»Face to Face« von Bettina Flitner

Charakteristisch für Bettina Flitners Arbeit sind serielle Fotoessays, in denen sie Bild und Text miteinander kombiniert und ihre Protagonisten zu Wort kommen lässt: Rechtsradikale genauso wie ganz normale Bürger nach dem Mauerfall oder nackte Freier im Bordell. Bettina Flitner hat immer eine Haltung — aber sie fällt kein Urteil. Auf diese Differenz kommt es an.

 

Das Urteil überlässt sie also den Betrachtern. Es kann sich auch schon mal gegen die Fotografin selbst richten, wie sie vor allem bei ihrer Serie »Ich bin stolz, ein Rechter zu sein« zu spüren bekam. Eine Messebesucherin aus Israel war so erbost, dass sie Flitner mit einer Anzeige drohte. »Nach vier Stunden kam sie zurück und war wie ausgewechselt, hat sich das noch einmal angeschaut und sagte: Ich verstehe jetzt, was Sie machen«, erinnert sich die Kölnerin. »Das ist natürlich das allerbeste. Das passiert nicht immer.« Letztlich geht es Flitner immer darum, eine Diskussionsgrundlage zu schaffen und herauszuarbeiten, welche Teile im Gegenüber sich auch in einem selbst befinden könnten. Diese Auseinandersetzung kann sehr hart und schmerzhaft sein – vor allem dann, wenn man sie nicht erwartet.

 

Die Retrospektive »Face to Face« zeigt nun erstmals einen Überblick über Flitners politisches Gesamtwerk der vergangenen 25 Jahre. Acht Werkgruppen mit insgesamt rund Hundert Fotografien werden in den weitläufigen Räumen der Michael-Horbach-Stiftung präsentiert, darunter erstmals ihre jüngste Serie, in der sie Prostituierte porträtiert hat. Damit schließt sich der Kreis zu ihrer Reportage »Sextouristen« aus dem Jahr 1994, für die sie im thailändischen Pattaya Freier und Prostituierte gemeinsam fotografiert hat. Diese Schwarz-Weiß-Serie verzichtet ausnahmsweise auf begleitende Texte, was insofern interessant ist, weil sich Flitner dafür einer anderen, viel erzählerischeren Bildsprache bedient hat. Doch egal ob mit oder ohne Text: Sehens- und überdenkenswert sind sie alle.