Foto: Manfred Wegener

Schöner schreiben

Der Elefant lacht

Der Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Buch — Martin Kordi? kennt ihn von beiden Seiten des Schreibtischs. Er ist Autor, Lektor und Elefanten-Fan. Ein Porträt

 

Martin Kordi? war mal ein Elefant. Zumindest für kurze Zeit. Ein paar Tage lange habe er sich ausschließlich Dokumentationen über Elefanten angesehen, zwölf Stunden am Tag. »Ich wollte mich in einen Elefanten verwan--deln. Irgendwann habe ich gemerkt: Ich kann jetzt als Elefant -schrei-ben. Und dann habe ich das letzte Kapitel in einem Rutsch runtergetippt.«

 

Kordi? sitzt bei einem kleinen Italiener im Agnesviertel, als er von seiner Zeit als Elefant erzählt. Nebenan am Tisch schimpft eine Mutter mit ihren heranwachsenden Kindern, es geht wohl ums Rauchen. Eine Zeitlang sei er häufig hier gewesen, sagt Kordi?. Seine damalige Freundin wohnte gleich um die Ecke, hier gebe es wirklich hervorragende Pasta, sagt er.

 

Das Buch, für das der 31-Jährige zumindest kurzzeitig zum Elefanten wurde, ist sein bislang einziges. »Wie ich mir das Glück vorstelle« ist eine Geschichte über den Bürger-krieg im ehemaligen Jugoslawien, erzählt aus der Sicht des 13-jährigen Viktor, einer »Missgeburt« mit krummem Rücken, ohne Familie und ohne Erfahrungshorizont, um das Geschehen um sich herum zu verstehen. Ein lediglich 176 Seiten langes, umso schonungsloseres und berührendes Buch, in nüchterner Sprache, voller Gewalt und Ausweglosigkeit, einzig unterbrochen von vereinzelten Erinnerungen an eine Art Glück. 

 

Es mündet in jenem versöhnlichen Kapitel eben darüber, wie Viktor sich das Glück vorstellt — als Teil einer Elefantenherde, in der jeder auf den anderen Acht gibt. »Das Sehnsuchtsbild entspricht dem, was Viktor sich wünscht, aber nicht hat«, sagt Kordi?. Die Kritik ist positiv bislang. Erst Anfang Februar teilte der Deutsche Literaturfonds in Darmstadt mit, dass Kordi? für sein Buch in diesem Jahr das Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium erhalten wird.

 

Der Bosnienkrieg ist sein Lebensthema. Aufgewachsen ist Kordi? in Deutschland, in Ludwigshafen und Mannheim. Den pfälzischen Einschlag hört man nur ab und an, ganz entfernt, es ist nicht mehr als eine Klang-färbung, die man sich auch einbilden könnte. Sein Vater ist kroatischer Gastarbeiter aus Bosnien. »Das Thema war eigentlich schon immer da. Seit ich geschrieben habe, habe ich mich immer wieder damit auseinandergesetzt. Das waren viele Versuche, die dann irgendwann in diesem Buch mündeten.«

 

Seine Elefantwerdung ist dabei keine Ausnahme. -Kordi? arbeitet nach einer Art »Method Writing«. Mit seiner Hauptfigur Viktor verschmolz Kordi? während des Schreibens zunehmend. Die Figur sei ein Teil von ihm gewesen, oder er Teil der Figur geworden, erzählt er. »Gerade in intensiveren Schreibphasen war es schwierig, da herauszukommen. Da war Viktor dann plötzlich auch in meiner privaten Kommunikation präsent, zumindest sprachlich.« Ausdruck dieser unmittelbaren Arbeitsweise ist auch das kontinuierliche Präsens, in dem Viktor oder Kordi? das Geschehen beschreiben. Es gibt nur Gegenwart, keine Vergangenheit, keine Zukunft. Es ist schließlich Krieg, da fällt das Tempus nicht ins Gewicht. Keine Zukunft, keine Vergangenheit, nur ein Überleben im Hier und Jetzt. 

 

Wenn er nicht selbst schreibt, arbeitet Kordi? quasi auf der anderen Seite — als Lektor. Für den Kölner DuMont-Verlag lektoriert er Autoren wie Dorothee Elmiger, Roman Ehrlich oder Jan Brandt. Ist das nicht seltsam, zugleich als Lektor die Bücher anderer mitzugestalten und als Autor zu arbeiten? »Ach, das Spannnungsfeld zwischen Autor und Lektor ist für Außenstehende viel größer als in der eigenen Wahrnehmung«, sagt er. Die Frage bekommt er oft gestellt, das merkt man. »Ich habe einfach  schon während des Studiums festgestellt, dass ich sehr viele unterschiedliche Dinge gut finden kann. Das ist eine Grundvoraussetzung, um Lektor zu sein, die bringt vielleicht nicht jeder Autor oder Künstler mit. Wenn jemand eine sehr strenge eigene Poetik hat, ist das vielleicht schwieriger.«

