»Das Kopftuch ist keine Bedrohung«

Elisa Klapheck ist eine von drei Rabbinerinnen in Deutschland.

Yvonne Greiner sprach mit ihr über das Kopftuch-Verbot, den Irak-Krieg und neue Zugänge zu alten Ritualen

StadtRevue: Frau Klapheck, Sie halten hier in Köln einen Vortrag über die Gründerin des Jüdischen Frauenbundes Bertha Pappenheim, besser bekannt als Fallstudie Sigmund Freuds unter dem Pseudonym »Anna O«. Mitveranstalter ist die Jüdische Liberale Gemeinde Kölns – nicht die Synagogen-Gemeinde in der Roonstraße. Warum?

Elisa Klapheck: Mit der Liberalen Gemeinde Gescher LaMassoret habe ich schon lange Kontakt. Als Rabbinerin akzeptieren mich liberale Gemeinden, aber nicht unbedingt Einheitsgemeinden, die wie die in der Roonstraße eher orthodox geprägt sind.

Hat die orthodoxe Seite Schwierigkeiten damit, dass Sie eine Frau sind?

Ja. Andererseits konnten wir die Tagung von Bet Debora, einer europäischen, jüdischen Frauenorganisation, die ich mitbegründet habe, in den Räumen der Berliner Jüdischen Gemeinde abhalten. Die hat sowohl einen orthodoxen als auch einen liberalen Flügel. Im Rahmen der großen Jüdischen Gemeinde Berlins treten neben Rabbinern auch manchmal Rabbinerinnen auf.

Sie zählen sich aber weder zur orthodoxen noch zur liberalen Linie.

Man muss doch nicht immer ein Label tragen. Ich bin einfach jüdisch, und für mich ist maßgeblich, was in den letzten 2.000 bis 3.000 Jahren insgesamt im Judentum an Gedanken und Schriften produziert wurde. Ich habe mich für ein Rabbinatsstudium in den USA entschieden, das sich der Erneuerung des Judentums verschrieben hat und in dem es möglich ist, neue Zugänge sowohl zu den orthodoxen wie zu den liberalen Inhalten zu finden.

Was ist das Neue?

Nehmen wir mal die Mikwe, das ritutelle Tauchbad, als Beispiel. Vor zehn Jahren wäre da nur die orthodoxe Rabbiner-Ehefrau hingegangen. Inzwischen gibt es viele neue Gründe für dieses alte Ritual – nach der Krankheit oder nach einem guten Erlebnis. Vor meiner Ordination bin ich auch in der Mikwe untergetaucht. Man findet so neue Zugänge zu einem ursprünglich orthodox geprägten Bereich. Ich möchte nicht in einer Bewegung sein, die sagt, weil ich das bin, kann ich nicht etwas anderes sein. Das liegt mir nicht. Mich interessiert das Judentum in all seinen Facetten: als Literatur, als Kunst, als die Rhythmik der Gebete. Letztere ist in der Orthodoxie stärker vorhanden als im liberalen Judentum. Darauf möchte ich nicht verzichten.

Erfahren Sie keine Sanktionen in der Jüdischen Gemeinde?

Ich kann nicht ausgeschlossen werden, das gibt es im Judentum nicht. Aber es gibt natürlich Rabbiner, die mich nicht anerkennen. Ich würde aber auch nicht zu ihnen hingehen, um mir etwas vorschreiben zu lassen, gerade wenn es um Erneuerungen geht, von denen ich überzeugt bin, dass sie richtig sind. Mein Tun ist aber nicht gegen jemanden gerichtet, ich spiele auch nicht das Enfant terrible.

Der Ruf eilt Ihnen aber voraus: Sie sind Feministin, Politologin, Journalistin und gelten als Linke. Gleichzeitig vertreten Sie Positionen, die auf den ersten Blick nicht dazu passen: Sie waren für den ersten Golfkrieg, für den Angriff auf den Irak, und Sie sind gegen das Kopftuchverbot für Musliminnen. Das sieht wie ein Bruch aus.

Wo ist denn da der Bruch? Ist es nicht eher ein Bruch, links zu sein – als Synonym für mehr Gerechtigkeit in der Welt –, dann aber die Diktaturen der Welt zu dulden? Wenn sich die Linken einig sind, dass man Diktaturen bekämpfen muss, dann frage ich mich, was sich solche linken Kriegsgegner als konkrete Schritte vorstellen. Ist nicht vielmehr bei ihnen ein Bruch – eine Inkonsistenz, auch moralisch? Aus lauter Angst, etwas Falsches zu tun, tun sie nichts. Das ist verantwortungslos.

Ist es nicht gefährlich, der USA als einzig verbliebener Weltmacht den Freifahrtschein auszustellen, nach eigenem Gutdünken Krieg zu führen?

Das Schlimme ist, dass Europa nicht auch als Weltmacht agiert und sich einmischt. Ich kann mir vorstellen, dass wir als Europäer eine differenziertere Sicht auf den Nahostkonflikt bieten können, alleine weil Europa auch aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Interessen besteht. Wir haben eine andere Geschichte mit den Juden, mit dem Islam, wir haben viele Bezugspunkte. Aber wir sind rückständig im Vergleich zu den USA, wenn es darum geht, in der Außenpolitik Verantwortung zu übernehmen. Das hat sicher mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, und in Deutschland insbesondere mit der Angst, etwas falsch zu machen.

