Entertainment für einsfuffzich

c/o pop wird in der nächsten Zeit große Aufmerksamkeit zuteil werden. Abseits davon hat sich in Köln aber längst eine neue Szene etabliert, die selbstorganisierte Konzerte auf hohem Niveau präsentiert. Rolf Witteler hat sich in den Untergrund begeben

Es geschah vor, sagen wir, zwei Jahren. In einer stillgelegten Stadtteilsbibliothek irgendwo in Köln steht ein Fenster auf. Ein junger Mann bemerkt dies, ärgert sich darüber, dass öffentlicher Raum unnütz herumsteht, steigt durch das Fenster ein und veranstaltet wenige Tage später dort ein Punk-Konzert. Wie durch ein Wunder geht die Sache gut, weder alarmieren Nachbarn die Polizei noch kriegt das Ordnungsamt etwas mit. Der freundliche Unbekannte, der diese haarsträubende Aktion durchzog, wusste um das Risiko und würde es heute bestimmt nicht mehr eingehen.
Seitdem ist Einiges in Bewegung gekommen. Weniger riskant und mitunter sogar ganz legal. Unbekannte Bands, aber auch etabliertere Namen in der Stadt, klagten und klagen zum Teil heute noch über einen riesigen Mangel an Auftrittsmöglichkeiten, der das Zustandekommen einer Live-Kultur jenseits der etablierten Clubs schwierig macht. Die Situation hat sich um einiges verbessert, aber Bedarf und Angebot klaffen immer noch weit auseinander.
Für eine Band, die erst am Anfang steht, gestaltet sich die Welt so einfach wie grausam: Wer nicht auftritt, den kennt man nicht; wen man nicht kennt, der wird nicht gebucht. Es gab bisher nicht viele Wege, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und wenigstens für ein wenig lokalen Ruhm zu sorgen. Eine erprobte Methode lässt sich auf die einfache Formel »pay to play« reduzieren. Veranstalter lassen sich von der Band ein Kartenkontingent abkaufen oder nehmen Miete für die Anlage. In Köln gibt es Clubs wie das MTC oder das Underground, die diese in Bandkreisen nicht sonderlich beliebte Methode ab und an anwenden. Jan van Wegen vom Gebäude 9, der bislang nicht auf derartige Praktiken zurückgegriffen hat, will das nicht verteufeln: »Es klingt zunächst ungerecht, aber man muss die Veranstalter auch verstehen. Die haben allein schon Kosten, wenn sie ihren Laden aufmachen. Auf der einen Seite kann man durch ›pay to play‹ einen Grundumsatz garantieren und umgekehrt haben dadurch unbekannte Bands so eine durchaus interessante Möglichkeit, sich an einem Ort in attraktiver Lage zu präsentieren. Junge Bands neigen oft dazu, die Produktionskosten für Konzerte zu unterschätzen und fühlen sich dann ungerechtfertigter Weise abgezockt.«
Als Ausweg schlägt van Wegen immer wieder Bands vor sich zusammenzutun. Ab und zu klappt das auch wie beim Konzert von Lume, Be-League und Keagan, das im letzten Januar stattfand. Die Bandmitglieder haben sich um alles selbst kümmern müssen und also auch die Promotion erledigt. Das Experiment ging auf: »Die haben da auf einmal vor 300 Leuten gespielt«, resümiert van Wegen. »So viele Leute hätten die Bands allein nie zusammenbekommen.« Und wer würde nicht gern einen Gig im Gebäude 9 vorweisen? Anfragen lokaler Bands, hier als Support einer internationalen Größe auftreten zu können, gibt es zu viele, als dass jedem Wunsch nachgekommen werden könnte.
