»Es gibt natürlich noch Zuschauer, die von Anfang an dabei sind und uns manchmal vorwerfen, dass wir früher bissiger gewesen seien« | Foto: Ansgar van Treeck

»Hier kann man auch als Linker schunkeln«

Ein Interview mit Biggi Wanninger, ­Präsidentin der ­links-­alternativen ­Stunksitzung

Biggi Wanninger ist Präsidentin der links-alternativen »Stunksitzung«, die Anfang der 80er Jahre das kölsche Brauchtum auch für Linke attraktiv machte. Eine karnevalskritische Karnevalssitzung — wie geht das? Und wie viel findet sich dort heute noch von der -Protestkultur der Anfangsjahre?

 

Frau Wanninger, die Stunksitzung ist aus einer Protesthaltung heraus entstanden. Das ist lange her! Wie politisch ist das Format heute noch?

 

Natürlich greifen wir nach wie vor politische Themen auf und versuchen, auf humorvolle Weise Denkanstöße zu geben. Das Produkt hat sich natürlich verändert. So wie wir und das Publikum auch. Nach mehr als 30 Jahren ist das auch normal. Mittlerweile sehen sehr viele Menschen die Sitzungen, und ich freue mich, dass da auch welche dabei sind, die nicht direkt einer Meinung mit uns sind und etwas zum Nachdenken mit nach Hause nehmen.

 

War das früher anders?

 

War das Publikum politisch homogener? In den ersten Jahren waren das Leute, die mit Karneval nix am Hut hatten und dann in die Eifel gefahren sind. Die hatten bei der Stunksitzung einen Ort, an dem man auch als Linker schunkeln konnte.

 

Ist der alternative Karneval denn automatisch links?

 

Ob die Besucher automatisch links sind, lässt sich schwer sagen. Es gibt natürlich immer noch Zuschauer, die von Anfang an dabei sind und uns manchmal vorwerfen, dass wir früher bissiger gewesen seien. Wenn man dann aber nachfragt: »Was macht Ihr denn heute noch so politisch?«, dann kommt häufig nur heiße Luft.

 

Der Stern im Logo der Stunksitzung bleibt aber?

 

Warum sollten wir den abschaffen? Er ist entstanden aus einer Zeichnung von Jürgen Becker — rot und schwarz, links-anarchistisch. So haben sich die Stunkerinnen und Stunker damals verstanden. Die wollten machen, wozu sie Bock hatten. Und das ist heute auch noch so. Wir können machen, worauf wir Lust haben. 

 

Wie werden die Themen für die Stunksitzung gesetzt?

 

Im September fangen wir mit unserer Themensammlung an. Was war im vergangenen Jahr ein Thema, was hat uns interessiert, was hat uns aufgewühlt? Danach versuchen wir, »Fleisch« an diese Themen zu bekommen und arbeiten mit Autoren daran weiter. Es gibt aber auch Themen, zu denen wir keinen witzigen Zugang bekommen. 

 

Zum Beispiel?

 

Die Privatisierung des Wassers und Nestlé. Oder das Freihandelsabkommen TTIP. Wir brauchen schon eine gewisse humoristische Form, um das Thema in Szene zu setzen. 

 

Haben Sie für die laufende Session denn alles drin?

 

Es gibt so viele Themen, die man machen könnte, aber irgendwann muss man auch mal sagen, es ist jetzt gut so, wie es ist. Bei der Stunksitzung kommt erschwerend hinzu, dass sehr viele Themen schon vorher von Kabarettisten behandelt wurden. Außerdem spielen wir über einen sehr langen Zeitraum. Wenn wir im September schon anfangen, die Dinge zu bearbeiten, dann denken wir, dieses oder jenes ist ein richtig tolles Thema — im November stellen wir dann fest, dass das schon längst wieder in Vergessenheit geraten ist.

 

Was sind die großen politischen Themen in diesem Jahr?

 

Flüchtlinge natürlich, der sogenannte Islamische Staat, die Ukraine, Rechtspopulisten. 

 

Bei den Terroranschlägen in Frankreich sind zwölf -Menschen unter anderem wegen islamkritischer Satire ermordet worden. Denken Sie bei der Auswahl auch an mögliche Risiken?

 

Als 2005 die Mohammed-Karikaturen gerade aktuell waren, hatten wir eine Nummer über Selbstmordattentäter. In diesem Jahr haben wir Burka-Funkemariechen auf der Bühne. Natürlich denkt man darüber nach, was passieren könnte?... Aber das, was wir machen, ist ja nicht zu vergleichen mit Charlie Hebdo. Die gehen schon härter mit der Thematik ins Gericht. 

 

Gab es denn mal harsche Reaktionen?

 

Im Zusammenhang mit der Debatte um sexuellen Missbrauch in der Kirche haben wir vor vier Jahren die Figur »Bischof Mixa« auf die Bühne gestellt. Von dieser Nummer waren die christlichen Fundamentalisten nicht angetan. Da gab es einen regelrechten Shitstorm — auch mit Androhung -körperlicher Gewalt. Das war nicht schön.

 

Wie schätzen Sie die Öffnung des konventionellen Karnevals in den vergangenen Jahren ein?

 

Ich glaube, da passiert einiges. Auch da haben sich die Zeiten geändert. Die im Festkomitee haben ja ihre Augen und Ohren offen und bekommen mit, dass wir von den alternativen Sitzungen Besucher haben, die eine andere Art von Karneval sehen wollen. Diese Öffnung ist eine gute Sache — ob allerdings alle im traditionellen Karneval mitziehen, ist eine andere Frage.

 

Das Festkomitee ist früher ein Feindbild der Stunksitzung gewesen.

 

Das war so, aber da war das Festkomitee auch noch etwas betonköpfiger als die jetzigen Amtsträger. 

 

Christoph Kuckelkorn, der Leiter des Rosenmontagszuges, hat Sie eingeladen, mal auf einem Wagen mitzufahren. Nehmen Sie die Einladung an?

 

Ich bin Fußtruppe, ich gehe immer mit den »Ahl Säu«. Oben auf dem Wagen zu stehen, das ist nicht meins. Ich brauche einen direkten Zugang zu den Dingen.

 

 


Biggi Wanninger, Jahrgang 1955, ist Kabarettistin, Schauspielerin und Sprecherin. Seit den 90er Jahren gehört sie dem Kollektiv der alternativen »Stunksitzung« an, seit 1999 ist sie deren Präsidentin.