Foto: Manfred Wegener

Weckruf im Schlaf-Viertel

 

Das Agrippa- und das Griechenmarktviertel sind die ruhigsten Veedel der Innenstadt. Nirgendwo lebt man ungestörter. Damit das Areal südlich vom Neumarkt nicht völlig wegdämmert, will das Haus der Architektur dort wenigstens ein bisschen Leben einhauchen

Kölns Innenstadt ist ein Archipel. Eine Ansammlung von Inseln, umgeben von Verkehrsströmen. So etwa hatte sich das der Kölner Generalplaner Rudolf Schwarz beim Wiederaufbau von Köln nach 1945 gedacht — nur verstand Schwarz damals unter Verkehr etwas anderes als wir heute. Die brutalen Folgen lassen sich am Agrippa- und am Griechenmarkt-Viertel ablesen: Verkehrsschneisen schneiden das Quartier aus dem stadträumlichen Zusammenhang heraus. Die Cäcilienstraße im Norden verfügt nicht nur über die am stärksten frequentierte Straßenbahn-Trasse Kölns, sie ist genauso eine Stadtautobahn wie die Nord-Süd-Fahrt im Osten und der Rothgerberbach im Süden. Diese Barrieren sichern dem Viertel die Ruhe einer Oase, der Preis dafür besteht in der mangelnden Wahrnehmung. Das Haus der Architektur Köln (hdak) hat jetzt eine Initiative ins Leben gerufen, um das zu ändern. Vor allem der Osten des Viertels mit den Museen Schnütgen und Rautenstrauch-Joest, dem Literaturhaus, der Zentralbibliothek und Volkshochschule, aber auch der Zentrale der Kaufhof AG oder dem Hotel im Wasserturm müsse besser an die Innenstadt angebunden werden, sagt die hdak-Vorsitzende Christl Drey. Erste Treffen mit den Institutionen in der Nachbarschaft haben bereits stattgefunden. 

 

Als wichtigste Maßnahme fordert Christl Drey: »Die Cäcilienstraße muss wieder zu einer Stadtstraße ohne Barrierencharakter werden, die einfacher zu queren ist.« Dazu sollen neben der Begrünung der Bahngleise auch Fahrspuren verknappt, Bürgersteige verbreitert und ein Übergang in Höhe des Rautenstrauch-Joest-Museums geschaffen werden. Aber Drey möchte auch die alten innerstädtischen Wegebeziehungen über die Verkehrsachsen hinweg stärken. Als Beispiel nennt sie den Weg von St. Maria im Kapitol durch die Sternengasse, die Leonard-Tietz-Straße, vorbei an St. Peter über die Bobstraße zur Mauritiuskirche. Ein alter Pilgerweg, mit dem die von der Stadt geplante Via Culturalis vom Dom zu St. Maria im Kapitol in das Viertel hinein verlängert werden könnte. All das steht zudem in Einklang mit dem städtebaulichen Masterplan von Albert Speer. Bereits im Dezember 2010 hat außerdem der Verkehrsausschuss die Verwaltung beauftragt, die Umgestaltung der Cäcilienstraße »weiterzuverfolgen« — alles be--eindruckend detailliert damals, bis hin zur Aufhübschung der Leonard-Tietz-Straße oder einer Shared-Space-Zone in der Antonsgasse. Dann ein weiterer Beschluss vom März 2014: Neugestaltung der Cäcilienstraße zwischen Nord-Süd-Fahrt und Hohe Straße ab August. Auch sehr schön — doch umgesetzt wurde davon bisher nichts. 

 

Wenn noch nichts realisiert ist, kann man draufsatteln: Christl Drey sieht in dem Viertel zahlreiche »Möglichkeiten für Initiativen im öffentlichen Raum«. Paradebeispiele seien das Areal des Josef-Haubrich-Hofs sowie die Rückfronten von VHS und Rautenstrauch-Joest-Museum. »Das ist ein sonniger, ruhiger Blockinnenbereich, der für Kultur ein unheimliches Potenzial hätte««, sagt Drey. Doch die Fläche, auf dem auch der provisorische hdak-Kubus steht, trägt derzeit alle Kennzeichen eines Kölner Platzes: Gestaltung und Aufenthaltsqualität sind erbärmlich. 

 

Von den Anrainern im Viertels wird die Initiative des hdak begrüßt. Bettina Fischer, die Leiterin des Literaturhauses, das im vergangenen Jahr ins historische Haus Bachem eingezogen ist, liebt die »typisch kölsche« — also heterogene — Bebauung. Derzeit profitiert das Literaturhaus noch vom Effekt seiner Neueröffnung, doch der wird irgendwann verpuffen.

