Being Charlie Kaufman

Der unwahrscheinliche Erfolg des Charlie Kaufman: Sven von Reden über den wagemutigsten Drehbuchschreiber Hollywoods und seine beiden neuesten Expeditionen in die menschliche Psyche, »Vergiss mein nicht« und »Human Nature«

»Kafkaesk« dürfte eines der meistmissbrauchten Adjektive in Feuilletons und Seminararbeiten sein. Wäre Kafka der Ausdruck schon zu Lebzeiten angedient worden, er wäre reicher gestorben. Wer die Silbe »esk« an seinen Namen gehängt bekommt, der ist zu dem geworden, was in der PR-Sprache ein »brand name« genannt wird: eine allseits bekannte Marke, deren Nennung sofort ein festes Set von Assoziationen abruft.
In der Geschichte Hollywoods dürfte sich kaum jemand den Ehrensuffix so schnell erworben haben wie Charlie Kaufman. Dabei ist er weder Regisseur noch Schauspieler, sondern Drehbuchautor – ein Beruf mit traditionell geringem Glamourfaktor. Ein Script reichte dafür: »Being John Malkovich«. Sicher, der Film hatte einen Superstar, der gegen sein Image besetzt wurde (Cameron Diaz), und hinter der Kamera den vielleicht angesagtesten Jungregisseur (Musikvideo-Wunderkind Spike Jonze), was aber wirklich herausstach, war das Drehbuch: Es geht um einen Bürotrakt im siebeneinhalbten Stockwerk eines Hochhauses; einen Tunnel, der in den Kopf von John Malkovich führt; eine Frau, die eine Frau liebt, aber nur wenn diese im Kopf von Malkovich steckt; einen traumatisierten Affen, einen geilen Greis ... die Absurditäten schienen grenzenlos. Kaufman selbst beschrieb sein Drehbuch als »Geschichte über einen Mann, der sich in jemanden verliebt, der nicht seine Frau ist.« Klar, dann ist Homers »Odyssee« die Geschichte eines Mannes, der auf Mittelmeerkreuzfahrt geht.

Nur verrückte Ideen

»Being John Malkovich« wirkte wie das Script eines Typen, der nie ein Drehbuchseminar besucht hatte. Plot Points, Cliffhanger, Happy End – what the hell! (In seinem zweiten Buch für Spike Jonze sollte sich Kaufman prompt über solche Veranstaltungen lustig machen.) Die Kritik und alles was hip ist oder gerne wäre in Hollywood liebten den Film und Kaufman. »Es ist, als ob Jorge Luis Borges nach Hollywood gekommen und plötzlich zum Ereignis der Stadt geworden wäre«, schrieb die L.A. Times.
Fast. Kaufman ist nicht der Maverick, der aus dem Nirgendwo kam. Ausgerechnet bei der formatierten Fließbandproduktion der TV-Sender erwarb er zu Beginn der 90er Jahre seine ersten Erfahrungen, als Gagschreiber der Sitcom »Get a Life«. Es folgten um die 30 Episoden für verschiedene TV-Serien. Versuche, Piloten für eigene Serien zu verkaufen, scheiterten allerdings immer wieder. Sein Projekt »Depressed Roomies« galt bei den Fernsehbossen als zu düster und verrückt, um eine Chance zu haben. »Es fühlte sich nicht wie eine Sitcom an«, erinnert sich Kaufman, »es war nicht naturalistisch«. »Rambling Pants« handelte von einem reisenden, untalentierten Dichter mit dem Namen Pants (Hose), in dem die Darsteller alle vier bis fünf Zeilen anfangen sollten zu singen. Ein großer Spaß! Aber konnte sich Kaufman wirklich beschweren, dass solche Extravaganzen nicht über das Scriptstadium hinauskamen?
Als er »Being John Malkovich« schrieb, glaubte er selbst nicht dran, dass jemand verrückt genug wäre, das Drehbuch zu kaufen. Immerhin: Malkovich las es und war begeistert. Dann passierte ein paar Jahre nichts, bis Michael Stipe, Sänger von R.E.M. mit eigener Filmproduktionsfirma, das Script kaufte und Spike Jonze mit an Bord holte. Ende 1999 kam »Being John Malkovich« in die amerikanischen Kinos, spielte über 20 Millionen Dollar ein, Nominierungen des Drehbuchs für Oscar und Golden Globe folgten. Kaufman konnte sich vor Aufträgen nicht retten.

