Der Künstler als Schlange

Das könnte die Ausstellung des Jahres werden:

Der ganze Polke im Museum Ludwig

Der Mann mit der Schlangenhaut — dieses Bild wird sicher haften bleiben von einem Künstler, der sich unentwegt häutete und sich, oder besser: den Akt des Bildermachens immer wieder neu erfand. Hierzu bediente sich Sigmar Polke einer Bildsprache der Protestheiterkeit. Seine Arbeiten brachte er durchweg als Werkzeuge in Stellung, um der Dummheit zu schaden — wobei natürlich zu konstatieren ist, dass eben diese permanente Dummheit die Hintergrundfolie und damit die Voraussetzung seines Schaffens darstellte.

 

In seinem Nachruf bezeichnete Kasper König den 1941 in Schlesien geboren und 2010 in Köln verstorbenen Polke als den radikalsten Alchimisten der Kunst im 20. Jahrhundert. Man dürfe ihn nicht auf seine Ironie, seinen beißenden Humor reduzieren. Sein Verdienst für die Kunstgeschichte sei, dass er niemals einer bestimmten Ideologie oder der Tagespolitik gefolgt sei, sondern alle Stile und Epochen einbezogen habe. Zur Überprüfung all dessen kommt nun endlich die Retrospektive des Künstlers, an der er selbst noch in den Anfängen mitgearbeitet hatte, nach gefeierten Stationen in New York und London in die Stadt seines Wirkens. Wird sie Anlass zu einer Neubewertung des facettenreichen Werkes geben?

 

Zunächst einmal breitet sie jedenfalls den »ganzen« Polke in nie gekannter Fülle vor uns aus: Neben den Bildern, Zeichnungen, Fotoserien und Objekten werden erstmals auch einige Filmarbeiten zu sehen sein, die hin und wieder, teilweise in Kooperation mit verschiedenen Künstlerfreunden, entstanden sind. Den Auftakt bilden die Arbeiten, die ab 1963 unter dem ironischen Begriff »Kapitalistischer Realismus« im Verbund mit den Düsseldorfer Akademiekollegen Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner entstanden. Es handelte sich um eine kritisch gebrochene Variante der amerikanischen Pop Art: Als eine Form von Kleinbürgerschelte wurde der kulturelle Verblendungszusammenhang des Wirtschaftswunderka­pitalismus genüsslich aufs Korn genommen.

 

Über die Raster- und Dekorstoffbilder führt der Weg in die 70er Jahre. In den bisherigen Überblickschauen weitgehend ausgespart oder marginalisiert, lässt sich ein schelmischer ästhetischer Sozialist entdecken, der gegen die Ausbeutung der Ursachen durch die Wirkung antritt. Erprobt und für den Werkprozess nutzbar gemacht wurde hierzu die konkrete Wirkung halluzinogener Substanzen, gemeinhin unter das Verdikt der Droge subsumiert. Psychedelisch anmutende Flimmerbilder mit einem zahlreich sich überlagernden Motivreigen waren die Folge. Ort des Geschehens war zunächst die von Polke initiierte Landkommune auf einem niederrheinischen Bauernhof; zelebriert wurden das Gemeinschaftsprojekt mit Freunden und die Kreativität im Kollektiv. Die Experimente mit der Foto- und Filmkamera, die dort ihren Ausgang nahmen, setzte Polke auch auf seinen Weltreisen fort. Waren Pakistan und Afghanistan die ersten Stationen, folgen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts längere Aufenthalte in Papua-Neuguinea, Australien und Asien.

 

In den großen Werkreihen der 80er und 90er Jahre verfeinerte Polke seine zentrale Arbeitsmethode der Bildfindung durch Bildauflösung, die den Fehler, die Abweichung und den Zufall produktiv zu nutzen wusste. Seine infam unhierarchische Exploration von Kitsch und Kunst, Hoch- und Subkultur behielt er jedoch bei.

 

Polke mutierte zum Gift- und Hexen-Künstler. Waren es zuvor die bewusstseinsverändernden Substanzen, die zur Werkgenese herangezogen wurden, so kommen jetzt mirakulöse Chemikalien, Harze und Mineralien zum Einsatz, die ein Eigenleben führen und, abhängig von Temperaturschwankungen, Luftfeuchtigkeit oder Lichteinfall, die schillernde Oberfläche der Bilder sich permanent verändern lassen. Völlig zu Recht wurde Polke daher als Enzyklopädist des Sichtbaren und des sichtbar Möglichen bezeichnet.

 

Als roter Faden durch die Ausstellung zieht sich, ablesbar an den rund 250 versammelten Arbeiten, das Unterlaufen der konventionellen Autorschaft durch Polkes Werk. Inszeniert wird die Malerei als ein hinlänglich beschädigtes Genre. An der Sabotage und fulminanten Neujustierung eben dieser vermeintlichen Königsdisziplin hat der Ermöglicher Sigmar Polke einen nicht unerheblichen Anteil.