 

In der Zentralbibliothek ist man ebenfalls froh über Christl Dreys Anregung, auch wenn das Haus am Josef-Haubrich-Hof mit etwa 4000 Besuchern täglich nicht an mangelnder Wahrnehmung leidet. Der 1979 eröffnete Bau ist allerdings von Grund auf sanierungsbedürftig. Die vor zwei Jahren vom Amt für Gebäudewirtschaft noch auf rund 20 Millionen Euro geschätzten Kosten sollen sich inzwischen verdoppelt haben. Der Beschluss zur Generalsanierung wurde am 16. Dezember im Rat der Stadt Köln zurückgezogen — verbunden mit einem Prüfauftrag an die Verwaltung, ob ein Neubau andernorts nicht billiger zu haben sei. Leiterin Hannelore Vogt betont: »Wir wollen an diesem eingeführten und gut genutzten Standort bleiben.« Vom Stadtkonservator ist dabei verbale Unterstützung zu erwarten, auch wenn der Bau voraussichtlich nicht unter Denkmalschutz gestellt wird. »Ich glaube, die Stadtbücherei schafft die Hürde nicht«, sagt Stadtkonservator Thomas Werner. Er will sich aber für den Erhalt einsetzen. Wie die Kölner Politik allerdings mit Bibliotheken umgeht, lässt sich am geplanten Neubau des Stadtarchivs und der zwangsausgelagerten Kunst- und Museumsbibliothek erkennen?... 

 

Bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg waren das Agrippa- und das Greichenmarktviertel alles andere als eine Oase. Vor allem arme Kleinhändler, darunter viele Juden und Roma, sorgten für reges Leben. Heute halten diese Tradition ein Sanitätshaus, Imbissbuden, wenige Kneipen und vor allem die indisch-asiatischen Läden in der Fleischmenger- und Thieboldsgasse oder dem Mauritiussteinweg aufrecht. Die Initiative des hdak wirkt insofern wie ein Weckruf, lenkt aber auch den Blick auf die Schwächen der städtischen Planung. Denn die nimmt das Viertel vor allem als Museumsquartier mit einer aufzuwertenden Nordkante an der Cäcilienstraße wahr. Diese Wahrnehmung wird durch anstehende Bauvorhaben gestützt: Nicht nur plant die Volkshochschule, ihren Haupteingang vom Josef-Haubrich-Hof an die Ost-West-Achse zu verlegen. Die landeseigene Westspiel GmbH möchte an der Cäcilienstraße anstelle des Aral-Parkhauses ein Spielcasino errichten. Die Stadt Köln rechnet mit Einnahmen von 5 Millionen Euro jährlich, derzeit allerdings stockt das Vorhaben. Beim Casinobetreiber will man sich auf Nachfrage nicht zum Sachstand äußern. Andeutungen lassen da-rauf schließen, dass es Probleme mit dem Projektentwickler Hochtief gibt. Und nur ein paar Häuser weiter treibt die Evangelische Kirche energisch die Umgestaltung des Areals um die Antoniterkirche voran. Bis auf die Kirche sind sowohl das Café Stanton, das Gemeindezentrum und auch der Wohnturm sanierungsbedürftig und stehen zur Disposition. Der bisher abgeriegelte Platz zwischen Antoniterkirche und dem benachbarten P&C-Kaufhaus soll zu einem offenen Kirchplatz mit Gebäuden für Gastronomie, Dienstleistung und Wohnen umgestaltet werden. Außerdem soll der Durchgang von der Schildergasse zur Cäcilienstraße deutlich aufgewertet werden. Der Architektenwettbewerb läuft bereits, im Juni steht eine Entscheidung an. Eher als Hiobsbotschaft ist die Ankündigung des belgischen Außenministers vom Dezember zu bewerten, das Generalkonsulat in der Cäcilienstraße zu schließen. Konsul Nicolaas Buyck bestätigt, dass dies im Laufe dieses Jahres der Fall sein wird. Zum genauen Zeitpunkt  will er sich nicht äußern; auch nicht, was künftig mit dem vielfältig genutzten Belgischen Haus geschehen wird. Um den Standort zu erhalten, hat sich gerade die Initiative »Freunde des Belgischen Hauses« gegründet.

 

Zumindest die drei Bauprojekte im Verbund mit der Umgestaltung der Cäcilienstraße dürften zu einer Aufwertung der Stadtstraße zum -Boulevard führen, dem Herz des Agrippaviertel aber wenig neues Leben zuführen. Um an der fragwürdigen Idylle grundlegend etwas zu ändern, hat das hdak noch viel Arbeit vor sich.