Die Bananenrepublik am Rhein

Kulturstadt ohne Haupt und Europa: Am 20. Mai scheiterte Kölns Kulturhauptstadt-Bewerbung nach einer possenhaften Abschluss-Präsentation. Analysen, Denkpause, Konsequenzen? Ende oder Anfang? Und wie kam eigentlich die Banane ins Spiel? Ein Rück- und Ausblick von Melanie Weidemüller

 

Der 20. Mai 2004 könnte gleich doppelt in die colonensischen Stadtchroniken eingehen. Kölns Himmelfahrtskommando Kulturhauptstadt Europas 2010 endet gegen 17 Uhr mit dem von Minister Vesper live vor WDR-Kameras verkündeten Jury-Spruch: Cologne: 0 points, fünf Jury-Punkte gehen einstimmig nach Essen. Bis in den Spiegel schaffte es die abendliche Veranstaltung »Miami Singapur« von Harald Schmidt im Museum Ludwig, bei der der kunstkundige Kabarettist die geschichtsträchtigen Ereignisse des Nachmittags kommentierte. Zwei Stunden nach der Niederlage prophezeite er dem Sinne nach korrekt und in authentischem Brauhaus-Sound bereits die Kernaussage der schrammaesken Bilanz, die am nächsten Tag als offizielle Presseerklärung in die Welt ging: »Köln bleibt die Kulturhauptstadt der Herzen!«

Optimismus ist nur ein Mangel an Information

Chapeau. Der Mann kennt seine Stadt, sein Stadtoberhaupt und macht sich keine Illusionen. Schramma bleibt stilistisch zurück, weicht inhaltlich jedoch nur unwesentlich ab – Überschrift: »Köln hat trotzdem nicht verloren«, abschließendes Fazit: »Köln wird zwar nicht Kulturhauptstadt Europas, aber immer eine Hauptstadt der Kultur sein.« Chefpromoter Ohnesorg hat auch nichts begriffen und formuliert besinnungslos: »Die Jury hat offenbar dem Werden den Vorzug vor dem Sein gegeben. Zugleich hat sie bestätigt, dass Köln eine große Kulturstadt ist. Und so ist es ja auch.« Amen. Dann doch lieber Harald Schmidt. Dem zahlreichen Publikum verriet er einen seiner Glaubenssätze, der von dem Berliner Heiner Müller stammt, aber erst in Köln seine tiefe Wahrheit entfaltet: »Optimismus ist nur ein Mangel an Information«. Jetzt wissen wir auch, warum im letzten Jahr die Kulturhauptstadteuphorie proportional in dem Maße zunahm, in dem die Informationen undurchsichtiger oder frisiert wurden.

Nachhaltigkeit im Bananenformat

Damit sich um den 20. Mai keine Legenden bilden, muss an dieser Stelle richtig gestellt werden: Mit der Präsentation für die NRW-Jury am Vortag hatte der Kabarettist nichts, wirklich nichts zu tun. Das war echt. Um zu begreifen, in welcher Malaise diese Stadt wirklich steckt, muss man diesen kulturellen Höhepunkt Revue passieren lassen. Fünf Kulturexperten und Minister Vesper hoffen auf eine Präsentation, die von Qualität, Aktualität und konzeptionellem Denken zeugt. Die Tour beginnt mit einem von Kasper König angeregten Atelierbesuch beim Künstlerpaar Blume in Ehrenfeld, danach mutiert sie zum Peinlichkeitsparcours: Intelligenten, gut informierten Menschen mit ausgewiesenem Kulturwissen zeigt man Rhein und Dom, sie werden ins Schiff »Stadt Köln« verfrachtet, mit der Bimmelbahn zum Schokomuseum geschickt und müssen als Krönung ein Werk des für die aktuelle Kunst völlig irrelevanten Thomas »Bananensprayer« Baumgärtel entgegen nehmen. Als sei das nicht genug Elend, bringt der Kölner Stadt-Anzeiger dazu am nächsten Tag die passende Kölle-Alaaf-Fotostrecke (»Besser geht es nicht«) und versorgt uns mit allen notwendigen Details, etwa um das Maß an Verzweiflung zu begreifen, das hinter einer völlig absurden Handlung steckt: Während die Jury am Vormittag zunächst die Essener Präsentation besucht, funkt der anwesende CDU-Kulturpolitiker Richard Blömer per Handy nach Köln: »Demonstriert Nachhaltigkeit, darauf achten die ganz besonders!« Dass diese Nachricht Köln etwa ein Jahr zu spät erreicht, erschüttert zumindest den Leser nachhaltig, und setzt finsterste Phantasien in Gang. Vermutlich brach die Verbindung gerade ab, als Schramma zurückfragt: »Äh, Richard, Du meinst den Dom?« Und Ohnesorg ohne Sorge und total Banane: »Nee Fritz, wir brauchen ein Geschenk! Das die mitnehmen können und das nicht so schnell kaputt geht, ich hab da so eine Idee - ...«.

