Der Jazz ist tot, es lebe der Jazz

Einen Einblick in die kölsche Situation eines Musikstils, der sich selbst überlebt hat und doch immer wieder neu erfindet, gibt Volker M. Leprich

Von Jazz ist die Rede. Dem Ding, das nicht tot ist, sondern nur ein bisschen komisch riecht. Von Jazz in Köln. Das manchmal auch komisch riecht. Passt gut zusammen, sollte man meinen. Und doch ist Köln keine Stadt des Jazz, zumindest was die Freie Kölner Musikszene angeht.

Kölner Jazz-Geschichte

Dabei sah es vor gut 20 Jahren so aus, als hätte das, was von vielen Jazz genannt wird und von den Musikern schon damals zeitgemäßer als Improvisierte Musik begriffen wurde, die Kraft, Musiker und Publikum zu einer nachhaltigen kulturpolitischen Bewegung zusammenzuschließen. Man versuchte, eine umfassende Infrastruktur für den Jazz in Köln zu schaffen, sowohl Aufführungs-, Probe- als auch Produktionsmöglichkeiten betreffend. Denn die Zahl gut ausgebildeter Jazzmusiker war bereits während der siebziger Jahre immens angestiegen, die ihrer Möglichkeiten nicht.

Vorausgegangen war 1975 das Engagement einer Gruppe von Studenten um Rainer Linke, Norbert Stein, Gerhard Veeck und Joachim Ullrich für die Einrichtung des Jazz-Vollstudienganges an der Musikhochschule.

Mit Unterstützung des damaligen Rektors wurde das Vorhaben durchgedrückt. Seit 1985 können neben dem Diplomabschluss auch künstlerische Reifeprüfungen und Konzertexamen abgelegt werden.

Politische Ziele

Politisch flankiert wurde die Entwicklung durch die Gründung der Initiative Kölner Jazz Haus (IKJH). In ihr organisierten sich neben oben genannter Gruppe Studenten der Musikhochschule, Jazz-Schüler der Rheinischen Musikschule und andere interessierte Musiker. Produkte dieses Prozesses sind der Stadtgarten, die Offene Jazz Haus Schule in der Eigelsteintorburg und das Label JazzHausMusik.

»Was wir damals mit der Initiative erreichen wollten, war, die Auftrittsmöglichkeiten und Lebensbedingungen der Kölner Jazzmusiker zu verbessern«, erzählt Professor Joachim Ullrich, seit zwei Semestern Leiter des Jazz-Studienganges. »Das haben wir nicht geschafft. Jedenfalls nicht so global und politisch, wie wir das wollten.«

Situation für Musiker prekär

Die Situation ist heute prekärer als damals, da es noch mehr und immer bessere »Nachwuchs«-Musiker in Köln gibt, wie z. B. Niels Klein (Saxophon) oder Nils Tegen (Piano, Schlagzeug). Und es für eine Stadt, die wegen ihres Potenzials an Musikern gerne als Jazz-Hauptstadt bezeichnet wird, erstaunlich wenige Auftrittsmöglichkeiten gibt.

Im nicht subventionierten Stadtgarten, der aus wirtschaftlichen Gründen auch auf kommerzielle Programmschienen setzt und viele internationale Künstler verpflichtet, hat man den Kontakt zur lokalen Szene nicht abreißen lassen. Beispiele sind das monatliche Konzert des Cologne Contemporary Jazz Orchestra, das Werke Kölner Künstler zur Aufführung bringt (für den Herbst sind u. a. Kompositionen von Caroline Thon im Gespräch). Oder die Beteiligung am jazzart-Festival, welches Musikern aus dem Rheinland ein Forum bietet. Seit 1999 engagiert sich die Cologne Jazz Association für die lokale Szene. Im ehemaligen Schmuckkästchen des Stadtgartens, dem heutigen Studio 672, hat sie ihr mit der Reihe Fat Sunday ein festes Podium geschaffen. Das Loft in Ehrenfeld präsentiert regelmäßig Kölner Ensembles und seit kurzem auch die Abschlusskonzerte der Musikhochschule.

Überhaupt wollen die Musiker in der Stadt präsenter sein und in allen interessierten Läden spielen können, ohne in Konflikt mit dem Ordnungsamt zu geraten. Gitarrist Frank Wingold erinnert sich: »Mitte der neunziger Jahre gab es im Café Storch so etwas wie eine kleine Knitting Factory wie in New York. Weniger Mainstream eben. Es wurden mehr freie Sachen ausprobiert. Das war sehr spannend. Bis es Probleme mit dem Ordnungsamt gab.« Einen Silberstreif am Horizont markieren Sessions und Konzerte wie im Artheater und im Herbrand’s.

