Notizen aus der Provinz

Thomas Goebel und Bernd Wilberg blicken zurück auf die letzte Ratsperiode – und stellen sich die Frage, warum in der Kölner Kommunalpolitik so viel schief läuft.

Am Ende waren alle froh, dass es vorbei war. Am 20. Juli stand die letzte Sitzung des Kölner Stadtrats vor den Kommunalwahlen am 26. September unter dem Motto: Das kriegen wir jetzt auch noch irgendwie hin. Nur wenige Tage zuvor hatte die Kölner CDU ihren eigenen Kandidaten für das Amt des Kulturdezernenten, Christoph Nix, wieder abgesägt. Die Folgen: Köln verlor noch etwas mehr seines ohnehin schon ramponierten Ansehens als Kulturstadt, die CDU verlor ihren Fraktionsvorsitzenden Karl Jürgen Klipper, der in Folge des Skandals zurücktrat, und die Grünen verloren ein weiteres Stück ihres Glaubens daran, dass die Anfang 2003 begonnene schwarz-grüne Zusammenarbeit im Rathaus tatsächlich eine gute Idee war. So endete eine Ratsperiode, die im Rückblick wie ein Beweis wirkt für Murphys Gesetz: Was schief gehen kann, das geht auch schief.
Anfang 2003 war die Stimmung noch ganz anders. Nachdem die CDU/FDP-Zusammenarbeit im Rat gescheitert war, herrschte plötzlich Aufbruchseuphorie. Gleich zweimal war zuvor der Plan missglückt, die Stadtfinanzen durch den Verkauf der städtischen Anteile an den Wohnungsgesellschaften GAG und Grubo aufzupäppeln. Die Opposition aus SPD, Grünen und PDS hatte in einer wüsten Redeschlacht anscheinend erfolgreich an das »soziale Gewissen« der CDU appelliert. In geheimer Abstimmung wurde CDU-Fraktionschef Rolf Bietmann von den eigenen Leuten hängen gelassen, GAG und Grubo blieben städtisch. Bis heute ist die CDU ratlos: Woher kam der Sinneswandel in den eigenen Reihen? Hatten sich einige CDU-Ratsmitglieder einfach vertan? Oder war das Ergebnis eine stumme Revolte gegen Bietmann, dessen Führungsstil hinter vorgehaltener Hand als arrogant kritisiert wurde?

Schwarz-grünes Experiment

Grünen-Fraktionschefin Barbara Moritz und ihr SPD-Amtskollege Martin Börschel konnten jedenfalls ihren Erfolg kaum fassen. Jetzt war doch noch alles gut gegangen. Doch das rot-grüne Glück währte nicht lange. Polit-Profi Bietmann kündigte gemeinsam mit der Grünen-Chefin ein schwarz-grünes Experiment für Köln an. Börschel, kurzfristig mit Moritz das Oppositions-Traumpaar, im Wechselbad der Gefühle: Die SPD-Fraktion witterte Verrat, dabei war Rot-Grün noch nicht mal rechnerisch möglich. Dann ging alles recht schnell: Anfang Februar letzten Jahres stand die Koalitionsvereinbarung – schon überlegten Politiker von CDU und Grünen bundesweit, ob das Modell auch in NRW oder gar im Bund tauge. Noch in den nächsten Ratssitzungen gab es Versprecher bei den Grünen: »Rot-Grün, äh, Schwarz-Grün...«
Die Grünen prophezeiten, Köln bekäme jetzt ein »sozialeres Gesicht«. Bei der Flüchtlingspolitik ist die Unterbringung in Containerlagern und auf Schiffen inzwischen abgeschafft worden. »Die Abschreckungspolitik der Stadt wurde deutlich reduziert«, sagt Renate Graffmann vom Rom e.V., und Thomas Münch vom Kölner Arbeitslosenzentrum ist zufrieden, »dass im sozialen Bereich nach vielen Protesten sehr deutlich begriffen wurde, dass nachgebessert werden musste«.

Schmerzhafte Einschnitte

Doch zunächst hieß es nur: sparen. Nach dem verhinderten GAG/Grubo-Verkauf musste ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) aufgestellt werden, um die Stadtfinanzen in Ordnung zu bringen. Die Einschnitte im sozialen und kulturellen Bereich würden »sehr schmerzhaft«, warnten beide Fraktionen. Ständig sickerten rabiate Kürzungsvorschläge der Verwaltung durch, linke Gruppen kündigten »einen heißen Herbst« an, die damalige Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer geriet mit OB Schramma aneinander, weil sie keine Einsparungsvorschläge machen wollte. Das Horrorszenario war im Nachhinein der ideale Hintergrund, vor dem das HSK schließlich recht erträglich erschien – alles schien dann doch nicht so schlimm.
Das HSK gilt als die größte Kraftanstrengung von Schwarz-Grün. Barbara Moritz lobte – vielleicht einmal zu oft, um glaubhaft zu sein – die »gute Zusammenarbeit« mit Rolf Bietmann. Wenige Monate zuvor hatten sie sich noch gegenseitig Inkompetenz vorgeworfen. So geht Politik. Die Kölner Grünen haben verstanden – und regieren mit.
Doch nach dem aktuellen Debakel um einen neuen Kulturdezernenten und dem Rücktritt des glücklosen Bietmann-Nachfolgers Karl Jürgen Klipper als CDU-Fraktionschef ist eine Neuauflage von Schwarz-Grün fraglich geworden. Die Grünen sind genervt von den internen Streitereien ihres Partners; die Entscheidung für einen neuen Fraktionschef hat die CDU aus taktischen Gründen in die neue Ratsperiode verlegt. Der Erste Bürgermeister Josef Müller macht den Job zurzeit nur, weil sonst keiner Lust hat. »Quasi-Spitzenkandidat«, so Müller, aber ist jetzt OB Schramma – der darf auf Grund seines Amtes zwar nur bedingt Wahlkampf machen, doch die Partei setzt auf seine Sympathiewerte, heißt es in der CDU.