 

Studiert hat Kordi? in Hildesheim. Literarisches Schrei-ben. Seit 2005 ist er somit im Literaturbetrieb unterwegs. Er organisierte das Literatur-festival »Prosanova« im Jahr 2008, veröffentlichte die Literaturzeitschrift Bella Triste. Seit 2009 arbeitet er als Lektor im Dumont-Verlag. Kordi? sagt von sich selbst, zuerst Schriftsteller zu sein und dann Lektor. Trotzdem ist ihm sein Brotjob extrem wichtig, auch als Ausgleich zum ein-samen Job des Schreibenden. Schon, um im psychologischen Gleich-gewicht zu bleiben. »Mit sich alleine sein ist wichtig, gerade fürs -Schrei-ben, aber ich neige dann zur Asozialität. Wäre ich nur Schriftsteller, würde ich nur noch parallel zur restlichen Welt leben und mich sowohl
in meiner Kunst als auch in meinem Sein sehr weit entfernen. Ich würde verschwinden.«

 

Hinzu kommt: Auch die Arbeit als Lektor ist spannend, ist erfüllend. Das merkt man, wenn er mit Begeisterung vom Lektorat von Jan Brandts durchaus komplexem 700-Seiten-Epos »Gegen die Welt« erzählt: »Man kann sich die Arbeit zwischen Jan und mir ungefähr so vorstellen. Ich hatte mal einen Schulfreund, der oft mit mir wandern gegangen ist. Jedes Mal versicherte er mir zu Beginn, dass wir nur drei Stunden durch den Wald gehen. Und jedes Mal wollte er spätestens nach einer Stunde den vor-gegebenen Weg verlassen und eine Abkürzung nehmen. Am Ende waren wir dann manchmal vierzehn Stunden unterwegs, weil wir uns entweder verlaufen hatten oder eine großartige Entdeckung machten, die auf -keiner Wanderkarte eingezeichnet war.«

 

Trotz all der Begeisterung wirkt er für einen, der so viel mit Literatur zu tun hat, mitunter fast schon ein wenig skeptisch gegenüber dem Betrieb. »Ich frage mich zum Beispiel bei Lesungen jedes Mal: Warum seid ihr da?«, sagt er und lacht laut. Das kommt nicht so häufig vor im Gespräch. Er wirkt ernst, obschon er mehrmals betont, eigentlich ein ziemlich lustiger Mensch zu sein.

 

Vermieden hat er es bislang auch, Teil einer wie auch immer gearteten Literaturszene zu sein. »Durch den Beruf als Lektor habe ich die Dosis mehr als genug, ohne dass ich aktiv etwas dafür tun muss. Deswegen nehme ich an nichts teil. Nicht, weil ich die Leute nicht mag. Aber wenn ich irgendwo eingeladen bin und mir vorstelle, dass da die ganze Zeit über Literatur geredet wird, habe ich da nicht so viel Lust drauf.«

 

Zumindest die Kölner Szene wird er vermutlich auch nicht mehr kennen-lernen. Im April tritt er eine neue Stelle an, als Lektor bei Hanser in München. Sein alter DuMont-Mentor Jo Lendle ist dort Verleger. Seine Vorfreude auf die neue Aufgabe ist nicht ungetrübt. »Das ist auch eine Art Eigentor, dass ich nun im selben Verlag Autor und Lektor bin. Eigentlich war für mich von Beginn an klar, dass ich das nicht möchte«, sagt er. »Aber da ich gerade gar nicht in einer Phase bin, dass ich über irgendwas sprechen muss als Autor, ist das in Ordnung.«

 

Worum könnte es gehen in seinem nächsten Buch? Er sammle gerade, schreibe viel auf, erzählt Kordi?. Irgendwann werde sich ein Strang aufdrängen, wahrscheinlich. Sicher scheint nur: Um die Heimat seines Vaters und die Balkankriege soll es dabei nicht gehen. »Ich habe total Lust auf andere Geschichten. Nicht alles, was ich mache, soll um dieses Thema kreisen«, sagt er. »Aber ich hatte einfach das Gefühl, das muss ich zuerst machen. Ich fühle mich lockerer, erleichtert seither. -Dieses Buch zu schreiben, war so etwas wie einen Baum zu pflanzen. Das musste ich tun, bevor ich ins Gras beiße. Man weiß ja nie.«

 

Martin Kordi hält einen Moment inne und schaut auf den Holztisch bei dem kleinen Italiener im Agnesviertel. »Wer weiß, vielleicht werde ich auch nie fertig mit meinem nächsten Projekt. Dann habe ich nur dieses eine Buch geschrieben. Auch gut«, sagt er. Und lacht.