Protest und Provokation

Die Kölner Bewerbung als »Kulturhauptstadt 2010« erregt die Gemüter in der freien Szene

Die Frage: »Wer oder was ist die freie Kölner Kulturszene?« ist ungefähr so leicht zu beantworten wie die Frage: »Was ist Kultur?« Die freie Szene ist alles andere als homogen – wäre ja ansonsten auch eine ziemlich langweilige Veranstaltung. Beim Thema »Köln – Kulturhauptstadt 2010« kristallisierten sich in den vergangenen Monaten zumindest grob zwei Fraktionen unter den freien Kulturschaffenden heraus: Die einen protestieren, sagen nein zur Kölner Bewerbung und sind meist für Münster. Die anderen unterstützen den Kulturhauptstadtprozess offiziell, wollen aber partizipieren und sind – logisch – für Köln.
Die Aktion »Köln für Münster« entstand im Februar unter anderem als Reaktion auf die Ernennung Franz Xaver Ohnesorgs zum Koordinator der Kölner Bewerbung – ein weiterer Meilenstein der eigenmächtigen Personalpolitik von OB Fritz Schramma. Ins Leben gerufen wurde »Köln für Münster« von Ex-Popkomm-Geschäftsführer Ralf Plaschke, dem Journalisten Ralf Niemczyk und dem Kulturmanager Karl-Heinz Pütz. Beim gemeinsamen Bier war man sich einig, nicht länger bei Schrammas Alleingängen zusehen zu wollen. So nannten sich die Herren kurzerhand »Kommando Jan van Leyden«, schickten die Idee in ihre Mailverteiler und bauten die Website www.koelnfuermuenster.de.

Lustige Provokation oder ernster Protest?

Was als ironische Provokation mit Post-Punk-Attitüde begonnen hatte, stieß auf viel Sympathie. Schnell waren etwa Elke Heidenreich, Martin Stankowski, Günther Wallraff und Heinrich Pachl ebenfalls für Münster. »Wir sind ein loser Verbund und unser Ziel ist es, dass Köln nicht Kulturhaupstadt 2010 wird. Wir glauben nicht, dass sich die Kulturpolitik in der Stadt durch die Bewerbung verbessert«, kommentiert Plaschke die Grundhaltung der Gruppe.
Das »Kölner Kulturnetz«, in dem vornehmlich Musikveranstalter, Theater und Musiker organisiert sind, setzt dagegen auf volle Unterstützung der Bewerbung. »Wir tun das auch mit Bauchschmerzen«, sagt Stadtgarten-Chef Reiner Michalke. Denn auch von Seiten der Unterstützer gibt es viele Kritikpunkte: »Der Kommunikationsprozess ist überhaupt nicht gelungen. Es gibt keine Transparenz und keine wirkliche Beteiligung von Außen. Wir sind auch sehr unzufrieden mit dem Bewerbungstext, für den viele freie Kollegen Ideen geliefert haben, die jetzt nirgendwo vorkommen«, sagt Michalke. »In der Bewerbung wird ein sehr konservatives Köln präsentiert. Die Pflege des kulturellen Erbes steht bei den Verantwortlichen viel zu sehr im Vordergrund«.

Stichtag: 20. Mai

Das Desinteresse an Vorschlägen aus der freien Szene erfuhr auch Georg Lützenkirchen, ebenfalls organisiert im Kulturnetz, der mit seinen Kollegen Gregor Leschik und Astrid Völker monatelang um einen Termin bei der Stadt kämpfen musste, um ein Konzept zur Einbeziehung der Bürger in den Entscheidungsprozess vorstellen zu dürfen. »Dabei ging es natürlich auch um unser privates Interesse, das Projekt vorzustellen und gegebenenfalls zu verkaufen. Doch inhaltlich haben wir einen politischen Anspruch, nämlich die Beteiligung der Bevölkerung«, erklärt Politologe Lützenkirchen. Nötig hätte die Stadt ein solches Konzept allemal, denn bislang besteht die von der EU geforderte Bürgerpartizipation lediglich aus folgendem Aufruf auf der offiziellen Kulturhauptstadt-Homepage: »Die Bürger werden aufgefordert selbst zu ›Kulturträgern‹ zu werden. Zum Beispiel durch das Tragen von Motto-T-Shirts und Pins.«
Im Kulturnetz hofft man trotzdem weiter darauf, Einfluss nehmen zu können – und dass die aktuelle Kultur durch die Bewerbung in der städtischen Prioritätenliste weiter nach vorne rückt. Doch die Stadt bewegt sich langsam, und immer wieder steht die Frage nach der Vereinahmung der freien Szene für städtische Interessen im Raum. So wurden Elke Heidenreich und Wolfgang Niedecken, die sich offiziell gegen eine Bewerbung aussprachen, flugs mit Foto in und auf die Bewerbungsmappe gedruckt – und so unfreiwillig zu Kölner Werbemitteln. Ralf Plaschke von »Köln für Münster« sieht jedenfalls keinen Anlass, bei Schramma und Co auf Besserung zu hoffen: »Ich verstehe nicht, wie man auf den irrsinnigen Gedanken kommt, dass diese Leute plötzlich alles anders machen werden.«
Ein Ergebnis hat die Kölner Bewerbung jetzt schon: In der freien Szene wurde eine öffentliche Diskussion angestoßen, die es in diesem Ausmaß in der Stadt schon lange nicht mehr gab. Am 20. Mai fällt die Entscheidung über den NRW-Bewerbungs-Kandidaten: Köln, Münster – oder vielleicht doch Essen samt Ruhrgebiet. Sollte Köln weiter im Rennen bleiben, sagt Reiner Michalke, müssten die Karten neu gemischt und die Bedingungen für eine weitere Unterstützung neu verhandelt werden.

Info
Freie Szene im Netz
www.kulturnetzkoeln.de
www.koelnfuermuenster.de
Offizielle Seite zur Bewerbung
www.koeln.de/kulturhaupstadt
Die Bewerbung Kölns als »Kulturhauptstadt 2010« war auch Titelthema der StadtRevue im März; weitere Texte stehen im Archiv unter www.stadtrevue.de.