Eine der interessantesten Alternativen gibt es auf dem gleichen Hof gegenüber im Kunstwerk. Seit Anfang 2003 läuft hier eine Veranstaltungsreihe, die sich speziell unbekannteren oder nur in Avantgarde-Kreisen bekannten Bands widmet. Das Konzept ist auf seine einfache Art geradezu spektakulär. Eine lokale und eine Band von außerhalb teilen sich einen Abend, es gibt eine kleine Gage und der Eintritt ist umsonst. Das ist nicht nur »Purer Luxus«, so heißt auch die Konzertreihe. »Unsere ehemalige Gruppe ›Und der ganze Rest‹ ist mal nach Berlin von einer befreundeten Band in den Dunkerclub eingeladen worden, die Umsonst-Konzerte organisierten. Da entstand die Idee, so etwas auch hier zu veranstalten«, erzählt Frank Christian Stoffel, einer der zehn Leute, die die Reihe ehrenamtlich auf die Beine stellen. Stoffel arbeitet für den »Kunstwerk e.V. – Atelierhaus«, seit längerem bekannt als Veranstaltungsort für Techno-Partys wie den Elektrobunker. Dass man den Ort auch für eigene Zwecke nutzt, hat sich als äußerst praktisch erwiesen: »Am Anfang dachten wir: Wenn die Bands so 60 Leute mitbringen und von denen jeder vier Bier trinkt, dann geht das Konzept auf. Tatsächlich ist das aber viel erfolgreicher. Wir haben zur Zeit einen Schnitt von über 100 Zuschauern, bei bekannteren Namen wie Saalschutz oder Delbo waren auch schon mal 300 da. Inzwischen haben wir uns sogar einen kleinen Überschuss erwirtschaftet, den wir in eine Compilation stecken wollen.« Das Konzept ist schlüssig und hat sich mittlerweile herumgesprochen. Man kann auf Qualität achten: »Wir müssen inzwischen sogar Bands absagen, die uns eigentlich gefallen, weil wir schon bessere gebucht haben.«
Dass sich sogar renommiertere Acts auf diese Bedingungen einlassen, erklärt sich Stoffel mit der familiären Atmosphäre und damit, dass hier Leute am Werk sind, die nicht nur jammern, sondern selbst was auf die Beine stellen. Eine kleine, aber immerhin garantierte Mindestgage für auswärtige Acts und die Heimbands sind allemal attraktiver als »pay to play«. Demnächst startet im Kunstwerk unter dem Namen »Rock-A-Roller« eine neue Reihe, die sich härteren Stilen wie Nu-Metal oder Crossover widmet.
Im Kölner Süden sorgt derweil jemand, der sich Stefan Hu nennt, mit einer Party-Reihe samt Live-Acts für Furore. Durch Zufall ist er an einen Raum gekommen, der sich als ideal für Punk- und Elektro-Veranstaltungen erwiesen hat. Besonders die Gitarren-Konzerte kommen so gut an, dass inzwischen schon Publikum aus dem Ruhrgebiet anreist, um Bands wie Turbostart, Helter Skelter oder Dada Inn zu sehen. Alles ohne offizielle Promotion, da nicht mit dem Segen des Ordnungsamt versehen. Die Kommunikation läuft über E-Mail-Verteiler und Handzettel. Der Veranstalter selbst betreibt dies als »Ausgleichssport« für seinen Broterwerb. Er ist fahrender Gastronom und bewirtschaftet offizielle Open-Air-Events wie demnächst ein Konzert der
Scorpions oder zuletzt bei den Rolling Stones: »Wenn ich sehe, dass solche Gigs 98 Euro Eintritt kosten und mitkriege, was die Leute dafür geboten bekommen, kommt mir die Galle hoch. Bei mir bekommt man gutes Entertainment für einsfuffzich.«
Richtig profitabel war von elf Veranstaltungen erst eine einzige, was Stefan Hu nicht weiter stört. Wenn er wollte, könnte er inzwischen jede Woche ein Konzert veranstalten, so häufen sich die Anfragen von Bands, die gerne bei ihm auftreten würden. Hu macht im Sommer erst mal Pause, weil die Open-Air-Saison dann Hochkonjunktur hat und er Geld verdienen muss. Dass sein Publikum in der Zwischenzeit nicht an Langeweile stirbt, dafür sorgen Freunde, die als K-Town Mosh Crew eine Reihe von Punk-Konzerten aufgezogen haben, die – egal ob sie auf dem Bauwagenplatz oder in einem Zollstocker Hinterhof stattfinden – jetzt schon legendär sind und sich über Publikumszuspruch nicht beklagen können. Ganz im Gegenteil, »die Hütte ist immer voll«, wie Hu erzählt.
