Ohne Narrenkappe

Coming-out-Drama: »Sommersturm« von Marco Kreuzpaintner

Sommersturm ist ein weicher Film. Weiches Licht, weiche Landschaften, weiche Kamerafahrten. Hier geht es um ein sensibles Thema, das einfühlsam transportiert werden soll: die Findung der sexuellen Identität.
Schwule tragen im deutschen Mainstream-Kino für gewöhnlich quasi die Narrenkappe. Schwul sein heißt tuntig sein: den kleinen Finger abspreizen und nasal-affektiert sprechen. Schwule leben in dem Irrglauben, alle anderen Männer wären auch schwul. Weswegen sie sich regelmäßig chancenlos in gut aussehende Hetero-Kerle verlieben.
Sommersturm bedient sich im Prinzip einer ähnlichen Ausgangskonstellation, verzichtet aber auf die Lacher. Stattdessen erzählt der junge Regisseur Marco Kreuzpaintner glaubhaft die Geschichte eines jugendlichen Coming-outs: Tobi ist heimlich in seinen besten Freund Achim verliebt. Doch Achim betrachtet das gemeinsame Onanieren lediglich als pubertäre Triebabfuhr. Er ist mit Sandra zusammen und fiebert dem ersten Beischlaf entgegen. Eigentlich hat Tobi auch eine Freundin: Ankes Annäherungsversuche lässt er aber immer wieder abblitzen. Auf einem gemeinsamen Rudercamp spitzt sich die Situation zu.
Tobi verzehrt sich nach Achim. Sandra verzehrt sich nach Tobi. Für zusätzliche Gefühlswallungen sorgt das schwule Ruderteam »Queerschläger«. Die selbstbewussten Boys werden von einigen der Hetero-Jungs als handfeste Provokation empfunden. Tobi hingegen fühlt sich magisch zu ihnen hingezogen.

Akt der Befreiung

Die größte Stärke von Sommersturm liegt in der Darstellung körperlicher Nähe. Auf unverklemmte, unpeinliche Weise wird Tobis Konflikt nicht nur verbalisiert, sondern auch visualisiert: Als der sich schließlich von einem der »Queerschläger« auf dem Floß verführen lässt, wird nach dem ersten Kuss nicht abgeblendet. Gemeinsam mit Tobi empfindet man das glaubwürdig inszenierte Liebesspiel als begehrenswerten Akt der Befreiung. Auch als heterosexueller Zuschauer.
Auch Kreuzpaintner spielt mit den schwulen Stereotypen. Allerdings auf eine reflektierte Weise. An einer Stelle beschwert sich ein Junge aus dem schwulen Ruder-Team über den Namen seiner Mannschaft: »Warum müssen wir eigentlich jedes blöde Klischee bedienen?«
Sommersturm mag den Hauch des »pädagogisch Wertvollen« umwehen und vielleicht hätte ein bisschen weniger Nettigkeit gut getan. Aber in Zeiten tumber, homophober Deutsch-Rapper kommt der Film gerade für die jüngere Zielgruppe genau richtig.

Sommersturm. D 04 R: Marco Kreuzpaintner, D: Robert Stadlober, Kostja Ullmann, Alicia Bachleda-Lurus, 98 Min. Start: 2.9.

Wir verlosen drei Soundtracks zum Film. E-Mail bis 20.9. an film@stadtrevue.de. Stichwort: »pädagogisch wertvoll«