Werbekampagne geplant

Für größere Öffentlichkeit, Akzeptanz und größeren Zulauf soll eine Werbekampagne der Freien Musikszene für Live-Konzerte gleich welcher Stilistik sorgen. Die Idee dazu hatte IKJH-Vorstandsmitglied Reiner Michalke. Saxophonist Frank Sackenheim organisierte ein Treffen, bei dem erste Vorschläge zu Inhalt und Finanzierung der Kampagne entwickelt wurden. Weitere Treffen sind in Planung.

Spiel- und Stilarten

Sackenheim kuratiert im Studio 672 eine monatliche Reihe für »Newcomer«, Homegrown, die stilistisch nicht festgelegt ist. Das Ablegen von Scheuklappen, die Abkehr von traditionellem »Jazzjazz« und seinen dogmatisch sortenreinen Spielarten hin zum unbefangenen Umgang mit diversen Stilarten, Elektronika und unterschiedlichen kulturellen Einflüssen ist heute beinahe Standard. Auch für Musiker wie Christian Thomé (Schlagzeug), Céline Rudolph (Gesang) oder Matthias Mainz (Trompete) spricht Bassist André Nendza mit seinem offenen Ansatz: »Ich bevorzuge multistilistische Musik, die sich
um individuellen Ausdruck, nicht um authentisches Reproduzieren bemüht. Ich hoffe, unterschiedlichste Bilder und Emotionen mit meiner Musik zu erzeugen.«

Die Realitäten des Marktes

Auch abgesehen von schlechten Verdienstmöglichkeiten sehen sich viele Studenten nach Beendigung des Studiums unvorbereitet mit den Realitäten des Marktes konfrontiert. Technische Fragen, die die Verwertungsgesellschaft Gema, die urheberrechtliche Vertretung ausübender Künstler (GVL), die Steuer und unerlässliches Selbstmanagement betreffen, sind oft unbeantwortet.

»Es gab das Fach ›Musikmarktanalyse‹, welches durch den oft abwesenden Dieter Gorny im Stile einer Boulevardzeitung abgewickelt wurde«, fällt Nendza zu seinem Studium in Köln (1991-1997) ein. »Keines der Themen wurde praxisnah behandelt. Für mich war das das größte Manko der ansonsten sehr guten Ausbildung.« Ullrich weiß zu berichten: »Gorny hatte den Ansatz: Jazz ist eine Musik, die sowieso keiner hören will. Also ändert erst mal eure Software, dann können wir über den Verkauf der Software reden. Es ist aber möglich, so eine Musik zu verkaufen. Im Segment, in der Nische. Die ist klein, aber es ist möglich, sie sinnvoll zu besetzen. Und das müssen wir vermitteln.« Dass es möglich ist, zeigten die Erfolge des Duos Jens Thomas/Christof Lauer oder des Posaunisten Nils Wogram, die »eine hochintellektuelle, komplette Jazzmusik machen, wo 99 Prozent des ›Normalpublikums‹ schreiend weglaufen würden.«

Die Vermittlung sei schwierig, eingeladene Profis wie Festivalmacher, Rundfunkleute, Juristen, Produzenten hätten oft kein didaktisches Konzept. Andererseits: »Offensichtlich sind unsere Studenten nicht in der Lage, didaktisch schlecht aufbereitetes Material für sich umzusetzen. Auch das ist ein Problem.«

Umstellung auf Modulstudium

Im Zuge der Umstellung des Studiums auf Bachelor/Master soll vieles geändert werden. Eine Organisation der Studieninhalte in Modulen eröffnet Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung individueller Berufsbilder. Statt »brotloser Künstler« sollen Allroundmusiker ausgebildet werden, die musikalische Formate der ortsansässigen TV-Privatsender bedienen können, wenn sie es denn wollen; oder die über stärkere Einbeziehung von Studiotechnik auf die Produzentenschiene ausweichen.

Das Fach Musikmarktanalyse wird im Kooperationsstudiengang Medien-/Musikmanagement aufgehen, der von der Kunstakademie Düsseldorf, der Kunsthochschule für Medien Köln, der Musikhochschule Köln und der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf getragen wird. Bei so viel Engagement könnte Köln irgendwann doch noch eine Stadt des Jazz werden.


Locations (Auswahl)

Altenberger Hof - buergerzentrum-nippes.de
ARTheater - www.artheater.de
Herbrand’s - www.herbrands.de
Loft - www.loftkoeln.de
Stadtgarten / Studio 672 - www.stadtgarten.de
Wundertüte - www.wundertuete-online.de


CDs (Auswahl)

Agog meets Zapp - Meltdown
(Jazz in Motion Records/Challenge Records)

Lars Duppler - Palindrome Sextet
(JazzHausMusik)

André Nendza Quartet feat. Thomas Heberer - Wild Open Rooms
(Crecycle Music/leicom/jazz-network.com)

Realtime Research - out of osnabrooklyn
(rent a dog/EFA)

Underkarl - Freemix
(enja)

Nils Wogram - Root 70
(enja)