Die Anzahl an – legalen – Vereinslokalen wie dem Kunstwerk ist begrenzt, und die Attraktivität der Bürgerzentren ist eher gering. Die meisten Veranstaltungen im Billig-Sektor sind nicht konzessioniert und ständig durch das Ordnungsamt bedroht. Dass es das Publikum dafür gibt, kann nicht bestritten werden. Gerockt wird allerorten und die Preise purzeln. Selbst Veranstalter von offiziellen, etablierten Clubs wie van Wegen begrüßen diese Entwicklung und haben keine Angst vor Konkurrenz: »Sobald Acts ein gewisses Niveau erreichen, kann man Professionalität nicht mehr mit Einsatz und Engagement ausgleichen. Wir bieten technische Voraussetzungen und Management-Erfahrung, die Bands ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad irgendwann brauchen. Es gab zwar auch international bekannte Gruppen wie Make-Up oder ganz früher auch At The Drive-In, die grundsätzlich nur in unkommerziellen Clubs aufgetreten sind – aber das sind Ausnahmen.« Ralf Bongard vom Subway, der zuletzt auch immer mehr auf Live-Acts in seinem eher von DJ-Culture dominierten Club setzt, pflichtet ihm bei: »Grundsätzlich kann man die Preisspirale nicht unendlich nach unten drehen. Qualität hat seinen Preis – und das Publikum weiß das auch.«
Schule machen könnte eher das Modell Blue Shell. Dank einer Live-Konzession, spielen für den alteingessenen Club an der Luxemburger Straße kleine Bands ohne Angst vor dem Ordnungsamt unter vernünftigen Bedingungen und zu günstigen Eintrittspreisen. Die meisten Acts sind aus der Region und bringen ihr Publikum mit. Für den Kneipen-Chef Rolf Kistenich lohnt sich das Geschäft mit der lokalen Prominenz: »Auf die Art ziehe ich ein ganz neues Publikum, das ich auf Dauer auch an den Laden binden kann.« Ein Geschäft, das für beide Seiten attraktiv ist und auch für größere Läden wie den benachbarten Prime Club oder eben das Gebäude 9 in Deutz interessant ist. Wer in einem kleineren Club erfolgreich spielt, steht demnächst auch in einem etablierten Laden auf der Bühne. Jan van Wegen fordert deswegen: »Die Stadt sollte viel großzügiger mit der Vergabe von Konzessionen umgehen. Es ist doch schade, dass nur das Blue Shell die Lücke zwischen der Amateur- und Profi-Ebene schließt. Ich weiß von einer Menge Kneipen, die gerne ab und an mal ein Konzert veranstalten würden, das aber wegen allzu kleinlicher Vorgaben nicht durchkriegen. Selbst der Ausweg über Sondergenehmigungen funktioniert eigentlich nicht, denn die werden kaum erteilt. Stattdessen müssen viele auf illegale Wege ausweichen. Was das für einen Stress bedeutet, kann sich ja wohl jeder ausmalen.«
Dass van Wegens Forderung Gehör findet, ist gar nicht mal so unwahrscheinlich. Seit ein paar Monaten gibt es einen runden Tisch, einen Zusammenschluss so verschiedener Clubs wie Subway, Gebäude 9, Prime Club, Blue Note, Kantine und Stadtgarten, die mit gemeinsamer Stimme ihre Anliegen gegenüber dem Ordnungsamt vortragen und dort nicht nur auf taube Ohren stoßen. Dass in den letzten Monaten so viel in Kölns Konzert Szene in Bewegung gekommen ist, liegt allerdings an dem zufälligen Zusammentreffen vieler kleiner privater Initiativen, einem chaotischem Wildwuchs der Billig- und Umsonst-Veranstaltungen, der derweil größtenteils auf halb- bis illegaler Ebene im Untergrund weiter wuchert. In stillgelegte Bibliotheken muss allerdings nicht mehr eingestiegen werden.


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