David gegen Goliath: Am 11.2. rückten rund siebzig Polizisten in Kampfmontur an, um die Dachbalken abzusägen. Die Künstler machen trotzdem weiter | Foto: Daniel Grünfeld

»Ein bisschen wie bei Schlingensief«

Das ParaDies ist ein — bedrohtes — Biotop für ungezügelte Theaterkunst

Treffen sich ein Philosoph und Hotelier, ein Bauunternehmer und ein Künstler. »Eigentlich total unterschiedliche Typen, völlig anders unterwegs in der Gesellschaft, die sich aber super gut verstehen«, beschreibt Schauspieler Jonas Baeck die Runde. »Sie alle haben den gleichen Ansatz: Köln ist so hässlich, wie können wir es schöner machen?« Mit ihm am Tisch sitzen: Dr. Werner Peters, Paul Bauwens-Adenauer und Rolf Ketan Tepel, Jonas Vater. Jonas hatte die drei langjährigen Weggefährten zum Essen eingeladen, als er im Dezember vorübergehend ins »ParaDies« eingezogen ist. Das hat in Köln nämlich eine Adresse: Am Eifelwall 5.

 

Im Schatten des Justizzentrums hat sich Jonas Vater auf einer städtischen Brache aus Holzpaletten, alten Fenstern, Balken, Möbeln, Musikinstrumenten und allem, was er sonst noch in die Hände bekommen konnte, ein fantastisch-utopisches Haus gebaut. Für den Künstler ist diese Arbeit keine private Selbstverwirklichung, sondern die Umsetzung des Beuys‘schen Prinzips der sozialen Plastik. »Ich habe gesagt, ich räume hier alles frei und lade jeden Menschen der Stadt Köln ein, mitgestaltend ein öffentliches Grundstück für uns alle schöner zu machen.« Auch andere Künstler haben sich in den letzten neun Jahren angesiedelt und den wild-wuchernden Unort als künstlerisches Kleinod belebt.

 

Auf dem Gelände herrscht emsiges Treiben. Dort wo im Hintergrund die Kettensägen schon fleißig den Weg für den Neubau des Stadtarchiv freischreddern, haben Jonas, sein Bruder Paul, ebenfalls Schauspieler, gemeinsam mit den Künstlern ein Theaterhaus in alter Schausteller-Tradition gezimmert: begehbar und beweglich, aus einem Western-Saloon, einem Zirkuswagen und einem ausrangierten Dachstuhl aus der Südstadt. Den Boden zieren über 1300 spiralförmig verlegte Pflastersteine, die Ketan vor Jahren als Bestandteile einer vergessenen Strasse auf dem Gelände entdeckt hatte.

 

Bevor die Bewohner am 1. Mai ihr ParaDies für den Neubau räumen, wollen sie sich hier mit einem vierwöchigen großen Theaterfinale verabschieden. Ketan beschreibt die geplanten Performances als Fluxus-Kunst und »ein bisschen wie bei Schlingensief«, die sich retrospektiv bestimmte Themen aus seinem 33-jährigen öffentlichen Leben vornehmen. »Zum Beispiel Geld«, erzählt Jonas, der mit seinem Bruder auch künstlerisch beteiligt ist. »Mein Vater praktiziert ein Leben ohne Geld. Diese Erfahrung habe ich auf einer Reise nach Irland auch mal gemacht und in einem Buch verarbeitet. Daraus entwickeln wir was für einen Abend. Aber dabei bleibt es nicht. Wir werden das Theater mit allen Genres der Kunst bespielen.« Das Haus soll nicht bloß Abspielstätte sein. Vielmehr haben Ketan und seine Söhne Filmemacher, Schriftsteller und Musiker eingeladen, die tagsüber Performances erarbeiten, um sie abends zu zeigen — an sechs Tagen die Woche; mit dem Ziel den Diskurs über unsere Lebensweise in Großstädten voranzutreiben.

 

Auch Dr. Werner Peters und Paul Bauwens-Adenauer werden an den Abenden auftauchen. Nicht nur, weil sie Freunde und Förderer des Künstlers sind, sondern auch als Protagonisten in einem Film von Jonas, in dem er alles rund um das ParaDies dokumentiert: Gespräche, Proben, Bauarbeiten oder der Besuch der Bauaufsicht, der an das absurde Geschehen um den ehemaligen Raketenklub in der Weidengasse erinnert, dem am Ende tatsächlich (sic!) die Kölner Politik Herr geworden ist. Damals sollte der leerstehende Lagerraum im Hinterhof nicht bespielt werden, weil er durch den Theaterbetrieb baurechtlich zum Neubau  wurde — und Neubauten waren im Sanierungsgebiet Eigelstein verboten. Auch diesmal will die Verwaltung Kunst verhindern. Begründung? Das Dach sei, so Pressesprecherin Inge Schürmann, »akut einsturzgefährdet«. Allerdings war eben jenes zum Begehungsstermin noch gar nicht fertig.

 

Doch von solchen Schikanen lassen sich die Künstler, wie schon in der Vergangenheit, nicht beirren. Gegen die Verfügung haben sie Klage eingereicht. Es wird zu Ende gebaut und gespielt. Wenn alles gut ausgeht, fällt Anfang April der Vorhang. Dann geht’s mit dem Theaterhaus auf Reisen für ein neues Lebenskunstwerk. Ziel ist das Tempelhofer Feld in Berlin. Für Köln ist der Weggang ein Riesenverlust. Die Stadt verliert nicht nur einen seiner letzten künstlerischen Kleinode, sondern auch Menschen, die für urbane Freiräume kämpfen und sie leben. Vor ihnen kann man den Hut nicht tief genug ziehen.