Pannen bei der CDU

Vielleicht verkörpert Schramma wie kaum ein anderer die kölsche Seele: Gut gelaunt, optimistisch, und irgendwie wurstelt man sich schon durch. Doch gerade Schramma ist mit seinen spontanen Entscheidungen immer für eine böse Überraschung gut. Barbara Mundel sagt er die Opernintendanz fest zu – um danach wieder abzusagen. Und dann die ideenlose Bewerbung zur Kulturhauptstadt. Immerhin: Die Heumarkt-Pflasterung ist nach fast vier Jahren endlich vollbracht – müder Applaus bei der CDU-Mitgliederversammlung. Von den Pannen will die Partei jetzt nichts wissen. »Sicher«, sagt Josef Müller auf Nachfrage, »Pannen gab es. Aber eine Krise der CDU? Nein! Wo Menschen zusammen arbeiten, werden Fehler gemacht.« Müller, auf Listenplatz eins, will im Wahlkampf »nach vorne schauen, unsere Erfolge vermitteln«. Für Sätze wie diesen erhielt er von den CDU-Mitgliedern als Einziger stehende Ovationen.
Es überrascht, wie unbeschadet die Grünen von der Zusammenarbeit mit der CDU bleiben. Haben sie wirklich in zwei Jahrzehnten Opposition gelernt, die schlimmsten Macht-Eskapaden zu vermeiden? Oder sind 18 Monate bloß zu kurz, um internes Gerangel aufkommen zu lassen? Für den Wahlkampf fühlen sich die Grünen gut gewappnet, Barbara Moritz rechnet mit »einem leichten Zuwachs«. Die Koalitionsfrage bleibt offen: »Wir warten erst mal ab, was rechnerisch überhaupt möglich ist, und wo wir am meisten grüne Ideen umsetzen können. Der größte Rückschritt wäre eine große Koalition.«
Auch jenseits von Personen sind Reibereien mit der CDU vorprogrammiert, vor allem bei Stadtplanung und Verkehr. Das grüne Wahlprogramm beginnt mit Ideen zu einem »Urbanen und ökologischen Köln«, gut ein Drittel des Programms verhandelt klassische grüne Positionen. Die CDU hingegen startet ihr Programm mit dem Thema Wirtschaft – der Begriff taucht im Grünen-Programm erst ziemlich weit hinten auf.

Alle Parteien in der Krise

Doch auch die anderen Parteien sind in der Krise – es gehört zu den entmutigenden Eigenheiten der Kölner Stadtpolitik, dass die Opposition eine mindestens ebenso traurige Figur abgibt wie die Mehrheitsfraktionen. Auch hierfür lieferte die letzte Ratssitzung Anschauungsmaterial. Unter Tagesordnungspunkt 3.9 hatten SPD und FDP einen gemeinsamen Dringlichkeitsantrag eingebracht – »betreffend Verfahren zur Nachbesetzung der Stelle des/der Beigeordneten für Kunst und Kultur«. Das maximale Chaos, das die CDU bei der Suche nach einem Kulturdezernenten angerichtet hatte, bot eigentlich eine ideale Gelegenheit für die Opposition, sich inhaltlich und stilistisch als ernsthafte Alternative zu profilieren.
Und was geschieht? Die SPD ist schadenfroh und beleidigt zugleich, beklagt sich lauthals, an der Auswahl des Dezernenten nicht beteiligt gewesen zu sein, Fraktionschef Börschel gelingt mit der Bezeichnung des CDU-Strippenziehers Richard Blömer als »schlammschlacht-politischem Sprecher« noch ein einigermaßen netter Kalauer, das war’s. Und die FDP? Fraktionsvorsitzender Ralph Sterck beschimpft nachträglich den von der CDU blamierten Kandidaten Christoph Nix und brüstet sich damit, schon vorher gewusst zu haben, dass an ihm »etwas faul« sei. Die Frage, was für einen Kulturdezernenten Köln eigentlich bräuchte, und wie er sinnvoll gefunden werden könnte, geht im allgemeinen Getöse unter.

