»Ich bin ja nicht jeden Tag gleich drauf« – Claudia Desgranges in ihrem Atelier. Foto: Manfred Wegener/Stadtrevue

Von der Farbe zur Farbe

Die Bilder von Claudia Desgranges sind derzeit auf Museumstour durch NRW, nächste Station: Siegburg. Anne Quirin besuchte die Kölner Künstlerin in ihrem Atelier in Nippes

Was Claudia Desgranges malt, muss man sehen. Für die Spuren, die sie mit Farbe und Pinsel hinterlässt, hält unser Wortschatz keine passenden Begriffe bereit und die Aluminiumplatten, auf denen sie malt, verändern je nach Licht und Position die Wirkung. Ein Dilemma für jeden Autor, der das Werk der 1953 in Frankfurt geborenen Künstlerin vorstellen will.

 

Sagen lässt sich dennoch eine Menge. Zum Beispiel, dass der Ausgangspunkt immer die Farbe ist. Während ihrer Ausbildung an der Akademie in Münster spielte für Desgranges auch die gegenständliche Form noch eine Rolle, »doch dann habe ich mich irgendwann nur noch auf die Farben konzentriert.« Anfangs waren es zwei Farben, die sie zueinander in Dialog setzte. Die Untergrundfarbe bedeckte die Leinwand völlig, eine weitere Farbe wurde partiell darauf gesetzt. In den annähernd quadratischen, nach ihren Farben benannten Bildern spielte die Künstlerin mit den jeweiligen Wechselwirkungen. Wer jetzt Josef Albers’ Serie »Homage to the Square« im Kopf hat, liegt nur teilweise richtig. Zwar handelt es sich auch dabei um abstrakte Malerei und quadratische Bilder, die sich mit der Wirkung unterschiedlicher Farbkombinationen befassen, doch sind die Werke von Desgranges weit weniger puristisch und analytisch.

 

Die aufgesetzten Farbflecken, Wolken oder Schlieren sind dann doch den Bildern von Mark Rothko näher, der für Desgranges eine Zeit lang Vorbild war. Wie bei ihm scheinen die Farbkompositionen über den Rand hinaus fortsetzbar zu sein und fordern den Betrachter auf eine stille, schweigsame Weise heraus. Spätestens die ab 1999 entstandenen Werke von Desgranges entfernen sich jedoch von der meditativen Farbfeldmalerei Rothkos, und das Bestreben der Kunstgeschichte, stets Parallelen aufzeigen zu wollen, um Neuem Herr zu werden, wird zum fragwürdigen Unterfangen.

 

Claudia Desgranges Farbszenarien entstehen in ihrem geräumigen Atelier in den Clouth-Werken in Nippes. Sie schätzt die Nachbarschaft zu den rund 60 weiteren auf dem Gelände arbeitenden Kollegen; die Zukunft des Künstlerdorfes ist allerdings ungewiss – durch Abriss oder Verkauf der als Ateliers genutzten Hallen droht nach endgültiger Schliessung der Ateliers an der Eupener Straße einem weiteren Kölner Atelierzentrum das Aus. Noch ist Desgranges’ Atelier eine wohlgeordnete Malerwerkstatt. Alles Sperrige hat sie im Vorraum gelagert, so dass im eigentlichen Atelier Platz für das Wesentliche ist – große Arbeitstische, ein Regal mit nach Farben sortierten Pigmentdosen, genügend freie Fläche, um z.T. ausladende Bildträger auf dem Boden auslegen zu können.

 

Seit 1999 hat Desgranges die Leinwand als Malgrund gegen dünne Aluminiumplatten eingetauscht. Was sie daran fasziniert, ist die absolut plane Oberfläche ohne jede Struktur, und dass das Metall anders als Stoff die Farbe nicht aufsaugt; Bildträger und Farbe bleiben autonome Bestandteile. So wie die Künstlerin die puristische Glätte des Metalls im Werkprozess mit Leben füllt, so wird auch die Farbe erst unter ihren Händen zum gestalterischen Mittel – denn die Genese beginnt bereits mit Schüssel und Rührgerät. Die Malerin rührt ihre Farben – selfmade nicht readymade – selbst an. Bevor Desgranges anfing, mit Acryl auf Aluminium zu malen, hat sie auch die Temperafarben selbst gemixt. Mit Ei als Bindemittel, so wie es jahrhundertelang bei den Malern üblich war. Inzwischen verwendet sie gebrauchsfertiges Bindemittel, das sie je nach Absicht und Stimmung mit Farbpigmenten versetzt. Die fertige Farbe trägt sie dann flächen- und schichtweise auf, wobei an manchen Stellen der Metallgrund durchschimmert. Schliesslich verwischt sie mit einem ellbogenbreiten Pinsel die noch nicht getrocknete Farbe in horizontaler Richtung. Damit fehlt den einzelnen Farbflächen jeder Umriss, sie durchdringen sich, mischen sich, scheinen miteinander zu ringen – und vereiteln damit eine rein deskriptive Wahrnehmung der Arbeiten. Bisweilen entsteht geradezu der Eindruck einer Farbexplosion.

