bestehen scheint. Am Aussichtspunkt weht ein kalter Wind, die Sonne ist verschwunden. Zeit für den Heimweg.

Info

Die Burg Vogelsang
Franz A. Heinen: Vogelsang. Von der NS-Ordensburg zum Truppenübungsplatz in der Eifel. Eine kritische Dokumentation, Helios Verlag, Aachen 2002, 34 €.