»Die 90er Jahre in Köln waren meine Sozialisierung«

Globaler Kunstdiskurs und rheinische Mentalität, er kennt sich mit beidem aus: Am 1. Februar übernimmt Yilmaz Dziewior die Leitung des Museum Ludwig

Herr Dziewior, Sie kehren zurück nach Köln, wo Sie vor 15 Jahren mit dem Kollektiv »Schnittraum«, einem legendären Off Space hinterm Hauptbahnhof, als Ausstellungsmacher angefangen haben. Wie erleben Sie die Stadt heute?

 

Das ist ja immer eine sehr subjektive Wahrnehmung. Den »Schnittraum« habe ich damals zusammen mit Corinna Schnitt, Anette Freudenberger und Maria Tappeiner gemacht, es kamen Künstler, aber auch Leute wie Kasper König oder Annelie Pohlen vorbei. Dieses Interesse von Seiten der Künstlerschaft und der etablierten Institutionen war ein positives Moment. Damals gab es die Klage, dass in Köln nicht so viel passiere, dass die Künstler nach Berlin gehen würden — meine Erfahrung war eine andere. Ich hoffe, dass das Museum Ludwig als Institution in jedem Fall dazu beitragen wird, dieses Klima, das ich damals als so positiv empfunden habe, wieder herzustellen. Aber was heute möglich ist, kann ich erst beurteilen, wenn ich wieder länger hier bin.

 


Das Haus steht nach Kasper König und Phillip Kaiser programmatisch sehr gut da. Was für Ziele haben Sie sich gesetzt?

 

Ich kann dem nur beipflichten, dass das Haus international sehr gut wahrgenommen wird. Da sehe ich es erstmal als ein Ziel, das hohe Niveau zu halten, gleichzeitig erwartet man natürlich auch eine Ausrichtungsverschiebung. Die wird es geben. Neben den bekannten Qualitäten — Pop Art, Picasso, Russische Avantgarde — finde ich es besonders spannend, dass Peter Ludwig einer der ersten war, der dezidiert Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Asien, Afrika und Lateinamerika erworben hat. Dadurch bekommt die Ausrichtung, für die das Museum steht, gewissermaßen als Hochburg der westlichen Kunst, nochmal eine andere Richtung. Und das muss ich nicht erfinden, das ist wirklich in der Sammlung vorhanden!

 


Ein konkretes Beispiel?

 

Es gibt einige: Bodys Isek Kingelez, der speziell für Köln eine ganz tolle Arbeit gemacht hat, eines seiner Architekturmodelle, dann Chen Zhen, Bouabré... Ich halte es auch in der Sammlungspolitik für wichtig, hier anzuschließen: Einer meiner ersten Ankäufe, die ich bereits tätigen durfte, war eine Arbeit von Haegue Yang, einer koreanischen Künstlerin. 

 


Eine Neupräsentation der Sammlung ist bislang nicht angekündigt — wird es die geben?

 

Nicht in dem Sinne, wie es Phillip Kaiser programmatisch gemacht hat. Wir werden aber einzelne Räume sukzessive neu präsentieren und dann sicherlich auch neue Arbeiten von Kingelez oder Haegue Yang zeigen.

 


Im Herbst kuratieren Sie selber eine Ausstellung des dänisch-vietnamesischen Künstlers Danh Vö, der auch auf dem Markt als Aufsteiger gehandelt wird. Was erwartet uns?

 

Es stimmt, dass er auf dem Markt reüssiert, aber Danh Vö hier in Köln zu zeigen ist richtig und wichtig, weil es ein zentraler Künstler für unsere Zeit ist. Es gelingt ihm, unterschiedliche Dinge aufzugreifen, aus der westlichen Kulturgeschichte, der Institutionsreflexion, gleichzeitig integriert er Momente der vietnamesischen Tradition. Die Arbeit hat eine unglaubliche Aura, Sensibilität, ein Feingefühl, wie er mit Räumen umgeht. 

 


Sehr bekannt ist sein 1:1-Nachbau der Freiheitsstatue in vielen Einzelteilen. Wird Miss Liberty auch nach Köln überführt?