 

Bilder als Farbszenarien, am ehesten vergleichbar mit dem Bild einer – im Auto oder Zug – vorbeirauschenden Landschaft. Tempo, Schnelligkeit, Rhythmus sind schließlich auch die Metaphern, die sich im Titel von Desgranges’ aktueller Serie »Zeitstreifen« verbergen. Die Bilder unterliegen der Dauer des Trocknungsprozesses der Farbe, leben von der Dauer der Betrachtung an ihrem Ausstellungsort und vermitteln ein Gefühl der Unendlichkeit, wo die Umrisse der Aluplatten nicht wirklich als Grenzen wahrgenommen werden. In dem reflektierenden Untergrund zeichnet sich das Licht der jeweiligen Tageszeit ab. Der Titel ist so gehalten, dass wie bei den Bildern mehrere Deutungen möglich sind, sie vermitteln sich eher über subjektive Empfindungen und Stimmungen, die oft auch Ausgangspunkt der Entstehung sind. »Ich bin ja nicht jeden Tag gleich drauf. Mal wird die Farbe energischer draufgestrichen, mal etwas ruhiger und das zeigt sich natürlich auch an den Bildern«.

 

Eine weitere Maxime von Desgranges ist, ihre Ausstellungen immer auf den Raum bezogen zu gestalten. Sie schaut sich die Orte an, lässt sich von den jeweiligen Eigenheiten inspirieren, konzipiert daraufhin neue Arbeiten oder hängt bereits Fertiges in neuer Ordnung. Die Bezüge springen nicht immer gleich ins Auge und erfordern Aufmerksamkeit. So hat sie z.B. in einem Treppenhaus ihre Bilder in eine schräg abfallende Reihe gehängt, die mit der Schräge der Treppe korrespondiert. Auch die zur Zeit durch vier Museen in NRW tourende Ausstellung »Zeitstreifen« wird folglich jedes Mal in neuer Konstellation zu sehen sein. Claudia Desgranges spricht in diesem Zusammenhang von »Malereiinstallationen« – so fließend wie die Farben ineinander übergehen, tun es auch die Gattungen.

 

Eine besondere Gewohnheit der Wahl-Kölnerin ist es, in Tagebüchern die »Farben des Tages« festzuhalten, also diejenigen, mit denen sie am Tag am meisten gearbeitet hat. Schon nach kurzem Blättern fällt auf, dass dies wenig mit akribischer Dokumentation zu tun hat: Die »Notizen« sehen eher wie Miniaturen der eigentlichen Werke aus, so dass Desgranges überlegt, auch die Bücher demnächst in ihre Präsentation zu integrieren.

Das Ausstellen, das Desgranges während der aktuellen Museumstour an verschiedenen Orten neu erproben kann, hat bei ihren Bildern einen besonderen Reiz. Jede Arbeit wird nach der eigentlichen Anfertigung von der räumlichen Installation und von der Momenthaftigkeit des Lichts determiniert. Diese sich multiplizierenden Faktoren führen mitunter auch bei der Künstlerin zu Überraschungen. »Manchmal bin ich selber ganz irritiert und denke, die Farbe war doch gar nicht drauf.«

 


»Zeitstreifen«
20.7.–4.9., Stadtmuseum Siegburg, Markt 46, Di, Mi, Fr, Sa 10-17, Do 10-20, So 10-18 Uhr.
Weitere Stationen: 9.9.–17.10., Kunstmuseum Alte Post in Mülheim a.d. Ruhr, Viktoriaplatz 1, Di, Mi, Fr 11-17, Do 11-21, Sa + So 10-17 Uhr



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