Erfahrung vs. Wahrnehmung

Vier seiner Bücher sind seitdem verfilmt worden. Anfang 2003 kam in Deutschland »Adaptation« in die Kinos, die zweite Zusammenarbeit von Kaufman und Jonze, und kurz danach »Confessions of a Dangerous Mind«, das Regiedebüt von George Clooney. Anders als bei Jonze war die Zusammenarbeit zwischen dem Schauspielstar und Kaufman alles andere als eng. Clooney schrieb das Drehbuch an einigen Stellen selber um, Kaufman zieht es seitdem in Interviews vor, nicht über den Film zu reden.
In diesen Wochen kommt ein weiterer Kaufman-Doppelschlag in die deutschen Kinos: »Human Nature« und »Vergiss mein nicht«. »Human Nature« war eigentlich sein zweites Drehbuch, der Film floppte allerdings in den USA sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern und wurde wohl deswegen von der deutschen Verleihfirma mehrmals verschoben. »Vergiss mein nicht« ist Kaufmans bis dato letztes Projekt, wieder mit Starbesetzung (Jim Carrey, Kate Winslet, Kirsten Dunst, Elijah Wood). Beide Filme entstanden unter der Regie von Michel Gondry, wie Spike Jonze bekannt geworden für seine ungewöhnlichen Musikvideos u.a. für Björk, Daft Punk und die White Stripes.
Beide Filme sind aber in erster Linie unverkennbar Werke Kaufmans. In »Human Nature« lernen Mäuse Tischmanieren und Menschen wie Affen zu reden. In »Vergiss mein nicht« rennt Hauptdarsteller Jim Carrey die meiste Zeit durch sein eigenes Gedächtnis auf der Flucht vor der Auslöschung seiner Erinnerungen. Kaufman scheint eine unendliche Faszination für die Formbarkeit des menschlichen Bewusstseins anzutreiben. Immer geht es ihm darum, in das Hirn seiner Protagonisten einzudringen und dort deren Gedanken zu manipulieren. Vielleicht liegt das daran, dass für ihn sowieso nichts anderes existiert: »Für mich gibt es keine objektive Realität. Es gibt nur das, was in meinem Hirn stattfindet. Wir haben unsere Wahrnehmungen, das ist alles«.

Vielleicht doch eine »normale« Liebesgeschichte

Die Aporien dieses radikalen Konstruktivismus, also seine unauflösbaren Widersprüche, verdeckt Kaufman nicht, sie werden im Gegenteil zu konstitutiven Bestandteilen seiner Drehbücher. Immer wieder treibt er seine Geschichten zu einem Punkt, an dem sie implodieren. In »Being John Malkovich« steigt die Titelfigur (gespielt von Malkovich) in sein eigenes Gehirn. Plötzlich befindet er sich in einem Restaurant, in dem nur Ebenbilder von ihm sitzen, die wie Papageien nur seinen/ihren Namen vor sich hin plappern. In »Adaptation«, Kaufmans vielleicht selbstreflexivstem Film, sehen wir Nicholas Cage als Charlie Kaufman, der gerade das Drehbuch zu dem Film schreibt, den wir gerade sehen. Im aktuellen Beispiel »Vergiss mein nicht« lassen sich zwei frisch Getrennte die Erinnerung an den jeweiligen Partner auslöschen, nur um sich erneut ineinander zu verlieben. Immer wieder verknäulen sich die Geschichten, bis die Protagonisten nicht mehr aus ihnen herausfinden.
Kaufmans Drehbücher erinnern an die verwirrenden Grafiken des Niederländers M.C. Escher, dessen »Gedankenbilder« verschiedene Beobachtungsebenen in einer einzigen Raumperspektive zusammenzurren: Ein Wasserfall speist sich selber, Figuren auf Treppen steigen gleichzeitig auf und ab, zwei Hände zeichnen sich gegenseitig. Ebenso wie in der Wahrnehmung Eschers die optischen Täuschungen seine hübschen, realistischen Lithographien italienischer Dörfer in den Hintergrund gedrängt haben, besteht auch bei Kaufman die Gefahr, dass seine erzählerischen Drahtseilakte verdecken, dass er auch einer der genauesten Drehbuchautoren ist, wenn es um die Darstellung von etwas ganz Alltäglichem geht: Zweierbeziehungen zwischen Mann und Frau mit all ihren Missverständnissen, Selbstbetrügereien, Höhen und Tiefen.
Hier erreicht Kaufman eine Form von Realismus, die ungewöhnlich ist für Hollywood. Weder verschreibt er sich dem rosigen Schein der romantischen Komödien noch dem Zynismus der TV-Sitcoms. Seine reifste Leitung in dieser Hinsicht ist bislang »Vergiss mein nicht« mit seinem unwahrscheinlichen, aber dennoch glaubwürdigem Liebespaar. Vielleicht sollte Kaufman als nächstes eine simple Liebesgeschichte ohne abenteuerliche Hirnpenetrationen schreiben. Es wäre schade, wenn das Wort »kaufmanesk« lediglich als synonym für originelle Selbstreferenzialität in die Filmgeschichte einginge.

Info
Vergiss mein nicht! (Eternal Sunshine of the Spotless Mind) USA 04, R: Michel Gondry, D: Jim Carrey, Kate Winslet, Kirsten Dunst, 115 Min. Start: 20.5.
Human Nature (dto) USA/F 02, R: Michel Gondry, D: Tim Robbins, Patricia Arquette, Rhys Ifans, 96 Min. Start: 3.6.
Da Senator, die deutsche Verleihfirma von »Human Nature«, Insolvenz angemeldet hat, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar, ob der Film wirklich zum angekündigten Termin startet.