 

Ja, wir zeigen den größten zusammenhängenden Teil im DC-Raum. Und es gibt eine Arbeit, die ich ganz charakteristisch für diesen Künstler finde, sie heißt »Oma Totem«: Ein Kühlschrank, eine Waschmaschine und ein Fernseher, aufeinandergestapelt, auf dem Kühlschrank ist ein Kruzifix montiert, sehr merkwürdig und visuell einprägsam. Es sind alles Objekte, die Danh V?s Großmutter als Willkommensgruß erhalten hat, als sie nach Deutschland kam — heute wäre es vermutlich ein Computer... Diese beiden Arbeiten stehen fest, wir werden sehen, was der Künstler drum herum entwickeln wird.

 


Mit Phillip Kaiser teilen Sie das Interesse an konzeptueller Kunst. Er hatte sich u.a. vorgenommen, die 90er Jahre in Köln aufzuarbeiten, dazu konnte es nur ansatzweise kommen. Würden Sie dieses Vorhaben fortführen wollen?

 

Ich würde da nicht von fortführen sprechen, das ist ja genau meine Sozialisierung! Ich habe lange für Texte zur Kunst geschrieben, mit vielen Künstlern der Galerie Nagel gearbeitet, aber mehr als eine historische Aufarbeitung dieser Positionen oder von »Köln in den 90ern« interessiert mich die Frage, wie weit das heute noch relevant und virulent ist. Ich denke, das ist es schon. Der Kontext, die Stadt, die Institution, das Format — auch ein Künstler wie Danh V? geht damit kritisch und bewusst um. Ich möchte seine Ausstellung deshalb auch in Köln andocken: Wir sind im Gespräch über eine Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt, auch mit dem King Georg, weil Danh Vö zum Beispiel mit dem Musiker-Duo XiuXiu zusammenarbeitet. Mit der Kulturabteilung des WDR-Fernsehens sind wir auch im Gespräch. Das fände ich toll, auch im Hinblick darauf, wofür Köln steht — die Tradition mit dem WDR, Stockhausen... 

 


Kommen wir auf die Kölner Kulturpolitik: Was erwarten Sie von der Stadt? Oder umgekehrt: Was kann sie von Ihnen erwarten?

 

Ich fühle mich bislang sehr unterstützt. Die Kulturdezernentin hat die Verhandlungen konstruktiv moderiert und vorangetrieben. Ich hatte den Eindruck, dass die Hauptverantwortlichen, Frau Laugwitz-Aulbach, aber auch die Stadtkämmerin Frau Klug und die unterschiedlichen leitenden Personen in den Ämtern, die Probleme kennen und lösen wollen. Um es konkret zu sagen: Das strukturelle Defizit — das definitiv vorhanden ist, das kann man nicht schönreden — muss angegangen werden. Das habe ich mir auch schriftlich zusichern lassen. Ich bin aber nicht naiv und weiß, dass es eine komplizierte politische Gemengelage ist. Man sieht immer wieder in der politischen Auseinandersetzung, dass es darum geht, kurzfristigen Vorteil rauszuschlagen. Wobei es auch frappierend ist, wie die Presse teilweise agiert. Vor ein paar Monaten, als es um ein Defizit des Museums ging, fragten mich Leute, ob ich schon gehört habe: Das Museum Ludwig ist pleite! Und es war allen Beteiligten klar, dass es zu dieser Haushaltssituation kommt, es war weder tragisch noch außergewöhnlich, aber die Presse hat sich drauf gestürzt wegen einer guten Schlagzeile. 

 


Kasper König hat seinen Job immer so verstanden, dass er als Museumsdirektor auch zu vielen städtischen Angelegenheiten offensiv Stellung bezogen hat. Teilen Sie dieses Selbstverständnis?

 

Ich habe sicher einen anderen Stil als König... (lacht). Aber ich finde, das ist keine persönliche Vorliebe, sondern die Aufgabe einer öffentlichen Institution der zeitgenössischen Kunst. Es wäre absurd, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, die sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen auseinander setzen, und selber zu sagen, ich bin nur für meinen kleinen abgezirkelten Garten verantwortlich. Wir haben ja schon Stellung genommen zum Verkauf der beiden Warhols: Für die größte Institution, die sich mit der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts beschäftigt, finde ich eine klare Haltung dazu selbstverständlich.