Finden Sie das nachvollziehbar?

Ja. Aber auf Dauer ist das nicht die richtige Herangehensweise. Denn ich stelle gleichzeitig fest, dass in meinem Freundeskreis Leute anfangen, Selbstmordattentate zu rechtfertigen – nach dem Motto: Diese Leute haben ja keine Perspektive. Es kann nicht sein, dass man sein eigenes Gehirn und Gewissen verdreht, um sich da rauszureden.

Sie wenden sich auch sehr entschieden gegen das Kopftuch-Verbot. Warum?

Ich bin auch gegen eine politische Indoktrinierung der Kinder an den Schulen. Aber wenn man jene bekämpfen will, die den Islam für eine verbrecherische Haltung missbrauchen, dann kann man das nicht nur am Kopftuch festmachen. Ich habe in Berlin eine Initiative von Jüdinnen, Christinnen, Musliminnen und Politikerinnen mitbegründet, die nennt sich »Sarah-Hagar. Religion, Politik, Gender«. Ich kenne inzwischen viele Musliminnen, die zwar ihre Haare bedecken, aber überhaupt nicht radikal sind, sondern demokratisch. Sie gehören teilweise schon der dritten Generation türkischer Einwandererfamilien an. Wenn sie zur Religion zurückkehren, aus einem laizistischen Staat kommend, dann wird ihnen erstmal nichts anderes einfallen als ein Kopftuch zu tragen, weil das zum Reglement gehört. Dass der Kampf gegen islamistische Indoktrinierung sich auf das Kopftuch reduziert, dass es alleine die Frauen trifft, ist eine typische Frauendiskriminierung.

Und wenn die Lehrerinnen Kopftuch tragen?

Was stört uns eine Lehrerin, die Mathe unterrichtet, wenn sie dabei die Haare bedeckt. Wenn sie anfängt, Bin Laden zu verteidigen, ist das was anderes. Aber wenn sie ihre Bescheidenheit ausdrücken will mit bedeckten Haaren und Armen, wo ist die Bedrohung? Als Kind hätte ich das interessant gefunden. Ich hätte kein Problem mit Nonnen, Mönchen, Musliminnen, die unterrichten. Kinder müssen heute lernen, dass selbst die Mehrheitskultur nur eine Kultur unter anderen ist. Dazu gehört, die Verwirrung auszuhalten, dass es noch etwas anderes gibt als das, was man von zu Hause kennt. Ich sehe da noch keine Indoktrinierung. Am erschreckendsten finde ich die Aggression in der Debatte gegen das Kopftuch, diese Aggression, dass andere nicht anders sein dürfen. Sind wir wieder im 19. Jahrhundert, als Juden nicht öffentlich Juden sein durften? In anderen Ländern ist es viel stärker akzeptiert, in England etwa können selbst Polizistinnen ein Kopftuch tragen.

Wie gehen Sie als Feministin mit religiösen Geboten um?

Ich habe mich gefragt, wie weit ich den äußerlichen Forderungen des Judentums Rechnung tragen muss, wenn ich religiös bin. Muss ich koscher essen, kann ich dann nicht mehr mit meinen Bekannten essen gehen? Muss ich ein zurückhaltendes Verhalten als Frau zeigen? Inwieweit kann ich es vereinbaren, Feministin zu sein und religiös? Ich brauchte längere Zeit, um für mich einen Weg zu finden.

Wie haben Sie das für sich gelöst? Gehen Sie immer noch mit Bekannten essen?

Ja. Selbst das konservative Judentum ist ja keine Religion, die sich abschottet, sondern eine, die ins Leben reingeht. Das Judentum schreibt keine statische Gesellschaft fest, sondern es ist eine geistige Haltung, die in jeder Gesellschaftsform ihre Wirkung entfalten kann. In der Diaspora zum Beispiel ist Judentum eine Haltung, seine Würde zu bewahren, auch als Minderheit. Das Judentum ist immer emanzipativ und geistig dynamisch, also auch offen für feministische Ansätze. So habe ich das für mich gelöst.

Eine Haltung, die Sie sich auch gegenüber islamischen Frauen wünschen, die Kopftuch tragen?

Ja, lasst die Mädchen in Ruhe machen und ihren Weg finden.Viele kommen aus Familien, in denen die Mütter keine Kopftücher getragen haben. Sie tun das, um zu zeigen, dass sie stolz auf ihre Herkunft, stolze Musliminnen sind. Ich kann das gut verstehen. Sie wollen hier bleiben und versuchen jetzt, ihre türkische Herkunft, ihr Deutschsein, den Islam und die hiesige Jugendkultur auf einen Nenner zu bringen. Wir sind die Letzten, die das Recht haben, ihnen vorzuschreiben, wie sie das machen sollen. Diese Frauen sind unsere Chance, wenn es darum geht, einen moderaten, toleranten Islam zu entwickeln.

Zur Person
Elisa Klapheck wurde im Januar zur Rabbinerin ordiniert. Sie ist damit die dritte Rabbinerin in Deutschland. Klapheck ist 41 Jahre alt, hat Politologie studiert, als Journalistin u.a. für die taz gearbeitet und war in den letzten Jahren Chefredakteurin der Gemeindezeitung Jüdisches Berlin. Sie lebt in Berlin.