Traumatisierte SPD

Die Kölner SPD, bis vor fünf Jahren quasi naturgegebene Regierungspartei der Stadt, hat das selbe Problem wie die hiesige CDU: Nach dem Verschwinden des geschlossenen Systems der allmächtigen Klüngel-Eliten kommt zum Vorschein, was sich dahinter an Substanz in den Parteien verborgen hatte: nämlich fast nichts.
Insbesondere die Kölner SPD ist immer noch traumatisiert von den Schocks der letzten fünf Jahre. Wenige Wochen vor der Wahl 1999 hatte der vormals mächtige OB-Kandidat Klaus Heugel wegen verbotener Insider-Geschäfte zurücktreten müssen. Die skandalbedingt geschrumpfte Fraktion im neuen Rat führte Norbert Rüther – der Anfang 2002 selbst für den nächsten Hammer sorgte: Der MVA-Spenden-Skandal erschütterte die mühsam stabilisierten Kölner Genossen.
Im Mai 2002 musste dann der damals 29-jährige Martin Börschel, der zuvor schon als Schatzmeister der verunsicherten Partei eingesprungen war, die Fraktionsführung übernehmen. Gemeinsam mit dem noch anderthalb Jahre jüngeren Jochen Ott als Parteichef sollte er die Erneuerung verkörpern. Seitdem herrscht einigermaßen Ruhe, die SPD bekam eine neues Design und benannte sich in »KölnSPD« um. »Zur Kommunalwahl treten wir mit einer Liste an, auf der zwei Drittel neue Ratsmitglieder stehen! Die nötige Erneuerung und Verjüngung haben wir vollzogen«, sagt Börschel. Bislang wirkte die SPD nicht überzeugend. Börschel kompensierte die Unsicherheit der Partei mit forschen Reden im Rat, inhaltlich schreckt die Fraktion auch vor Populismus nicht zurück, etwa wenn sie gemeinsam mit der FDP einen »Warnschussarrest von bis zu vier Wochen« für so genannte Klau-Kids fordert – sowie deren gesetzlich bisher gar nicht mögliche Unterbringung in geschlossenen Heimen.

FDP als Spaßpartei?

Bisher waren Forderungen dieses Kalibers alleiniges Spielfeld der Kölner FDP. Deren Oppositionsarbeit bildete in den letzten Jahren einen merkwürdigen Mix aus neoliberalen Privatisierungsforderungen, Law-and-Order-Parolen und Spaßpartei-Aktionen – so forderte die FDP unter anderem, die KVB-Linie 1 vom Heumarkt bis Melaten unter die Erde zu verlegen und den Dom die ganze Nacht hindurch zu beleuchten. Auch die FDP leidet unter einem Schock: dass nämlich ausgerechnet die Grünen sie aus der Regierungsverantwortung gedrängt haben. »Man macht Politik um zu regieren«, sagt Fraktionschef Ralph Sterck. Andererseits sei er »sehr zufrieden«, in der Opposition zu sein. »Der Kölner CDU fehlt es an der nötigen Professionalität«, so Sterck. Mit der Kölner Pannenserie »kommen andere Kommunen Jahrzehnte aus«. Für PDS-Ratsherrn Jörg Detjen sind die Kölner Zustände eine Folge von »seit Jahrzehnten gewachsenem Filz« und einer »unangemessenen Selbstsicherheit vieler Mandatsträger«.
Optimisten mögen die Kölner Pannenpolitik auch als notwendige Nebenwirkung sehen, die das Zerreißen dieses alten Klüngelfilzes mit sich bringt. Das kann sogar stimmen – und doch sind die Ursachen vielfältiger: Das Selbstbild Kölns wird immer noch geprägt durch die Verbindung von Arroganz und Provinzialität, durch eine hohe Schmerzlosigkeit gegenüber Peinlichkeiten, die ihren Ausdruck findet in der unerschütterlichen Überzeugung: Was in Köln passiert ist gut – denn es passiert ja in Köln.

Professioneller Optimismus

Die Beinahe-Opernintendantin Barbara Mundel berichtet über die Kölner Stadtregierung: »Wenn ich denen meine Vorstellungen erläutert habe, dann haben die mich angeguckt wie die Kuh, wenn’s donnert!« Die durchaus spannende Diskussion, ob der Dom tatsächlich wegen eines Deutzer Hochhaus-Ensembles auf die Rote Liste der Unesco gehört, bestritt OB Schramma mit der Bemerkung, ihm sei es »peinlich, wenn sich ein Unesco-Delegierter aus dem Libanon Gedanken macht, was in Köln passiert.« Da fällt es dann auch nicht weiter auf, wenn das Presseamt der Stadt Köln eine Meldung über den Besuch des Unesco-Direktors unter dem Stichwort »Unicef« verschickt.
Ob die Pannenserie in Zukunft so weiter geht, ist offen, welche Koalition nach der Wahl am 26. September die Stadt regieren wird, auch. Sicher ist: Mit kölscher Selbstgefälligkeit und Populismus geht es nicht. Vielleicht geht es aber mit einer ernsthaften, kritischen Haltung, die ein deutscher Jurist und Künstler kürzlich als »professionellen Optimismus« beschrieben hat. Das Wort stammt von Christoph Nix, der beinah Kulturdezernent in Köln geworden wäre.


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