Es gibt doch noch Gerechtigkeit

Vermutlich gehen die Wirklichkeit und ihre Parodie an keinem anderen Ort der Welt so nahtlos und verwechselbar ineinander über wie in Köln. Wenn aber unfreiwillige Kabarettisten sich der Kultur oder dem was sie dafür halten annehmen, muss man nach dieser Selbstentblößung sagen: Es war ein gerechtes Urteil. Köln hat einen Gerhard Richter, einen Sigmar Polke, eine Rosemarie Trockel, ambitionierte freie Kunsträume, Theater- und Musikprojekte, einen Kunstverein mit einem europäischen (!), überregionalen Projekt Migration, ein jährliches modernes Architekturforum, eines der avanciertesten Literaturhäuser Deutschlands, eine Kunsthochschule für Medien – und am Ende bleiben Dom, Rhein und Banane. Und das war kein Missgeschick. Es war eine Fortsetzung, ein Symptom.
Man hörte hinterher, wie das Ganze zustande kam. Es gab Vorschläge von Künstlern, Kulturpolitikern und Kulturvermittlern mit Sachverstand, sie wurden ignoriert oder rausgedrängt. Beratungsresistenz, Chaos, Kompetenzgerangel, schließlich setzen sich Schramma und Ohnesorg im Handstreich gegen alle besseren Ideen durch und vollstrecken. Kurz: Es ist einfach nur so gelaufen wie immer. Nach jener Methode, die den Bewerbungsprozess von Anfang an auf kein gutes Gleis setzte, der PR-Kampagne und Bewerbungsschrift diesen konservativ-spießigen Anstrich verpasste und deren mangelhafte politische Kultur viele, darunter fatalerweise viele der Kulturschaffenden, davon abhielt, sich zu identifizieren.

Durchatmen, analysieren, arbeiten

Diese Methode zu ändern, wäre in Köln das zukunfsträchtigste Projekt. Jetzt wäre Zeit, nüchtern die Erfahrungen und Erkenntnisse auszuwerten und sich den eigentlichen Aufgaben zu widmen – keine Jury ist mit täglichem Selbstlob zu bezirzen, kein hysterischer Aktionismus im Hinblick auf den Bewerbungstermin von Nöten. Das Mehr an Aufmerksamkeit für die Kultur, an Wissen, die stärkere Verknüpfung sind positive Ergebnisse aus dem Bewerbunsprozess, Niederlage und Peinlichkeiten Grund zur Kurskorrektur. Das Kulturdezernat ist nach dem Tod von Marie Hüllenkremer am 16. Mai neu zu besetzen, und schon das Findungsverfahren könnte ein positives Signal sein. Also keine Inthronisierung wie bei Ohnesorg, kein Ergebnis parteipolitischer Taktik im Kommunalwahlkampf. Während die Regierungskoalition eine Neubesetzung und Erfolgsmeldung vor den Kommunalwahlen im September wünscht, will die SPD mit einen Dringlichkeitsantrag die Einsetzung einer Findungskomission erreichen und Vertagung bis Ende des Jahres. Wahr ist in jedem Fall, dass sich zu diesem Zeitpunkt kaum ein geeigneter Kandidat, der die Situation in Köln kennt – und das tut jeder in Frage kommende – auf ein weiteres Himmelfahrtskommmmando einlassen wird: ohne feste vertragliche Zusicherungen und klare Vereinbarungen über Kompetenzen und Finanzmittel, die langfristig, auch nach dem September, von einer Mehrheit getragen werden.

In aller Freundschaft ...

Marie Hüllenkremer machte schlechte Erfahrungen. Zynisch klang es manchen, als der Oberbürgermeister in seiner Trauerrede sagte, man habe sich anfangs ein bisschen »zusammenraufen« müssen, »aber unser Verhältnis wurde immer freundschaftlicher«. Es war im Frühjahr 2003, dass er sie öffentlich demontierte und ihr Unfähigkeit oder Arbeitsverweigerung vorwarf, weil sie die überproportionalen Etatstreichungen in ihrem Dezernat so nicht umsetzen wollte. Es bedarf des politischen Willens, das Kulturdezernat wieder zu stärken. Schrammas willkürliche Interventionen im letzten Jahr, vom Rat der Stadt kaum gebremst, wie es dessen Aufgabe wäre, sollten einer neuen Leitung erspart bleiben.

»Behindern sie das Flugzeug bitte nicht beim Fliegen!«

Die Künstler und Kulturschaffenden erwarten in erster Linie, dass die Beratungsresistenz ein Ende hat. Und tatsächlich kommen erste Rauchzeichen aus der Kulturverwaltung, gibt es eine neue Gesprächsbereitschaft, nahm man etwa wieder Kontakt zur Initiative »Loch e.V.« auf, die an der Gründung einer »Europäischen Kunsthalle Köln« arbeitet (s. S. 76), vollziehen einige Köpfe die Wende von der Selbstgenügsam- zur Ernshaftigkeit. Kulturschaffende wissen meist besser als Politik und Verwaltung, wo und wie Kompentenzen konsultiert, vernetzt und gebündelt werden können. Es wäre eine Menge erreicht, wenn der neue Dezernent kompetent wäre, kommunikationsfähig und verspieltes Vertrauen zurückgewinnen würde. Manos Tsangaris, Kölner Künstler und Komponist, Begleiter der Jurytour: »Ratschlag an Piloten und solche, die es werden wollen: Behindern sie das Flugzeug bitte nicht beim Fliegen!«