Proben als Ernstfall

Das Kölner Schauspiel bringt seinen potentiellen Nachwuchs direkt auf die Bühne

12 Uhr Mittags. Der Werkshase, die Kantine des Schauspiel Köln, ist spärlich gefüllt. An zwei Tischen sitzen Techniker und trinken Kaffee. Ein ganz normaler Wochentag. Drei junge Frauen und vier junge Männer, Schüler der Leipziger Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy«, schlendern auf den Eingang zu. Die letzten zwei Jahre ihres Studiums verbringen die angehenden Diplom-Schauspieler nicht mehr im Seminarraum, sondern am Stadttheater. Diese Kooperation mit dem Schauspiel Köln, die seit dieser Spielzeit unter dem Namen »Schauspielstudio« läuft, ist die erste ihrer Art in Westdeutschland. Sie soll kein Testballon sein, sondern ist als langfristige Zusammenarbeit geplant, um den Nachwuchs zu fördern. Eine staatliche Hochschule für Schauspieler gibt es in Köln schließlich nicht.

 

Zustande gekommen ist der Kontakt durch den Chef-Dramaturgen Jens Groß. Groß hatte mit der Bartholdy-Hochschule bereits während seiner Zeit am Maxim-Gorki-Theater in Berlin zusammengearbeitet. Unterricht, das obligatorische Einmaleins — Sprech- und Gesangstraining, Körperarbeit, Improvisation, Tanz — bekommen die Studierenden weiterhin. Gerade hatten sie Gesangsunterricht. Doch statt Professoren besorgen das jetzt erfahrene Schauspieler des Ensembles. Die »Älteren« dienen als Mentoren.

 

Auch der Intendant kümmert sich um den Nachwuchs. Für seine Inszenierung von »Das Käthchen von Heilbronn« holte er die Eleven gleich auf die große Bühne des Depot 1 — für kleinere Sprechrollen. Eine Erfahrung, die mächtig Eindruck hinterlassen hat und alle ein bisschen geschockt. »Das kam voll schnell«, erinnert sich Lena Geyer, so plötzlich mit der Praxis konfrontiert zu sein. »Bei den Proben sollten wir synchron mit einem Tablett eine kleine Choreografie machen, aber die Idee ging nicht wirklich auf. « Und die Szene flog raus. Langes Üben, gibt‘s in der Realität  nicht. Genau solche Erfahrungen zu machen, sei aber für den Beruf sinnvoll, davon ist die Runde überzeugt. Sie zeigten, wie wichtig es sei, an einer »echten« Bühne ausgebildet zu werden. Statt wie an der Hochschule stundenlang daran zu arbeiten, bis etwas endlich funktioniert — schließlich bereite man sich vor allem auf das perfekte Vorsprechen vor — herrsche in der realen Theaterwelt eine Bringschuld. »Das Verhältnis dreht sich um«, fasst Nicolas Streit ihren Stand nach drei Monaten Praxis zusammen. »Du musst hier selbständig viel mehr Variationen anbieten.« Und Interesse wecken, etwas, was wohl jeder Neuling kennt.

 

Nicolas spielt neben dem Käthchen außerdem in »Invasion« des schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri in der Minispielstätte »Die Grotte«; ein genialer Theaterabend zwischen Migrationsdebatte und Secondo-Slang, an dem sich er und sein Schulkollege Thomas Brandt gemeinsam mit zwei Ensemble-Spielern elegant die Bälle zuwerfen. Dieses Zusammenspiel mit den Profis auf Augenhöhe, auch das gehört zum Konzept des »Schauspielstudio«. Der Kontakt bietet auch einen Blick in das Privatleben der »alten Hasen«. Hier und da tauchen Fragen auf, etwa nach Familienplanung. »Köln scheint ein familienfreundlicher Betrieb zu sein«, berichtet Lena. »Viele haben Kinder und Partner.« Dennoch haben die Schüler schon gemerkt, wie schnell man im Mikrokosmos Theater eingeschlossen sein kann. »Ich würde schon sagen, dass man als Schauspieler sein Leben dem Theater unterordnet«, so Lena weiter.

 

Ein Treffpunkt außerhalb des Theaters ist für die Sieben die Künstler-WG, die Janis und Nicolas in der Südstadt gegründet haben. Als sie davon sprechen, grinst die Runde kollektiv. Bekannt ist die WG für Abendessen, die auch mal ausschweifen können. Und jetzt die Gretchen-Frage: Leipzig oder Köln? »Köln ist auf eine gewisse Weise fertiger«, findet Janis. Er sucht danach, wie er es sagen soll. Schlechte Erfahrungen mit dem Kölner Lokalkolorit? »Nein. Hier scheint alles nur schon gefestigt zu sein. In Leipzig ist einfach noch sehr viel im Entstehen.« Zugegeben, nicht umsonst trägt Leipzig den Namen Hypezig und gilt als das neue Berlin: Für 300 Euro kann man dort im Altbau wohnen (noch), das Bier ist günstig. Es gibt viel Luft, Grün und weiten Himmel, Freiräume für Kunst und Kultur plus die bürgerliche Kultur in Oper, Theater und Konzerthäusern.

 

Eine solch inspirierende, unprätentiöse Zeit ist in Köln Vergangenheit. Zum Glück ist sie aber noch in der Theaterwelt lebendig. Vor allem mit Regisseuren wie Simon Solberg, der dafür bekannt ist, in frechen Samplings die großen Stoffe der Weltliteratur mit Zitaten aus Kino und Pop, Journalismus und Werbung zu pimpen. Seine letzte Inszenierung »Kabale und Liebe« veranlasste immerhin einen Kritiker der FAZ, zwar nicht den Untergang des Abendlandes auszurufen, dem Schauspiel dafür aber eine Ästhetik auf dem Niveau von »Super-Illu und RTL Exclusiv« zu bescheinigen.

 

Solbergs neue Produktion »Argonauten« werden die Eleven aus Leipzig zum ersten Mal ohne die Kölner Kollegen stemmen. Lena lächelt, als sie ihren Kaffee austrinkt und sagt: »Das wird unser Stück.« Dann stehen sie auf. Die Proben beginnen.