Mäuse mit Manieren

Im Naturzustand konnte sich der Mensch noch auf seine Gefühle verlassen, meinte Rousseau. Eins mit sich selbst wanderte er durch die Wälder und war glücklich. Doch dann kam der Sündenfall: Der Mensch begann zu reflektieren. Es entstanden Kultur und Zivilisation mit ihren feinen Unterschieden, und vorbei war es mit der natürlichen Gleichheit. »Ein grübelnder Mensch«, schrieb Rousseau, ist »ein entartetes Tier«.
»Im Zweifelsfall, tue nie, was du wirklich tun willst«, erklärt in »Human Nature« der Verhaltensforscher Nathan Bronfman seinem Schüler Puff das Geheimnis kultivierten Benehmens. Puff wuchs in der Wildnis auf, konnte nicht sprechen und war schlimmer behaart als ein Taliban. Nathan hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinem Fang Manieren beizubringen. Er ist darin Spezialist. Selbst seine Labormäuse können fehlerfrei mit Messer und Gabel Salat essen. Auch Puff macht schon
Fortschritte: Er schreibt Gedichte, weiß ein Opernglas zu bedienen, nur mit der Unterdrückung des Sexualtriebs klappt es noch nicht so gut.
Wenn im amerikanischen Kino auf absurde Weise am Bewusstsein manipuliert wird, kann das Drehbuch nur von Charlie Kaufman stammen. »Human Nature« schrieb er nach »Being John Malkovich«. Der Film entstand bereits 2001, kommt jedoch jetzt erst in die deutschen Kinos, weil er in den USA bei Kritik und Publikum floppte. Zu Unrecht. Sicher, die zentrale Liebesgeschichte zwischen Nathan und der stark körperbehaarten Lila ist wenig glaubwürdig; Tim Robbins und Patricia Arquette wirken verloren, als wüssten sie nicht recht, was sie mit ihren Rollen anfangen sollten. Rhys Ifans als sympathischer Affenmann ist dagegen voll in seinem Element, er hat verstanden, dass seine Rolle nur überzogen gespielt Sinn macht.
»Human Nature« ist ein ziemliches Durcheinander. Aber das kann man auch positiv sehen: Es werden so viele komische Ideen, Themen und Situationen angeschnitten und zusammengeschmissen, dass am Ende immer noch mehr übrig bleibt als bei den meisten anderen Komödien, mit denen uns Hollywood überzieht. Bei dem ganzen Durcheinander wird dennoch am Ende klar, dass es Kaufman und Regisseur Michel Gondry nicht um ein »Zurück zur Natur« geht. Die verlorene Unschuld kann nicht zurückgewonnen werden.
Das hätte Rousseau nicht anders gesehen: Er wollte auch nur an die von ihm dem Naturzustand zugeschriebenen Werte wie Freiheit, Unschuld und Tugend gemahnen, um die Gegenwart vor noch Schlimmerem zu bewahren. Gondry und Kaufman tun dies weitaus humorvoller.

Human Nature (dto) USA/F 02, R: Michel Gondry, D: Tim Robbins, Patricia Arquette, Rhys Ifans, 96 Min. Start: 10.6.